Interview

"Willkommen in Siegheilkirchen": Ein Rotzbub, den wir mögen

"Willkommen in Siegheilkirchen": Marcus H. Rosenmüller über die Kunst von Manfred Deix, seine eigene Kindheit und die Bedeutung von Stammtischen
von  Florian Koch
In den Animationen, die auf den Erinnerungen und Karikaturen von Manfred Deix beruhen, wird es auch mal lustig derb.
In den Animationen, die auf den Erinnerungen und Karikaturen von Manfred Deix beruhen, wird es auch mal lustig derb. © Aichholzer Film / Filmbüro Münchner Freiheit

AZ-Interview mit Marcus H. Rosenmüller. Der 48-jährige in Tegernsee geborene Regisseur und Autor erhielt gleich für sein Debüt "Wer früher stirbt ist länger tot" den Bayerischen Filmpreis. Zuletzt war er im Kino mit der Komödie "Beckenrand Sheriff" erfolgreich.

Es ist bereits 16 Jahre her, als Marcus H. Rosenmüller mit seiner Lausbubengeschichte "Wer früher stirbt ist länger tot" durchstartete.

Dass dieser Überraschungserfolg bis heute nachwirkt, beweist sein erster Animationsfilm "Willkommen in Siegheilkirchen". Der Typus des Wirtshaus-Buben, des eigenwilligen Sonderlings tritt auch hier wieder auf - wenn auch eine Nummer härter.

Auf der Kindheit in den 60ern des 2016 verstorbenen österreichischen Star-Karikaturisten Manfred Deix beruht diese freche Auseinandersetzung mit dörflichem Bierdimpfel-Rassismus und kirchlicher Doppelmoral, die vor einem Jahr bereits unter dem griffigeren Titel "Rotzbub" in die Kinos kommen sollte. Nach mehrfacher Corona-Verschiebung geht Rosenmüller nun auf Kinotour, um den eigenwilligen, aber sehenswerten Film dem Publikum näherzubringen. Morgen ist er in München.

Wie war Rosenmüller als Schüler?

AZ: Herr Rosenmüller, in Bayern könnte man die Hauptfigur mit ihren frivolen Zeichnungen als Bazi bezeichnen. Wie waren Sie denn selbst als Schüler?
MARCUS H. ROSENMÜLLER: An den Schabernack, den ich damals getrieben habe, kann ich mich leider nicht mehr so gut erinnern. Im Gegensatz zu Manfred Deix war ich als Junge aber kein Außenseiter, ich war eher der Typ Fußballer. Mit der Kunst bin ich erst später in Berührung gekommen. Bis auf eine Ausnahme.

Und die wäre?
Das Schreiben von Gedichten. Hier war ich schon früh inspiriert von Ringelnatz und Heinz Erhardt. Die Auseinandersetzung mit diesen Künstlern war für mich eine Initialzündung, die wirkliche Arbeit mit Bildern kam dann aber erst später. Das Talent zum Dichten ist bis heute noch nicht ganz da, aber weiterhin die Freude daran.

Deix war ein gnadenloser Karikaturist, der mit seiner Arbeit polarisiert hat. Das entspricht nicht unbedingt dem Bild, das man von Ihrer Arbeit hat.
Das ist eine interessante Betrachtung. Denn wahrscheinlich ist der Film, den ich jetzt mit Santiago (Anmerkung der Redaktion: Co-Regisseur Santiago López Jover) gemacht habe, am Ende viel sanfter, als wenn ihn Deix selber gedreht hätte. Ein Kriterium, warum ich diesen Film unbedingt machen wollte, war der Humor. Zum anderen ich sehe hier einen Künstler, der Angst vor dem Leben, Angst vor dem Schmerz, ja Angst vor der Kastration im Sinne einer Beschneidung seiner Träume hat. Und dieses Gefühl transportieren wir gleich in der ersten Szene.

