Zum 80. Geburtstag von Wolfgang Petersen: Unser Mann in Hollywood
Als es an der Jahreswende 1978/79 darum ging, einen Regisseur für die Verfilmung von Lothar-Günther Buchheims Roman "Das Boot" zu finden, war die Entscheidung ganz einfach. Es gab nur einen. Jedenfalls für mich. Ein Stoff von einem Schwierigkeitsgrad, wie es ihn seit den zwanziger Jahren in Deutschland nicht mehr gegeben hatte, drohte jeden zu überfordern. Auch ihn.
Petersens Film "Das Boot" war Hollywood
Dennoch, darauf durfte man rechnen, würde er sich der Aufgabe stellen, gegen alle Wetten. Denn "Das Boot" war nur formal ein deutscher Film. "Das Boot" war Hollywood. Und Hollywood, das wollte er schon immer. Als ich Wolfgang Petersen kennenlernte, war er das, was man eine Hoffnung nennt. Wir hatten ein oder zwei seiner "Tatorte" gesehen und ihn zu uns in den WDR eingeladen. Seine Hamburger "Tatort"-Krimis mit dem Kommissar Klaus Schwarzkopf waren Glanzstücke dieses neuen Genres. So einen brauchten wir.
Es waren die siebziger Jahre, Aufbruchsjahre einer neuen Bewegung des deutschen Films. Es gab viele junge Genies damals, die meisten Autodidakten, und nicht alle konnten das verbergen. Petersen aber hat eine gründliche, ja vorbildliche Ausbildung durchlaufen. Er war Schauspielschüler, hatte am Theater assistiert und dann auch inszeniert, schließlich an der DFFB in Berlin ein Regiestudium absolviert. Während seine Kolleginnen und Kollegen dort die Revolution probten, um, wie sie wohl meinten, eine bessere Welt zu schaffen, schien ihm schon viel damit gewonnen, wenn es gelänge, den deutschen Film zu verbessern. Daran wollte er arbeiten und, wie die Dinge damals lagen, zunächst einmal im Fernsehen.
"Es folgte Film auf Film. Nicht alle hatten sie die gleiche Explosionskraft"
Es wurden fruchtbare Jahre mit ihm im WDR. Wie es sich gehört, begannen sie mit einem Paukenschlag. "Smog" nannten wir den Film, der nach den originalen Regeln des nordrhein-westfälischen Katastrophenplans ein Umweltdesaster durchspielt. Heute würden wir das mit geänderten Spielregeln "Corona" nennen. Es folgte Film auf Film. Nicht alle hatten sie die gleiche Explosionskraft, doch für einen veritablen Skandal reichte es allemal, als mit "Die Konsequenz" zum ersten Mal ein homosexuelles Liebespaar im deutschen Fernsehen aufschlug - freilich unter Schonung der bayerischen Bevölkerung, der die hier ansässige Fernsehanstalt das nicht zumuten wollte.
Zwar hatte der Rest der Republik zuvor auch schon Rosa von Praunheims wild-bunte Schwulenfarce konsumiert, doch so selbstverständlich wie bei Petersen war die Liebe zweier Männer auf unseren Bildschirmen noch nicht gezeigt worden. Nebenbei hat er in diesen Jahren auch seine Hamburger "Tatort"-Reihe fortgesetzt mit dem Höhepunkt "Reifezeugnis", der aus Nastassja Kinski einen internationalen Star machte. Es gab in den Kölner Jahren zwischen uns zahlreiche Begegnungen im Büro oder am Schneidetisch, dennoch wusste ich von Petersen damals vor allem das, was auf dem Bildschirm sichtbar wurde. Der Mensch Petersen, das Geheimnis dieses Großmeisters des Kinos entschlüsselte sich mir erst bei der gemeinsamen Arbeit am "Boot".
Petersen kann unerbittlich sein, wenn der Qualitätsanspruch gefährdet ist
Schon in der Drehbuchphase - er wollte das Drehbuch unbedingt selbst schreiben, genauer gesagt die Drehbücher, denn die Finanzierung dieses außerordentlichen Projekts war nur möglich, wenn mit dem Spielfilm gleichzeitig auch eine Miniserie für das Fernsehen entstand: Also in diesem ersten Arbeitsprozess bewunderte ich schon die Präzision und die Zähigkeit, mit der Folge um Folge nach genauem Plan entstand. Denn von Anfang an war klar, nur mit strengster Disziplin würden wir dieses Himmelfahrtskommando durchstehen.
Wie immer bei Drehbuchentwicklungen gab es auch hier Probleme, Änderungswünsche, Interventionen Dritter, die an der Finanzierung beteiligt waren. Petersen hat das mit großer Offenheit, gänzlich uneitel, stets um beste Lösungen bemüht, aufgenommen. Aber er kann auch unerbittlich sein, wenn eben dieser Qualitätsanspruch in Gefahr zu geraten droht. Und so war es für uns beide eine große Erleichterung, als sich der zuständige WDR-Redakteur beleidigt aus dem Projekt verabschiedet hat.
Filmproduzent Günter Rohrbach: "Film ist Teamwork"
Eine ermutigende Erkenntnis war es für mich, ihn bei der Dreharbeit zu beobachten. Film ist nun einmal Teamwork. Da hilft es wenig, wenn ein Regisseur die kühnsten Ideen im Kopf hat, es ihm aber nicht gelingt, diese in dreißig, fünfzig, hundert Köpfe zu übertragen. Petersen kann das, freundlich, klar, bestimmt und, wenn nötig, auch mit großer Geduld. Da steht kein eitler Kommandeur am Regiepult, sondern ein freundlicher Kollege, der weiß, er wird nur dann das beste von seinen mit Sorgfalt ausgesuchten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bekommen, wenn diese sich in ihrer Arbeit respektiert fühlen.
