Woody Allen: "Ich favorisiere sexuelle Gedanken"
Mehr als 50 Filme hat Woody Allen im Laufe seiner Karriere gedreht. Und damit auch immer seine große Liebe fürs Kino ausgelebt.
Mit seinem neuen Film "Rifkin's Festival" schaut der 86-Jährige noch einmal mit ironisch-melancholischem Blick auf die Filmbranche und auf das Leben eines Regisseurs zurück, der immer noch an die Kunst des Filmemachens glaubt. US-Schauspieler Wallace Shawn verkörpert hier sein Alter Ego. Und Christoph Waltz den Tod.
AZ: Mr. Allen, am Ende Ihres Films lassen Sie den Tod auftreten, der zu Mort Rifkin sagt: "Das Leben ist sinnlos - nicht leer. Verwechseln Sie das nicht!" Haben Sie in Ihrem Leben diese beiden Dinge je verwechselt?
WOODY ALLEN: Ja, es gab durchaus Zeiten, in denen ich verzweifelt war und das Leben für einen ziemlich schlechten Scherz gehalten habe. Da habe ich eine große Leere in meinem Leben gespürt. Aber dieses Gefühl hat sich dann auch wieder verflüchtigt. Allerdings halte ich das Leben tatsächlich für sinnlos. Es ist ein dummer, alberner Fehler der Natur. Aber es muss eben deshalb nicht leer sein. Wir alle haben immerhin eine gewisse Lebenszeit, die wir mit interessanten Dingen füllen können, bevor wir dann für immer verschwinden.
Welche Dinge sind das?
Wenn ich mit meiner Band auftrete und ein bisschen New-Orleans-Jazz spiele, dann ist mein Leben nicht leer. Das ist natürlich nur eine kleine Kompensation für den Horror des Universums.
Albert Camus schrieb in "Der Mythos von Sisyphos": "Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord."
Sie und ich können uns zwei Stunden darüber unterhalten, wie bedeutungslos, schrecklich und närrisch das Leben ist. Und so voller Enttäuschungen und Sorgen. Wenn aber plötzlich jemand mit einem Revolver ins Zimmer kommt, um uns zu erschießen, werden wir alles tun, um ihn daran zu hindern. Wir werden versuchen, ihm den Revolver zu entreißen und uns in Sicherheit zu bringen. Das ist ziemlich irrational, wenn Sie genau darüber nachdenken. Aber wir reagieren oft mit dem Herzen statt mit dem Hirn.
"Rifkin's Festival": Christoph Waltz als Tod
"Das Herz ist ein sehr eigensinniger Muskel", wie Sie einmal sagten.
Und es behält gegenüber dem Hirn meist die Oberhand.
Der Tod in "Rifkin's Festival" wird von Christoph Waltz gespielt. Es ist eine kleine Rolle. Mussten Sie ihn überreden?
Christoph Waltz hat mir gesagt, dass er sehr gerne in einem meiner Filme mitspielen würde. Was mich sehr freute, da ich ihn für einen wundervollen Schauspieler halte. Leider hatte ich für "Rifkin's Festival" schon alle Schauspieler besetzt - außer den Tod. Aber ihm gefiel das, und er spielt den Tod auch großartig. Ich hoffe, dass ich ihn in naher Zukunft einmal in einem meiner Filme besetzen kann, in dem er 90 Minuten lang sein großes Können zeigt.
Sie sagen, dass Sie sehr oft an Sex und Tod denken müssen, wenn Sie nicht arbeiten. Es ist jetzt kurz vor 12 Uhr mittags. Wie oft haben Sie heute schon an Sex und Tod gedacht?
Sehr oft. Weniger an den Tod. Ich habe heute Morgen nach dem Aufstehen meine Übungen gemacht und mich an den Tisch gesetzt, um zu schreiben. Ich habe sehr lange über einen Filmplot nachgedacht, der nicht richtig funktioniert, und konnte mich dann irgendwann nicht mehr aufs Schreiben konzentrieren. Dann schweifen meine Gedanken immer ab … Ich frage mich zum Beispiel, wann es Lunch gibt. Und dann kriechen auch - das ist unvermeidbar - sexuell aufgeladene Gedanken in meinen Kopf. Diesen Gedanken hänge ich dann mit großem Vergnügen nach.
