"Wonka" mit Timothée Chalamet: Nicht singen, bitte!

Johnny Depp ist aus der frühdigitalen Kinowelt 2005 noch in Erinnerung: mit wächsern-blassem, glattgezogenem Gesicht, dubios, sanft pervers. Angezogen mit purpurnem Gehrock und übergroßem Zylinder war er der Fabrikant Willy Wonka in Tim Burtons Verfilmung von Roald Dahls "Charlie und die Schokoladenfabrik", einem als sadistisch und rassistisch angefeindeten Kinderbucherfolg seit 1964.
Jetzt geht "Paddington"-Regisseur Paul King der Vorfrage nach: Wie wurde dieser skurrile, erfinderische Typ und Magier zum Schokoladenfabrik-Millionär? Und schon landet Timothée Chalamet als junger, sanft exzentrischer, jedenfalls naiv-netter Typ im Winter mit einem Schiff im Europa der Belle Epoque mit ihren großen überglasten Einkaufsgallerien, wo Chocolatiers ihre Edelboutiquen haben.

Paul Kings "Wonka": Timothée Chalamet kann vieles, aber nicht singen
"Wonka" ist auch ein Musicalfilm, und so singt sich Chalamet die ersten Minuten durch eine Großstadt, die Paris, London oder Amsterdam sein könnte, wo er schon nach wenigen Stunden pleite ist. Sofort fällt einem Charles Dickens sozialkritische Welt ein, wenn Wonka als hilflos ausgelieferter junger Arbeiter in der Wäscherei einer sadistischen Ausbeuterin (Olivia Colman) landet.
Zuvor hatte er bereits Bekanntschaft mit der Polizei gemacht, als er seine spektakuläre Zauberschokolade vor Edelgeschäften verkaufen wollte und einen Massenauflauf verursachte. Aber jetzt beginnt die Geschichte von Ausbruch, Aufbruch und dem Versuch, eine Art Schokoladen-Disneylandladen zu eröffnen, der mit Tanz-Rampen, Zuckerwattenwolken, Candy-Blumen und einem großen Schokoladenbaum in der Mitte ein Höhepunkt an Pomp, Zirkus und Witz des Filmes ist.
Roald Dahls anarchischer Spirit bleibt erhalten
Regisseur Paul King hat viel von dem subversiven, anarchischen Geist Roald Dahls gerettet: Alles ist leicht surreal – in seiner pompösen Kulissen- und Traumhaftigkeit. Es gibt einen korrupten Klerus von Schokodrogen abhängigen Mönchen (mit Rowan Atkinson als Abt). Der arbeitet mit einem manchester-kapitalistischen Schokokartell zusammen, bestehend aus drei Oligarchen. Einer davon muss sich übergeben, wenn das Wort "arm" fällt, und so seine Verdrängung sozialer Missstände nicht mehr funktioniert.
Die Drei haben ein unterirdisches Geheimbüro und Flüssigschokodepot unter der Kathedrale, wo sie den Polizeichef, ebenfalls schokosüchtig, komplett korrumpieren und so jeglicher Strafverfolgung entgehen. Willy Wonka wird sich mit ihnen robin-hood- und till-eulenspiegelhaft anlegen. Und nicht immer geht es ganz logisch zu, so wenn plötzlich in die geheimnisvollen Schokorezepte Wonkas eine Giftmischerin Yeti-Schweiß beimengt und allen Schokoessern extrem bunter Haarwuchs befällt – inklusive Damenbärten.
Eine kleine Schwäche des Films ist die Musical-Idee, die an "Mary-Poppins" erinnert, weil Chalamet einfach nicht singen kann. Auch ist er zu nett, zu wenig verrückt, um später selbst zum irrwitzigen Schokoladenfabrik-Magnaten zu werden. Einen leichten antideutschen, witzigen Spleen hat die Geschichte auch, wenn die knechtende Wäschereibesitzerin erotisch weichgekocht wird durch ihr Faible für hässliche deutsche Aristokraten – hier in Form eines vermeintlich bayerischen, dumpfbacken-sadistischen Barons in Lederhosen. Und warum heißt einer der mafiösen Schokokartell-Oligarchen Fickelgruber? Aber das sind Nebensächlichkeiten.
Etwas zu süßlich ist dann doch die Moral, dass man glücklich wird, wenn man (Schokolade) teilt und damit die Welt stückchenweise zu einem besseren Ort macht.
Der Vorwurf des Rassismus' ist mit Hugh Grant vom Tisch
Und was ist mit den Oompa Loompas? Roald Dahl hatte schon zu Lebzeiten aus dem von ihm erfundenen, halbnackten afrikanischen Pygmäenvolk, dessen Kakaobohnenschätze Wonka ausbeutet und es versklavt, unter Druck etwas Neutraleres gemacht: blasse Zwerge mit bunten Haaren und Kleidung.

Hugh Grant ist jetzt so ein digital verkleinerter Oompa Loompa in einer dandyhaften, dubiosen, einsamen Nebenrolle – ein schillernder, bizarrer Außenseiter, wie es eigentlich Wonka selbst sein müsste.
Kino: Cadillac, Royal, Arri sowie City, Leopold, Monopol (auch OmU), Cinemaxx, Gloria, Mathäser (auch OV) und Cinema, Museum (OV)
R: Paul King (USA, 110 Min.)