Wolfgang Ettlich: Ein melancholischer Realist
Hof/München - Wie oft er schon in Hof war, kann Wolfgang Ettlich gar nicht genau sagen. Als Besucher jedenfalls schon seit Ende der 1980er Jahren, erstmals 1991 mit dem eigenen Film "Ausgerechnet Bananen". Mit seinem Kameramann Hans-Albrecht Lusznat reiste er kurz nach der Wende in die untergegangenen DDR, "eine Expedition in ein unbekanntes Land", sagt er. "Als die Mauer fiel, musste ich mir das angucken, ich bin in Neukölln an der Mauer groß geworden, oft nach Ostberlin gelaufen, um mir eine Cola-Brause für 20 Pfennig zu kaufen."
Die Erlebnisse in Orten wie Zittau, Zschopau, Forst oder Chemnitz ließen ihn nicht los. Immer wieder besuchte das Duo, das seitdem bei allen Filmen zusammen arbeitete, die neuen Bundesländer, besuchte alte Plätze, erneuerte Freundschaften.
Von Doris Dörrie und Sönke Wortmann aufs Filmen gebracht
In Hof präsentiert der in München lebende Ettlich die Doku "Deutschlandreise - Ein Roadmovie zwischen Gestern und Heute", eine Wiederholung der Reise 30 Jahre später. Sein siebter "Hof-Film", und zugleich sein Abschiedsfilm. Da schließt sich der Kreis.
Im Kontrast zu den alten Aufnahmen werden Veränderungen sichtbar. Es geht nicht nur um den äußern Wandel, sondern auch um den inneren, um das, was die Wiedervereinigung mit den Menschen gemacht hat. Die intensive Spurensuche nach Befindlichkeiten ist manchmal von Nostalgie geprägt, wie von Hoffnungen und Enttäuschungen.
Da bedauert die einstige SED-Bürgermeisterin "früher waren wir eine Familie, jetzt geht nichts mehr", ein Lehrerehepaar möchte nie "in die DDR zurück, das wäre das Allerletzte", der Verkäufer in der Hühnerbraterei urteilt salomonisch: "Die einen sind glücklich geworden, die anderen nicht."
Filmer Schumann: "Früher Ideologie, heute Geld"
Fazit: Man hat das Beste aus der DDR und dem Leben dort gemacht, aber man möchte sich auch nicht alles schlecht reden lassen. Herausgeputzte Marktplätze sind kein Garant für Zufriedenheit oder ein einig Volk. Der DDR-Filmemacher Schumann bringt es auf den Punkt: "Früher herrschte Ideologie, heute das Geld."
Im Jahre 1968 wollte Ettlich raus aus der eingemauerten Stadt und zog mit ein paar Freunden nach München. Er hatte von der Kommune 1 mit Fritz Teufel, Rainer Langhans und Uschi Obermeier gehört, eine "traumhafte Sache", wie er fand: "Wir haben dann eine WG in der Elisabethstraße aufgemacht und sagten, dann sind wir Kommune 2. Wir waren eine glückliche Generation damals, das Leben war für junge Leute weniger kompliziert als heute ".
Liebe für Schwabing
Schnell entdeckte er seine Liebe für Schwabing, wo er seitdem lebt und dem Viertel 2006 mit dem Film "Schwabing - Meine nie verblasste Liebe" ein Denkmal setzte und zwei Filme über den Wandel in der Hohenzollernstraße drehte. Vorher betrieb er die Kultkneipe "Jennerwein", ab 1976 die Kneipe und Kleinkunstbühne Heppel & Ettlich mit seinem Jugendfreund Henry Heppel, später zog er mit dem Theater Heppel & Ettlich über den Drugstore am Feilitzschplatz.
Parallel dazu entdeckte er das Filmemachen mehr zufällig, wie er erzählt. Durch Doris Dörrie, die er am Tresen kennenlernte und Sönke Wortmann, mit dem er Fußball spielte. "Über die bin ich überhaupt auf die Idee gekommen, einen Film zu machen, den Punker Ollie fünf Jahre zu begleiten." Eine Langzeitbeobachtung über Jahrzehnte, 1994 lief in Hof "Irgendwie Power machen - 15 Jahre im Leben des Oliver N.".
Freunde nennen ihn "Wolle"
"Wolle", wie ihn seine Freunde nennen, fühlt sich trotz mehr als 70 dokumentarischen Lang- und Kurzfilmen nicht als "klassischer Filmemacher". Seine Wege führten ihn auch ins Ausland wie nach China "Bitter essen - China - Eine Reise in den toten Winkel" (2014) oder New Orleans "New Orleans - City of Jazz" (1996).
Die diesjährigen Filmtage genoss er noch einmal in vollen Zügen, auch wenn Corona-Maßnahmen die berühmten langen Festivalnächte verkürzten und das legendäre Fußballspiel in ganz neuer Form nur digital stattfand. Ettlich, 2017 mit dem "Filmpreis der Stadt Hof" ausgezeichnet, erinnert sich gerne an seine Zeit im Fußballteam der Hofer Filmtage, war er doch nach eigener Aussage "so etwas wie der Günther Netzer im Team".
Schluss mit Filmen - ohne Traurigkeit
Jetzt will er mit dem Filmemachen aufhören, ganz ohne Traurigkeit. Mit 72 Jahren fühlt er sich als "melancholischer Realist". Es sei doch toll, dass er bis jetzt Filme realisieren und Menschen beobachten konnte: "Ich empfinde ein komisches, aber stolzes Gefühl, weil ich quasi aus dem Nichts heraus viel gemacht habe."
Seinen Hang zu Langzeitbeobachtungen erklärt er damit, dass ihm schon immer Kontakte mit anderen interessierten, beginnend als Jungpostbote in Berlin, während des Studiums der Kommunikationswissenschaft und Politologie nach dem Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg, später als Kneipier und letztendlich in seiner Bestimmung als Dokumentarfilmer.
Was will er tun? Nur noch Enten im Englischen Garten füttern? Darüber lacht er herzlich: "Keine Angst. Ich möchte ein Buch schreiben mit dem Titel 'Papa warum haben wir keinen Eigentumswohnung?' Das hat mich mal meine Tochter gefragt, weil die Eltern ihrer Mitschüler alle eine besaßen. Und ich möchte vom Abenteuer Leben erzählen, von spannenden Begegnungen und Überraschungen, von der Lust am Filmemachen."
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