In dieser erstaunlichen Geburtsszene gibt es dann auch ein kurzes Happy End.
Ja, aber zuerst wird dieses wohlige Gefühl aus dem Leben im Mutterleib sofort gekappt mit einer deftigen Hebamme, die einen gleich katalogisiert und einnordet. Erst dann wird dieser Rotzbub kurzfristig gerettet mit der überwältigenden Sehnsucht nach dem heimatlichen Busen der Mama.

Sie haben noch nie einen Animationsfilm gemacht, geschweige denn die Regie mit einem spanischen Kollegen aufgeteilt. Wie kann man sich die Zusammenarbeit denn vorstellen?
Da war viel Kommunikation nötig. Aber Santiago brachte auch sofort das Know-how aus dem Animationsbereich mit. Ich habe mit der Digital Light Factory, einer Animationsfirma in Salzburg, dann auch eine besondere Form des Castings für den Film gemacht: rein anhand der Figuren von Deix. Nur wenige wie den Rotzbub oder Mariolina haben wir neu erschaffen.

Deix hat Drehbuch noch selbst abgenommen

Deix war an der Entstehung des Projekts, bis kurz vor seinem Tod 2016, beteiligt. Was hat er Ihnen mitgegeben?
Ich war seit 2012 in dem Projekt involviert, habe ihn aber leider nicht mehr persönlich kennengelernt. Wichtig war mir vor allem, dass er das Drehbuch selbst noch abnehmen konnte. Gerade auch im Hinblick darauf, dass viel aus der Geschichte sich mit seiner eigenen Biografie deckt. So wie der Vater, der im Krieg seinen Arm verloren hat, das Wirtshaus, das die Familie besessen hat, oder seine reale Frau Marietta. Nicht zu vergessen seine Sexzeichnungen.

Vieles spielt sich hier im Wirtshaus ab. Mit einer Geselligkeit, die zu später Stunde auch in Bösartigkeit und Rassismus umschlagen kann. Haben Sie das auch so erlebt?
Nein, ich bin in Hausham ganz anders, fern von jedem Rassismus aufgewachsen. In meinem Fußballclub kamen die Kicker auch von überall her, aus der Türkei oder aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das Vereinsheim führten lange Zeit unsere tschechischen Nachbarn. Da war diese Mischung der Kulturen völlig normal. Was ich aber nachvollziehen kann, ist die Bedeutung von Stammtischen. Für mich war das als Kind Gesetz, was dort ausgesprochen wurde. Erst später habe ich die Meinungen dieser Lehrmeister dann auch mal angezweifelt. Wie es Deix ja auch getan hat.

Wie zeitgemäß ist für Sie noch die Satire von Deix?
Mehr denn je trifft er wunde Punkte, wirkt er für mich sogar aktueller als noch vor zehn Jahren. Man denke nur an rechte Parteien, die wieder im Kommen sind. Oder die Debatten darüber, was wieder gesagt werden darf, was eigentlich nicht gesagt werden sollte. Und dann wäre auch noch die Katholische Kirche, die ihren Missbrauchsskandal nach all den Jahren immer noch nicht zur Gänze aufgearbeitet hat. An die Skandale in der österreichischen Politik möchte ich hier gar nicht erinnern.

Was hebt Deix in seiner Anklage von anderen "Nestbeschmutzern" ab?
Ihm gelingt es, das Innenleben seiner Figuren nach außen zu kehren. Darüber hinaus kann man sich in seinen Mitläuferfiguren auch selbst erwischen. Die ständige Frage danach, für was und für wen man eigentlich steht, macht den Film heute so aktuell.

Sie haben dem bayerischen Humor bereits in einigen Filmen erfolgreich nachgespürt. Wie unterscheidet er sich Ihrer Meinung nach von dem unserer Nachbarn?
Die Ähnlichkeiten sind vorhanden. Aber ich glaube, dass die Österreicher etwas mehr in dunkle Ecken gehen. Das geht dann sicherlich auch mal ins Derbe, aber sie schaffen es auch immer wieder, diese Derbheit in Poesie zu verwandeln. Bei mir wird diese erwünschte Poesie, von einigen Ausnahmen abgesehen, leider oft kitschig.


Der Film startet am Donnerstag in den Kinos: City, Leopold, Rio

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