Petersen wollte von Anfang an das, was es dann auch geworden ist: Er wollte den Welterfolg. Er spürte, dass dieser Stoff, diese Geschichte, die Chance seines Lebens war. Nie wieder, zumindest in Deutschland nicht, würde er an einen Gegenstand geraten, an dem er seine ganz besonderen Fähigkeiten so würde ausleben können wie hier. Dafür war er bereit, durch die Hölle zu gehen.
Weltstars wie Clint Eastwood warteten in Hollywood auf Petersen
Und es wurde die Hölle - nicht nur für ihn, aber ganz besonders für ihn. Es gab damals noch nicht die technischen Voraussetzungen, wie wir sie heute durch die Digitalisierung haben. Jede besondere Einstellung, jeder Effekt musste erkämpft werden. Nie war er bereit, den leichteren Weg zu gehen, wenn es die Möglichkeit für einen schwereren gab. Und je länger die Dreharbeiten dauerten, um so mehr wurde auch allen anderen klar, dass hier etwas Besonderes entstand, dass es sich lohnte, dafür über Grenzen zu gehen. Und es wird sich am Ende gelohnt haben. Nicht nur für ihn, auch für viele andere wie Jost Vacano, den es nach Hollywood trug, oder Klaus Doldinger, der die Musik seines Lebens komponiert hatte. Außer Jürgen Prochnow, für den sich die Welt öffnete, hatte man vorher keinen der Schauspieler gekannt. Außer einigen Nebendarstellern sind danach alle zu Stars geworden.
Petersen selbst drehte noch zwei große Filme, "Die unendliche Geschichte" und "Enemy Mine" in Deutschland, bevor er dem Ruf nach Hollywood folgte. Dort warteten Weltstars auf ihn, von denen er schon immer geträumt hatte, wie Clint Eastwood ("In the Line of Fire"), Dustin Hoffman ("Outbreak"), Harrison Ford ("Airforce One"), George Clooney ("The perfect Storm") oder Brad Pitt ("Troja"). Alle diese Filme wurden große Erfolge und er für Jahre zu einem der begehrtesten Regisseure Amerikas. Er war jetzt in einer anderen Galaxie, und Deutschland, das er nur noch bei den jeweiligen Kinopremieren kurz besuchte, in weite Ferne gerückt.
Einer wie Regisseur Wolfgang Petersen hört nicht auf zu arbeiten
Hollywood ist für Filmemacher in vieler Hinsicht eine andere Welt, nicht zuletzt auch in der des Geldes. "Das Boot" hatte er noch für deutsche Fernsehgagen gedreht, inzwischen wurden die Zahlen siebenstellig und irgendwann auch achtstellig. Und so konnte er es sich leisten, in unmittelbarer Nähe des berühmten Getty-Museums hoch auf dem Berg ein Haus zu bauen, von dem aus er über ganz Los Angeles hinwegschauen kann. Doch bei dem Schauen belässt er es nicht. Einer wie er hört nicht auf zu arbeiten. Daran ändert auch die 80 nichts, die er ohnehin ignoriert. Er klagt auch nicht darüber, dass die große Zeit des Kinos vorbei ist, Filme, wie er sie gemacht hat, nicht mehr gefragt sind. Sein Blick ist nach vorne gerichtet, die Plattformen beherrschen die Szene, also richtet er sich darauf ein. Zusammen mit seiner kleinen Damenschaft werkelt er an mehreren Projekten. Darunter ist auch ein Film, den er demnächst in Deutschland drehen möchte. Man wird also von ihm hören, hier oder da.
Wir sind über die Jahre hin Freunde geblieben, ja sind es mit zunehmendem Alter noch enger und herzlicher geworden. Zu dieser Steigerung der Gefühle verhalf uns nicht zuletzt ein Gästehaus, das er neben seinem Wohnhaus gebaut hat und in dem wir, meine Frau Angelika Wittlich und ich, seit einer Reihe von Jahren die Osterzeit verbringen. Dass wir ausgerechnet in diesem Jahr nicht dort sein können, ist schade, aber entspricht wohl seiner Einschätzung des anstehenden und ihm eher lästigen Ereignisses.
Petersen: Ein hochbegabter Regisseur und liebenswerter Mensch
Bei seiner ersten WDR-Produktion hat Petersen Marie-Antoinette Borgel kennengelernt, die seine Regieassistentin wurde und bald auch seine zweite Ehefrau. Sie sind bis heute zusammengeblieben, was nicht so selbstverständlich ist in dieser Stadt und diesem Milieu. Das ist nicht zum geringsten ihr Verdienst, aber Wolfgang Petersen - das darf aus diesem Anlass vielleicht auch öffentlich gesagt werden - ist nicht nur ein hochbegabter Regisseur, sondern auch ein außerordentlich liebenswerter und liebesfähiger Mensch. Er hat sich in diesen Pandemie-Monaten sehr um seine Maria gesorgt. Inzwischen sind beide geimpft. Dennoch werden sie an dem Geburtstag wahrscheinlich allein sein auf ihrem Berg, auf den die Sonne Kaliforniens scheint.