Klang und Sinnlichkeit
Das Fest der Liebe amerikanisch, abendländisch und kerndeutsch: Ein Überblick über die schönsten aktuellen Weihnachtsplatten, ehe sie wieder der Vergessenheit anheimfallen
Wenn „Adeste Fidelis“ wie eine eicherne Kirchentüre knarrt und ein Engelschor funkelt, bis das Kerzenwachs erweicht, dann verfestigt sich ein Gedanke zur Gewissheit: Bob Dylan nimmt sich weniger ernst, als die Dylanologen glauben.
Für sie ist „Christmas In The Heart“ (Columbia) ein fettiger Gänsebraten, zweifelhaft dekoriert mit einem Weihnachtsmann-Pin-up auf der Rückseite des Booklets. Im Video zu „Must Be Santa“ sieht man den Meister unter der roten Zipfelmütze, wie er als bekehrter Grinch eine Weihnachtsparty schmeißt und am Ende eine Schlägerei um ihn tobt.
Weihnachtsalben sind eben Ausnahmezustände, die maximal vier Wochen im Jahr erträglich sind. Stilistisch maßgeblich bleibt, solange Amerika existieren mag, das Weihnachts-Oeuvre Bing Crosbys. In „Winter Wonderland“ oder „I’ll Be Home For Christmas“ arbeitet Dylan verehrend darauf hin, wohl wissend, dass zwischen dem Image als bedeutendster lebender Songpoet und einer Zipfelmütze in Coca-Cola-Rot keine Brücke über den Abgrund führt.
Dem spaßfreien Abendland herber verhaftet, kommt aus der regnerischen Toskana „If On A Winter’s Night“ zu uns her (Deutsche Grammophon). Mit seinem sanften Reibeisen schleift Sting den „Leiermann“ aus Schuberts untröstlicher „Winterreise“ zu weltschmerzlichem Wohlgefühl ab. Fürs Herz gibt’s dafür „Es ist ein Ros’ entsprungen“ und britische Traditionals zur kalten Jahreszeit, die dem Gentleman die liebste ist.
Die „Deutsche romantische Weihnacht“ (Oehms) kommt nicht nur sprachlich in der schnarrenden Einzahl daher, als würde vor dem Tannenbaum germanisch exerziert. So etwa dürfte das Julfest in der Gralsburg geklungen haben. Mit Richard Strauss’ „Feierlichem Einzug“ wird Zarathustras Geburt angeblasen, schmetternde Blechbläser und Glocken schmalzen ausschweifende Chorsätze weiter auf. Dazwischen sorgen „Stille Nacht“ und Humperdincks „Abendsegen“ für protestantische Innerlichkeit.
Wer ein Geschenk für den bösen Onkel sucht, der alles hat und kennt, wird von Hansjörg Albrecht und dem Münchener Bach-Chor bestens bedient. Sanfteren Seelen raten wir zur Wahrung des Weihnachtsfriedens noch zu Punsch mit Extra-Süße: „My Christmas“ von Andrea Bocelli mit einem deutsch-italienischen „O Tannenbaum“ (Decca). Einfach Zuckerwatte!
Christian Jooß, Robert Braunmüller
Bob Dylan auf der Weihnachtsparty (Dauer: 3 Min.)
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- Richard Strauss