Wir können auch anders

Maren Ades Beitrag "Toni Erdmann" ist die große Überraschung beim Filmfestival in Cannes
von  Adrian Prechtel
Auch wenn es nicht so ausschaut: Sandra Hüller (links) und Peter Simonischek haben mit Regisseurin Maren Ade die Kritiker begeistert und zum Lachen gebracht.
Auch wenn es nicht so ausschaut: Sandra Hüller (links) und Peter Simonischek haben mit Regisseurin Maren Ade die Kritiker begeistert und zum Lachen gebracht. © dpa

Maren Ades Beitrag "Toni Erdmann" ist die große Überraschung beim Filmfestival in Cannes

In Cannes wird gerade über Deutschland diskutiert: nicht wegen der politischen Dominanz der human-eisernen Kanzlerin, sondern wegen einer Sache, für die wir weniger berühmt sind: Humor!

Denn nach acht Jahren Wettbewerbs-Dürre in Cannes ist „aus dem Nichts“, wie es der Aufsichtsrat von German Films, der deutschen Filmlobby, Peter Herrmann sagt, ein deutscher Film erschienen. Und der steuert geradewegs auf die Goldene-Palmen-Gala am Sonntag zu: „Toni Erdmann“ von Maren Ade.

Schon in der Pressevorführung wurde auffallend viel gelacht, und es gab – völlig ungewöhnlich – mehrmals Zwischenapplaus. So als Sandra Hüller als karrieregeile Unternehmensberaterin von ihrem nervigen Zausel-Vater (Peter Simonischek) mit einem Überraschungs-Coup gezwungen wird, auf einer netten bildungsbürgerlichen Feier in Bukarest genervt Whitney Houstons „The Greatest Love of All“ zu singen. Hier steckt alles drin: ihre Kindheitserinnerung und das Gefühl, keine Liebe gefunden zu haben.

Das Großartige an dem deutschen Wettbewerbsbeitrag ist, dass er alles in Balance bringt: Komödiantisches, das oft droht, ins Bizarr-Peinliche abzugleiten, weil Simonischek einen kauzigen Spaßvogel („Toni Erdmann“) spielt; und Tragisches, weil Sandra Hüller das Produkt unserer wertelosen Kapital-Gesellschaft ist, dabei aber immer stark genug, die Grausamkeiten des Lebens auszuhalten, ohne Selbstmitleid oder Sentimentalität.

In alledem ist „Toni Erdmann“ elegant, dabei unverblümt, immer makellos ohne Beschönigung und vor allem tragisch-humorvoll. Ganz unkitschig werden alle Sinnfragen gestellt: nach dem Generationenverhältnis, Zielen und „Glück“, von dem Ines zu ihrem Vater sagt: „Das ist eine relative Sache.“

Eine Chance auf die Palme

Aber alle glauben hier in Cannes, dass „Toni Erdmann“ auch ohne viel Glück eine Goldene Palme gewinnen könnte, auch wenn der Wettbewerb auf extrem hohen Niveau ist. Die Britin Andrea Arnold hat mit „American Honey“ ein Road-Movie gedreht, in dem Spätjugendliche als Drückerkolonne durch die US-Kernstaaten fahren, um an Haustüren Zeitschriften-Abos abzuschließen. Und dieses „On the Road“ ist kein Freiheitsversprechen mehr, sondern – bei allem Feiern in der Ersatzfamilie der Gruppe – vor allem getrieben von Einsamkeit und verzweifelter Suche nach etwas Geld. Aber auch hier steht am Ende ein Hoffnungsschimmer.

Das größtmögliche Kontrastprogramm zum packenden Neorealismus vieler Festivalfilme war das Geschenk, das Steven Spielberg außer Konkurrenz Cannes machen wollte, indem er seinen neuen Fantasy-Familienfilm „The BFG“ hier präsentierte. Es wurde eine Enttäuschung. „The Big Friendly Giant“ nach Roald Dahl war langweilig, dramaturgie- und atmosphärelos. Der als „neuer E.T.“ erwartete Film hatte statt des familientauglichen Außerirdischen einen netten Riesen in einer fernen Welt, und aus dem Jungen-Freundschafts-Abenteuer ist eine moderne Mädchen-Monster-Beziehung mit einer völlig blassen Darstellerin (Ruby Barnhill) geworden. Kein belebender Hauch schwarzen britischen Humors verscheuchte die Biederkeit. Und als am Ende englische Queen in Spiel kommt, merkt man, dass die Amis halt doch kein Gespür haben für Noblesse.

Können die Deutschen auch feiern?

Wunderbar passend ist dieses Unvermögen in hard-boiled Detektiv-Geschichten: Ryan Gosling (good Cop) und Russell Crow (bad Cop) zogen konkurrenzlos als „The Nice Guys“ eine 70er-Reminiszenz-Show ab in den Straßen von Los Angeles. Viel amüsierter Applaus, nichts Besonderes. Denn das bleibt hier dem Wettbewerb überlassen, wie Jim Jarmuschs poetische Feier des Alltags eines Busfahrers (Adam Driver) in New Jersey: „Paterson“ ist liebevoll mit viel sanftem Humor.

Und nachdem die Frage nach dem deutschen Humor in Cannes mit „Toni Erdmann“ ja auch schon zugunsten von uns Teutonen geklärt war, blieb die zweite Frage: Aber können die Deutschen auch feiern?

Die spätklassizistische Villa Rothschild, heute die Bibliothek der Stadt, war für den deutschen Empfang angemietet. Sie war schon einmal „deutsch“, als Kommandatursitz der Wehrmacht während des Vichy-Regimes. Und hier bei Pfälzer Wein fiel der Gegensatz auf zwischen German Films und Hollywood. Amerikaner sind zwar oft peinlich enthusiastisch, wenn es um die patriotische Feier eigener Leistungen geht.

Zum deutschen Empfang hingegen war die Kulturstaatsministerin „aus persönlichen Gründen“ gar nicht erst angereist, das Filmteam um Maren Ade musste fast auf die Bühne komplimentiert werden, und keiner von ihnen ergriff das Wort, um eine stolze Stimmung zu erzeugen. Vielleicht fehlt uns gar nicht so sehr der Humor, eher – von Oktoberfest, WM und Karneval abgesehen – eine generelle, befreiende Feierlaune.

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