Wie sehen denn Ihre morgendlichen Übungen aus?
Ein bisschen Dehnen, und heute war ich dann wieder auf meinem Heimtrainer-Fahrrad im Schlafzimmer. Beim Radfahren habe ich mir einen Dokumentarfilm über Charlie Chaplin angesehen - und zwar als er so alt war ich wie jetzt, 86. Da konnte er wohl nicht mehr gehen. Er saß nämlich im Rollstuhl. Ich dachte: Wie schrecklich, das passiert uns früher oder später allen. Wir werden krank und sterben.
Woody Allen: Gute Gesundheit dank guter Gene
Da haben Sie es! Sie haben auch an den Tod gedacht!
Aber die Gedanken über Sex favorisiere ich eindeutig. Meine gute Gesundheit habe ich sicher meinen guten Genen zu verdanken - meine Eltern waren um die 100 Jahre alt, als sie starben. Hilfreich ist sicher auch, dass ich in meiner Jugend sportlich war. Ich habe Gewichte gestemmt, bin viel Rad gefahren, habe Baseball und Basketball gespielt und habe auch immer sehr gesund gegessen. Das kommt mir heute zugute. Ich habe bisher noch keine Abnahme meiner kreativen Kraft gespürt. Ich habe immer noch den großen Drang, etwas Neues zu schaffen. Und ich habe auch immer noch große Lust, meine Frau ins Schlafzimmer zu entführen.
Sie haben wiederholt gesagt, dass Sie noch kein Meisterwerk zustande gebracht haben. Was ist mit "Der Stadtneurotiker", "Manhattan", "Radio Days" oder "Bullets Over Broadway"? Sind Sie nicht zu bescheiden?
Nein, nur realistisch. Keiner dieser Filme kann im gleichen Atemzug genannt werden wie das größte amerikanische Theaterstück "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams. Verfilmt von einem der besten amerikanischen Regisseure, Elia Kazan, mit dem besten Schauspieler der Welt - Marlon Brando - und nicht zu vergessen der wundervollen Vivien Leigh. Das ist ein Meisterwerk! Oder denken Sie an Meisterwerke von Ingmar Bergman, Buñuel, Truffaut, Fellini…
Alles große Filmemacher, denen Sie in "Rifkin's Festival" die Ehre erweisen.
Ja, ich wollte sie auf meine Art mit einer kleinen Hommage ehren. "Rifkin's Festival" ist ein Film für Menschen, die den Kinofilm lieben. Ich bin da ganz auf der Seite der Figur von Mort Rifkin, der diese großen Filmemacher ja auch alle sehr schätzt. Ich schaue mir zum Beispiel zum 100. Mal Vittorio de Sicas "Fahrraddiebe" an und habe immer noch Tränen in den Augen. Erst gestern habe ich mir mit meiner Frau wieder mit großem Vergnügen "Frau ohne Gewissen" von Billy Wilder angesehen. All diese großen Filme haben mein Leben ungemein bereichert. Und tun es immer noch.
Ist Kino als Kunstform im Aussterben begriffen?
Ich hoffe nicht, aber es ist ein Kampf ums Überleben. Leider haben sich die meisten großen Filmstudios dazu entschlossen, das Geld fast nur in Blockbuster zu investieren. Sie wollen mit 100 Millionen Einsatz mindestens 500 Millionen machen. Anstatt 20 Millionen für einen Film zu riskieren, der dann nur 30 Millionen einspielt. Hinzu kommt auch, dass es mittlerweile sehr viele Streaming-Angebote im Fernsehen gibt. Das hat dem Kinofilm sehr geschadet. Ich kenne viele Leute, die mir versichern, dass sie liebend gern ins Kino gehen, um sich Filme anzuschauen und sich danach mit Freunden bei einem Dinner über den Film auszutauschen. Aber ich habe den Verdacht, dass sie das nur alle Jubeljahre machen. Es gibt nämlich viele gute Gründe, sich aufs Sofa zu setzen und sich berieseln zu lassen: Es regnet, es ist kalt draußen, ein Kinobesuch kostet, man findet keinen Babysitter.
