"Zuerst sollte das Zölibat fallen"

Tom McCarthy ist selbst katholsich aufgwewachsen und findet, dass die Kirche mehr Typen wie Papst Franziskus braucht.
Margret Köhler |
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Tom McCarthy ist selbst katholisch aufgwewachsen und findet, dass die Kirche mehr Typen wie Papst Franziskus braucht.

Er ist für sechs Oscars nominiert und sorgt für heiße Diskussionen: Tom McCarthys Enthüllungsthriller „Spotlight“ über den jahrzehntelangen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Boston und dessen Aufdeckung Anfang dieses Jahrtausends durch mutige Journalisten des „Boston Globe“. Ein Ansporn zum Dialog und Plädoyer für kritische Medien als „vierte Gewalt“ im Staat.

AZ: Herr McCarthy, Sie packen ein ziemlich heißes Eisen an.
TOM MC CARTHY: Zwei Themen interessierten mich: die Vertuschung des Skandals durch Kirche und Politik, 2001 noch ein Tabu-Thema, und der investigative Journalismus. Es geht mir nicht darum, die Kirche als Ganzes an den Pranger zu stellen, sondern die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Polizei, Honoratioren, Erzieher, Medien – alle steckten unter einer Decke.

Viele Menschen verlassen heute die Kirche, lassen sich nicht mehr bevormunden. Vielleicht sollte sie sich gesundschrumpfen und auf ihre Grundaufgaben besinnen, sich erneuern. Da müsste man mal richtig aufräumen. Aber Institutionen zu ändern, erfordert Herkulesarbeit. Wer gibt schon freiwillig Macht ab? Auch Barack Obama lief im Weißen Haus trotz bester Intentionen oft gegen die Wand.
 

AZ-Kinokritiken finden Sie hier

 

Brachte Ihnen das Thema Ärger ein?
Vor dem Dreh der ersten Szene war dieser Film dreimal so gut wie tot. Die Geldgeber sagten in letzter Sekunde ab, ich war total frustriert, aber Aufgeben ist nicht mein Ding. Als die Sache dann lief, bekamen wir sogar Anrufe aus Neuseeland und Australien von Leuten, die sagten, toll, dass ihr weiter macht, bei uns gibt es auch solche Skandale. Da wusste ich, der ganze Stress hat sich gelohnt.
 

Sie wurden katholisch erzogen. Steckt Ihnen der Katholizismus noch in den Knochen?
Davon kann man sich kaum befreien. Aber ich will nicht alle in einen Topf werfen. Einer meiner besten Freunde war Priester, ein cooler und smarter Typ, in seiner Gemeinde sehr beliebt und sehr modern eingestellt. Solche Leute braucht die Kirche, leider gibt es noch zu wenige. Papst Franziskus halte ich auch für einen guten Mann, der könnte etwas bewirken. Als Erstes sollte mal das unsägliche Zölibat fallen.
 

Ihr Film ist auch eine Hymne auf einen Journalismus, den es heute kaum noch gibt.
In Amerika befindet sich der Journalismus auf Talfahrt. Die lokalen Zeitungen sind größtenteils verschwunden oder in Bedeutungslosigkeit versunken. Dabei gehören kritische Medien, die vierte Gewalt im Staate, zu unserer Demokratie. Professionelle Recherchen wie beim Spotlight-Team des „Boston Globe“ fehlen.

Nichts gegen den Siegeszug von Internet und Neuen Medien, sie faszinieren mich durch ihre Schnelligkeit, ersetzen aber nicht die Printmedien mit ihren Hintergrundberichten. Leider fehlt es den Zeitungen an Inhalt, Manpower und natürlich Geld, beim Hecheln nach spektakulären News schaufeln sie sich ihr eigenes Grab.
 

Warum ein Spielfilm und kein Dokumentarfilm?
Film heißt für mich Unterhaltung, in unserem Fall auch den Zuschauer informieren, ohne ihn durch Besserwisserei zu verlieren, er geht Schritt für Schritt mit. In fiktionaler Form und aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, nicht nur aus dem der Journalisten, sondern auch aus dem der Opfer, ist das Thema eingängiger, ermöglichen wir dem Publikum, einen eigenen Standpunkt zu finden.

Die „Boston Globe“-Reporter leben und arbeiten noch. Machte das die Geschichte komplizierter?
Die größte Herausforderung bei der Zusammensetzung des Puzzles war, die Authentizität der Ereignisse zu bewahren, die Reporter nicht als Superhelden zu zeigen, sondern als Menschen mit Fehlern. In meinen Augen sind sie aber Helden, die den Pulitzer-Preis 2003 mehr als verdient haben.
 

In diesem adretten und europäisch wirkenden Boston hätte man so einen Sündenpfuhl nicht erwartet.
Dass der Skandal ausgerechnet in Boston passierte, sagt sehr viel über die Stadt aus. Sie gehört zu den größten katholischen Städten der USA und die Einwohner beweisen eine große Loyalität zu ihrer Stadt und zur Kirche. Ich glaube, die Enthüllungen führten zu einer Art Katharsis.

Boston ist faszinierend, aber europäisch nur auf den ersten Blick. Abends um 18.30 Uhr geht man essen, später sind die Restaurants dicht, und es tut sich nur noch wenig auf den Straßen. Als ich das Drehbuch schrieb, wäre ich zu nächtlicher Stunde fast verhungert.    

 

 

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