Knoblauchkur am Set
Filme, Frauen, Freunde „und was sonst noch war“ – die lebenskluge und selbstironische Autobiografie von Oscarpreisträger Volker Schlöndorff erscheint diese Woche.
Vor einem Jahr wurde ich zum ersten Mal von einem Produzenten gefeuert", beginnt Regisseur Volker Schlöndorff ganz lapidar seine Autobiografie „Licht, Schatten und Bewegung“. Der vielfach ausgezeichnete und seit 50 Jahren unerschütterlich kreative 69-Jährige ist als Schriftsteller eine Entdeckung. Überraschend humorvoll, selbstironisch bis schonungslos ehrlich, poetisch und klug erzählt er von seinen Filmen, Träumen, Begegnungen mit Kollegen, Lieben „und was sonst noch gewesen ist".
Das Projekt ist nicht neu, mit Hanser-Verleger Michael Krüger hatte Schlöndorff häufig darüber gesprochen, auch immer wieder Tagebücher geführt. Aber erst die 90er-Jahre, wo er als Manager half, die Filmstudios in Babelsberg wieder aufzubauen, und die siebenjährige Vorbereitung für den Historienfilm „Die Päpstin“ (bis er und die produzierende Constantin sich heuer mit einem „anwaltlichen Kompromiss“ trennten) gaben Schlöndorff Zeit und Muße, in der Villa in Babelsberg, wo er seit 1992 mit seiner zweiten Frau Angelika und der 15-jährigen Tochter Elena glücklich ist, in den Umzugskisten voller Erinnerungen zu kramen und zu schreiben.
Lebensreise eines Filmbesessenen
„Ein guter Freund hat mir mal den Vorwurf gemacht, ich sei von krankhafter Bescheidenheit. Dieser Text wird beweisen, wie sehr er sich täuschte", konstatiert Schlöndorff trocken – und legt los mit dieser animierenden Lebensreise eines Filmbesessenen, der sich selbstironisch einen „Handwerker“ nannte, seit sich viele deutschen Kollegen der späten 60er das eitle Etikett „Autorenfilmer“ verpassten.
Der 1939 in Wiesbaden geborene Arzt-Sohn wuchs nach dem frühen Tod der Mutter mit zwei Brüdern bei seinem Vater in Schlangenbad im Taunus auf, entkam der Enge per Schüleraustausch nach Frankreich, wo er zehn Jahre lang blieb. In Paris studierte er Politik und Film und genoss die Zeit als Assistent von Jean-Pierre Melville und dem unvergessbaren Louis Malle, dem bewunderten Lebensfreund.
Trost in der Literatur
„Jahre und Jahrzehnte haben wir zusammen gearbeitet, sind rum um die Welt gereist“, schreibt Schlöndorff über Malle, der sich nach Jeanne Moreau „wieder und wieder auf extreme Beziehungen zu starken Frauen“ einließ, um sich im letzten Moment wieder bürgerlich einzurichten. „Wie wir alle war er auf der Suche nach dem Glück, und was er, aufgrund seiner Privilegien früher als wir herausfand, war dessen Unmöglichkeit.“
Demütigende Erfahrungen als hoffnungslos Schüchterner, der Trost in der Literatur fand, und Verirrungen in Sachen Liebe spart Schlöndorff nicht aus. Ganz schön mutig. Die große Krise in New York, als er sich von seiner Frau, der Filmemacherin Margarethe von Trotta, entfremdet hatte, sich in Ehrgeiz, einer traurigen Liebesgeschichte und Depressionen fast verlor, schildert er selbstkritisch und doch anrührend.
Eine Frau, eine Pistole und ein Nachspiel
Von den Dreharbeiten zu Malles Western-Revolutions-Parodie „Viva Maria!", dem späteren Kultfilm der 68er (mit der Moreau und Brigitte Bardot) in Mexiko kam Schlöndorff 1965 mit einer mexikanischen Stuntfrau als Verlobter nach München zurück. Ihre beim Abschied vergessene Dillinger-Pistole brachte ihm zehn Jahre später, „auf der Höhe der Baader-Meinhof-Hysterie", ein gerichtliches Nachspiel ein.
Malle war auch der Coproduzent von Schlöndorffs Musil-Adaption „Der junge Törless" (seinem von da an so wichtigen Hauptproduzenten, dem noblen Münchner Franz Seitz, widmet Schlöndorff liebevolles Angedenken). Die Premiere in Cannes 1965 samt „Skandal“, weil der deutscher Kulturattaché wegen der „Abwertung des deutschen Menschen“ unter Protest den Saal verließ, verpasste man, weil Malle es eleganter fand, in der Bar nebenan bis zum Schlussapplaus zu warten.
Eine peinlich missverstandene Oscar-Dankesrede
1967 war Schlöndorff wieder dabei, beim Festival du Cinéma, mit „Mord und Totschlag“. Wieder erregte er Aufsehen, „wenn auch hauptsächlich wegen Anita Pallenbergs Miniröcken und den beiden Rolling Stones, die sie begleiteten. Brian Jones hatte die Filmmusik komponiert, Keith Richards verdrängte ihn gerade von Anitas Seite". Am nächsten Morgen flogen Anita und ihre Stones aus dem Majestic-Hotel.
Ungeniert berichtet Schlöndorff von seiner peinlich missverstandenen Oscar-Dankesrede für die Grass-Adaption „Die Blechtrommel“ 1980 in Hollywood. Er wollte an Regiemeister wie Lang, Lubitsch, Billy Wilder erinnern. "Wir, die neue Generation, wollten die Brücken schlagen zu der Zeit vor 1933 …". Das kapierten die Amerikaner nicht.
Schlöndorffs Erinnerungen streifen Werner Herzog, Reinhard Hauff, Arthur Miller oder Dustin Hoffmann (der bei den Dreharbeiten zu „Tod eines Handlungsreisenden“ eine aggressive Knoblauch-Kur machte).
Schlöndorffs Buch ein wahres Fundstück
Besonders zu Herzen gehend das Kapitel „Abschied von Max Frisch“. Schlöndorff hatte dessen „Homo Faber“ verfilmt, in mühsamen, Kontinente überspannenden Dreharbeiten. Die Gespräche mit dem todkranken Schriftsteller sind ein Kernstück. Der Jaguar, den Frisch ihm geschenkt hat, steht noch in der Garage.
Melancholische Anekdoten, philosophische Betrachtungen, klarsichtige Reportagen eines kritischen Zeitzeugen machen dieses Buch zum wahren Fundstück. Schöner Nebeneffekt: Jetzt, wo man so anschaulich teilhat an euphorischen bis niederschmetternden Schaffensprozessen, möchte man am liebsten alle Schlöndorff-Filme wieder sehen, auch diejenigen, die man damals als weniger geglückt empfunden hat.
Angie Dullinger
Volker Schlöndorff: „Licht, Schatten und Bewegung. Mein Leben und meine Filme" (Hanser, 472 Seiten, 24.90 Euro)