"Kinokultur ist verschwunden"
Wenn Sie Ihren Töchtern Geld fürs Kino geben. . .
… dann sehen sie sich natürlich Blockbuster-Filme an. Aber das ist für mich schon okay. Abgesehen davon sind in New York viele Kinos, in denen Filmklassiker gezeigt wurden, längst eingegangen. Filme wie "Rashomon", "Sie küssten und sie schlugen ihn" oder die Filme von Fassbinder und Herzog, die wir alle so gern im Kino angeschaut haben: Diese ganze Kinokultur ist verschwunden. Das trifft leider auch auf die Buchläden zu. Heute bestellen sich die Leute ihre Bücher über Amazon oder gehen, wenn überhaupt, in die großen Buchladenketten. Da gibt es kein Flair mehr. Wie schön war es doch früher, in Buchläden herumzustöbern. Da konnte man mitunter ganz herrliche Entdeckungen machen. Und während man sich dort herumtrieb, traf man häufig auch ziemlich attraktive Frauen.
Ihre Filme haben bei aller Tiefe eine "gewisse Leichtigkeit des Seins". Wie machen Sie das eigentlich?
Ich bin ehrlich. Ich sage und schreibe und inszeniere nur das, was ich wirklich denke und fühle. Und ich glaube, das spüren die Leute. Ich glaube auch, dass einige dieser Leute ähnlich fühlen und denken wie ich. Sie - wir - verstehen uns. Deshalb können wir auch miteinander auf diese Weise kommunizieren. Was sehr schön für mich ist. Natürlich erreiche ich damit nicht die Massen, die ein Tom-Cruise-Film zieht.
Das wünschen Sie sich doch nicht wirklich, oder?
Ach, ich hätte nichts einzuwenden, viel Geld mit meinen Filmen zu verdienen. Glücklicherweise hatte und habe ich immer genügend Zuschauer, um weitermachen zu können.
Ist es für Sie schwieriger geworden, Ihre Filme finanziert zu bekommen? Vor allem nachdem in den letzter Zeit die Gerüchte von sexueller Übergriffen wieder hochgekocht wurden, obwohl sie alle längst juristisch widerlegt sind ?
Nein, ich bekomme zum Glück immer noch genügend Geld zusammen. Und es liegt ein großes Missverständnis vor, wenn Sie glauben, dass es früher einfacher gewesen wäre. Vom ersten Film an - "Woody, der Unglücksrabe" - hatte ich immer Schwierigkeiten. Die Studios gaben mir immer viel zu wenig Geld und sagten, ich solle doch meine Gage dafür verwenden, den Film zu drehen. Wenn ein Film drei Millionen Dollar kosten sollte, gaben sie mir eine Million.
Müssen Sie eigentlich aufpassen, was Sie zeigen oder sagen? Gibt es - im Zeitalter der Cancel Culture - eine Schere in Kopf von Woody Allen?
Nein, ich mache das, was ich mache, ohne Selbstzensur. Und was die Cancel Culture betrifft: Das ist ein Krebsgeschwür, das bald der Vergangenheit angehört. In fünf oder zehn Jahren, wenn die Menschen darauf zurückblicken, werden sie beschämt sein, dass das einmal so allgegenwärtig war und viel Schaden angerichtet hat.
Haben Sie schon Ihren nächsten Film in der Pipeline?
Ja. Nur so viel: Er spielt in Südfrankreich und ist ein Psychothriller, ähnlich wie "Match Point".
"Rifkins Festival" startet am Donnerstag im deutschen Kino.
- Themen:
- Amazon
- Christoph Waltz