Kirchgang mit einem Phantom
Dass Terrence Malicks „Tree of Life” in diesem Jahr in Cannes die Goldene Palme gewonnen hat, liegt auch an seiner grandiosen Leistung. Brad Pitt spielt in dem 50er Jahre-Drama um eine Familie einen jähzornigen Vater dreier Söhne.
AZ: Mr. Pitt, in „The Tree of Life” spielt die Beziehung zwischen Vater und Sohn eine große Rolle. Haben Sie da Ihre eigenen Erfahrungen als Vater mit in diese Rolle einbringen können?
BRAD PITT: Mir ist klar, dass meine Kinder alles mitbekommen, was vor sich geht, sobald ich das Haus betrete. Da muss ich nicht mal etwas sagen. Schon an dem, was ich tue, lesen sie ab, wie es mir geht. Taten sagen mehr als Worte – und im Fall von Kindern trifft das noch mehr zu. Daher ist es mir wichtig, dass ich sie und mein Zuhause nicht meinen Frustrationen oder Problemen aussetze.
In „The Tree of Life” sind Sie als Vater das Gegenteil davon...
Genau. Hier gibt es einen sehr traurigen Mann, der verbittert ist, nicht vorwärts zu kommen scheint und sich immer auf der Verliererseite wieder findet. Menschen wie er geben dieses Gefühl der Schwäche oft weiter und unterdrücken andere – so fühlen sie sich für eine kurze Zeit mächtig. Hier sind die Leidtragenden seine drei Söhne.
Waren Ihre Kinder mit am Set? Waren sie eifersüchtig, weil ihr Vater im Film nun andere Kinder hat?
Angie und ich nehmen die Kids immer mit zum Drehort. Wir sind ja echte Nomaden geworden und versuchen auch beim Drehen die Familie intakt zu halten, weil wir den Zusammenhalt für sehr wichtig finden. Angie tingelt dann viel zwischen Arbeit und Zuhause, damit immer jemand daheim ist. Wir hatten hier ein Haus in Texas gemietet, mit Pferden. Ich bin stolz darauf, dass unsere Kinder so viel von der Welt zu sehen kriegen und dadurch andere Kulturen verstehen. Das ist der wichtigste Teil unserer Erziehung. Übers Filmen wissen sie gar nicht so viel – gerade mal, dass Papa und Mama Filme machen und Geschichten erzählen.
Terrence Malick, der Regisseur von „The Tree of Life”, ist eine Art Phantom: Kaum jemand weiß, wie er aussieht. Er trat nicht mal in Cannes in Erscheinung. Würden Sie manchmal gern mit ihm tauschen wollen – und Ihre Ruhe haben, statt im Blitzlichtgewitter zu stehen?
Nein, das ist mein Job, und ich mache es gern. Es gibt so viele Filme da draußen, da muss man etwas dafür tun, damit ein Film Aufmerksamkeit bekommt. Ich verstehe auch Terrence: Als er mit dem Filmemachen anfing, war das alles noch anders, Marketing und PR waren da nicht so wichtig. Dann zieht er sich zwanzig Jahre zurück und macht seinen nächsten Film, so wie er es immer gemacht hat – aber das Geschäft ist längst anders.
Viele Schauspieler sagen, dass Malick für sie ein ganz besonders wichtiger Lehrer gewesen ist. Auch für Sie?
Mit ihm ist es so, als würde man sonntags in die Kirche gehen und sich den existentiellen Fragen gegenüber gestellt sehen. So geht es mir, wenn ich mit Terry zusammensitze. Die Gespräche sind immer ganz tief. Er ist unglaublich liebenswert und warmherzig, ein sehr interessanter Mensch. Im Film stellt er die ganz großen Fragen des Lebens. Er schafft es, einen Gott zu lieben und gleichzeitig eine Vorliebe für die Wissenschaft zu haben, was sich für gewöhnlich nicht verträgt. Aber er sieht göttliches Wirken in der Natur genau so wie den wissenschaftlichen Aspekt. Für ihn ergänzen sich nicht nur diese Perspektiven, sondern auch alle Religionen können für ihn gleichberechtigt miteinander existieren. Er ist für mich ein Phänomen.
Sind Sie denn mit Malicks Weltsicht einverstanden?
Besonders nach der Aufführung in Cannes sehe ich den Film noch mehr als eine Studie der Unbeständigkeit an. Und vor der Unbeständigkeit versuchen wir Menschen uns zu schützen, oder sie uns zu erklären, indem wir uns der Religion zuwenden. Vielleicht ist das Schöne daran, einfach zu akzeptieren, dass der Lauf des Lebens so ist, wie er ist – ohne ihn erklären oder vorhersehen zu können. Das ist jedenfalls in meinen Augen das Wunderbare am Leben.
Hat Ihre Rolle Ihre Haltung zum Leben verändert?
Vater zu sein hat wirklich alles verändert! Na klar habe ich Angst vor dem Tod – aber wer hat das nicht? Ich möchte jetzt noch nicht sterben, aber es ist eine unabänderliche Tatsache, mit der jeder von uns leben muss. Als Vater beschäftigt mich das sogar noch stärker. Denn ich sorge mich viel mehr um die Sicherheit meiner Kids als um meine eigene.