Zwei Herren im Anzug - Die Filmkritik der Abendzeitung

Dieser Film ist eine geniale Ruine. Er ist rau und roh, oft hart und sperrhölzern, aber auch barockes Bayern-Epos, bizarres Bauerntheater, bildgewordene Literatur, dabei manchmal surreal, brutal. In alledem gelingen Größe und Wucht im weiten Themenfeld von unbewältigter deutscher Schuld ohne Sühne, von bierschweren Generationskämpfen, von hilfloser Nostalgie und religiös unterfütterter Traditionsverwurzelung mit Selbstekel.
Josef Bierbichler hat nicht nur das Drehbuch zu "Zwei Herren im Anzug" geschrieben, er hat noch Regie geführt und auch die Doppelrolle als Großvater und Vater übernommen: Zentralfigur Pankraz, Bauer und Seewirt am Starnberger See, den hier der Chiemsee bei Rimsting spielen darf. Und die Kulisse für das Bierbichler’sche Wirtshaus "Fischmeister" in Ambach war ein Bauernhaus in Thüringen, um auch noch mitteldeutsche Filmförderung zu bekommen für sein Großprojekt: die Verfilmung seines Familien- und Geschichtsromans "Mittelreich"!
Josef Bierbichler ist Regisseur, Autor und Schauspieler im Film
Dieses Erfolgsbuch Bierbichlers von 2011 umfasst 70 bayerisch-deutsche Jahre: von der Mobilmachung 1914, die der Großvater als Kind erlebt, bis 1984 zur Beerdigung der Bäuerin und Wirtin (Martina Gedeck), der Frau von Pankraz, diesem Baum von Mann, der innerlich zerrissen und weich ist. Auch, weil er pflichtgemäß nach dem Zweiten Weltkrieg Haus, Hof und Wirtschaft als "verfluchtes Erbe" annahm – anstatt als Sänger in seine heroisch wagner’schen Traumwelten einzutauchen. Das wäre sein Talent gewesen, seine Neigung: "Aber das, was ich als Kind immer nur angeschaut habe, weil’s immer schon da war", erkennt Pankraz jetzt als verpflichtende Wurzeln an. In einer Schlüsselszene wird ein mythischer Sturm die Riesen-Esche vor dem Wirtshaus entwurzeln. Und morsch ist dieser Stammbaummann Pankraz selbst, auch weil ihn verdrängte Kriegsgräuel-Erlebnisse schwächen: ein unterschwelliges Trauma, das den Film durchzieht und sich am Ende eiskalt erhellt.
Bierbichler wollte ein Vierstundenwerk durchsetzen, scheiterte aber an der Finanzierbarkeit und dem Glauben des tapferen Filmverleihs an die Vermittelbarkeit eines solchen Hammers. Also hat Bierbichler für die geforderte Konzentration trotzig auf den Buchtitel "Mittelreich" verzichtet und die erzwungene Filmgeschichtenauswahl "Zwei Herren im Anzug" genannt – und damit zwei untote Nebenfiguren (Johan Simons und Peter Brombacher) zum Titel gemacht, die rätselhaft den Film durchwandern.
Zusammengehalten wird das alles durch den "Gesamtkünstler" Josef Bierbichler, der dazu eine Rahmenhandlung wählt: Vater (Bierbichler) und Sohn (Simon Donatz, der wirklich Bierbichlers Sohn ist) sitzen nach der Beerdigung der Frau und Mutter weiter trinkend im leeren, langsam nächtlichen Wirtshaussaal. Sie überwinden – über Familienfotos und Provokationen – langsam ihre gegenseitig gehemmte Sprachlosigkeit. Sie zerwühlen sich und die Verschüttungen der Vergangenheit, sie packen und kotzen sich aus – alles zunehmend ohne Rücksicht auf Verluste.
Diese radikalen Verletzungs- und Schuldgeschichten erzählt der Film kompromisslos in großen Rückblenden, so dass sich bei aller Sperrigkeit ein packendes Panoptikum ergibt: eine aufgehängte Sau, bei deren Schlachtung sich der Metzger (Andreas Giebl) in die Lederhosn scheißt, erinnert den Sohn an seine Missbrauchserlebnisse im Sportunterricht an den Ringen hängend im katholischen Internat. Oder: ein Nachkriegsfaschingsball im Wirtshaussaal, bei dem die geilste Frau als Hitler kostümiert den Kostümpreis gewinnt, in dessen Nachgang Pankraz den verschraubt entlarvenden Satz sagt: "Ich war kein Nazi, und kein Nazi war ich nie!" Oder: ein Weihnachtsfest mit Großfamilie, einquartierten Flüchtlingsdeutschen und US-Offizieren, bei dem sich Pankraz aus Ekel übergibt und ihm bewusst wird, wie aus "echter Heimat" langsam ein "provinzieller Vielvölkerstaat" geworden ist.
Im Zwiespalt zwischen Heimat, Dialekt, Religion und Tradition
Manche Heimat- und Lebensanalyse wirkt dabei etwas bedeutungsschwer aufgesagt, wie auch viele Sätze mancher Laiendarsteller ungeschmeidig daherkommen. Auch mit verschiedenen Dialektschattierungen geht der Film kunterbunt um. Die hippe Traditionskapelle Kofelgschroa liefert den anarchischen Heimatklang – auch zu burlesken Szenen, wenn sich dionysische Junglederhosnträger um Weiber raufen, bis der NS-Ortskommandant mit blondbezopften BDM-Mädels auftaucht, was Pankraz rückblickend mit "alles war damals leicht und vollkommen" reflektiert. Das macht den Sohn am Tisch fassungslos.
Man spürt das große Ringen in diesem großen Film, wie Josef Bierbichler mit sich und den großen Fragen kämpft – im Zwiespalt mit Religion, Familie und Tradition oder den quälenden Fragen der deutschen und bayerischen Geschichte. Bierbichlers Film ist dabei ein wilder, unbedingter, unbändiger, manchmal unvollkommener, aber immer schonungsloser, faszinierender Angriff auf falsche Heimatseligkeit.
Kino: City, Monopol, Münchner Freiheit, Rio, Solln, Isabella B&R: J. Bierbichler (D, 139 Min)
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