Kneipp-Kur im Lackschuh am Grünen Hügel
Für die Wiederaufnahme von „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen gab’s viel Schönes: Das Bühnenpersonal lief zur Hochform auf und der gerne mal zähe erste Aufzug flog locker dahin - eine Wohltat nach der Bewegungs-Tristesse der „Walküre“.
Der Regen kam eine Vorstellung zu früh. Denn Siegfried hätte seine götterdämmernde Rheinfahrt locker auf die Tristanstraße verlegen können. Die führt in Bayreuth auf den Hügel, der am Donnerstag, kurz vor dem „Siegfried“, in sintflutartigen Wassermassen abzutauchen drohte.
Wer im Auto festsaß, konnte nur noch das Radio andrehen. Oder die Stöckelschuhe ausziehen und unter Aufbietung von Walkürenkräften zum Festspielhaus waten. Doch Wagnerianer sind hart im Nehmen, ertragen schwüles Gedünst, ohne eine einzige Bügelfalte zu lassen – und zur Not eben auch einen Wolkenbruch im Smoking.
Dankbar für fast jede Aktion
Dafür gab’s im Festspielhaus viel Schönes, denn das Bühnenpersonal lief zur Hochform auf. Der gerne mal zähe erste Aufzug flog locker dahin, Mime und sein Heldenzögling lieferten sich amüsante Gefechte im abgewrackten Physiksaal. Die hätten manchen Kindergeburtstag aufgepeppt, aber nach der Bewegungs-Tristesse der „Walküre“" war man dankbar für fast jede Aktion.
Selbst der schwerfällige Stephen Gould ließ sich von der Spielwut des phänomenalen Gerhard Siegel gnadenlos mitziehen und servierte seinen bisher besten Siegfried. Hörbar hatte sich die Stimme im Vergleich zum Vorjahr erholt, und tatsächlich konnte der blonde Haudrauf noch im Walkürensteinbruch problemlos gegen eine phonstarke Linda Watson ansingen.
Eine amüsante Rateshow
Da verzieh man sogar, dass die Intonation nicht immer astrein daherkam. Auch Chefgott Albert Dohmen, der bislang eher als stimmbandschonender Oberökonom aufgefallen war, drehte ordentlich auf und lieferte sich mit Mime eine amüsante Rateshow.
Die Partie des Wanderers ist nicht nur für diesen Wotan die bekömmlichere. Wenn dann ein Fafner wie Hans-Peter König dunkel aus seiner Höhle dröhnt, landen allerdings alle im Schatten - selbst der fiese Alberich von Andrew Shore. Wäre da noch die Urmutter im Tête-à-Tête der Heroen: Christa Mayer, die schon im „Rheingold“ Erda-Wohlklang verströmte, begab sich souverän in vertrackteste Alttiefen. Das macht Lust auf ihre Waltraute.
Und Christian Thielemann? Ist der klare Sieger des Abends. Die wenig erquickliche Kneipp-Kur im Lackschuh war gleich beim ersten Vorspiel vergessen.
Christa Sigg