Wieder eine Pandemie-Berlinale: Bittere Coronatränen

"Safety is the new glamour" - ein panisch dummer Satz. So lautete ein Satz in der Absage der traditionellen und in der Filmbranche begehrte Berlinale-Party im Ritz Carlton. Das Medienboard Berlin-Brandenburg wünschte "Bleibt sicher glamourös".
Aus Sicherheitsgründen wurden jetzt die 72. Internationalen Filmfestspiele von elf Tagen um vier Tage auf sieben verkürzt - mit jetzt nur noch vier Publikumstagen - und das bei einem Festival, was mit 250.000 verkauften Karten in einem normalen Jahr - genau davon lebt. Geimpft, genesen, geboostert, zusätzlich einen täglichen Test, sowie FFP2-Masken, Reduzierung der Platzkapazitäten auf fünfzig Prozent, Tickets nur online. Hauptsache man bleibt in Präsenz und erlebt kein zweites Mal eine Online-Kastration.
Berlinale im Corona-Hotspot mit explodierenden Zahlen
Mit diesem pandemiebedingt veränderten Konzept kann nichts schiefgehen? So die Hoffnung. Allein es fehlt der Glaube. Berlin als Corona-Hotspot mit explodierenden Infektionszahlen, inzwischen schon einer Inzidenz über 1.500 in einigen Stadtbezirken, das ist nicht nur Herausforderung für die Organisatoren, sondern auch Risiko für die Teilnehmer: weniger für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ("Wir wollen, dass die Berlinale stattfindet") oder die bis dahin von Corona genesene Kulturstaatsministerin Claudia Roth beim gemeinsamen Flanieren über dem Roten Teppich, als für all diejenigen, die sich mit Bus, U- oder S-Bahn zu dezentralen Spielstätten durch die Stadt quälen oder sich vor Teststationen quetschen. Und wer möchte statt im Kino auf die Leinwand in der Quarantäne auf die Hoteltapete schauen?
Die Tourismusmesse ITB im März: nur im Netz. Das Festival in Palm Springs in Kalifornien: abgesagt. Nur digital das renommierte Sundance Festival Ende Januar in den USA. Große Teile der Berlinale wie der international wichtige EFM (European Film Market), der Co-Production Market, Berlinale Talents und der World Cinema Fund, wo sich die Filmbranche zum Networking trifft, sind komplett im Netz wegen der "hohen Begegnungsfrequenz".
Messe oder Kino - macht Omikron einen Unterschied?
Mal ganz ketzerisch: Sollte es der Omikron-Variante nicht egal sein, ob sie sich auf dem European Film Market tummelt oder im nur wenige 100 Meter entfernten Berlinale-Palast? Macht Omikron einen Unterschied zwischen Messe- und Kinobesuchern?
Wird es unter den diesjährigen rigiden Maßnahmen wirklich einen "Hauch von traditioneller Festivalatmosphäre" geben, wie das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian verspricht? Und das auch noch mit einem sicher extrem reduzierten Auftritt von Stars und Sternchen? Wer wagt denn überhaupt die Reise unter solch erschwerten Bedingungen?
Am Roten Teppich werden sich wohl nicht die schaulustigen Publikumsmassen drängen und auch nicht die Fotografen. Droht analog den Geisterspielen beim Fußball ein Geister-Festival? Ein funktionierendes Festival dient als Kontaktbörse, braucht Austausch, Gewusel, Spannung, Empfänge und vielleicht kleine Skandälchen.
Berlinale 2021: Corona-Kosten in zweistelliger Millionenhöhe
Für das rund 30 Millionen Euro teure Festival, das sich zu einem Drittel aus Zuschüssen und zwei Dritteln aus Einnahmen finanziert, geht Claudia Roth trotz Reduzierung sogar noch von zusätzlichen Corona-Kosten in Höhe eines "niedrigen zweistelligen Millionenbetrags" aus. Das lohne sich, denn "wir wollen mit dem Festival ein Signal an die gesamte Filmbranche, an die Kinos und Kinogänger und die ganze Kultur setzen. Wir brauchen das Kino, wir brauchen die Kultur".
Rissenbeek und Chatrian, die am Mittwoch ihr Programm vorstellen, sind um ihre Verantwortung nicht zu beneiden. 2020 konnte die Berlinale als eine der letzten Großveranstaltungen noch kurz vor dem ersten Lockdown in ausverkauften Sälen den Film feiern. Der Konkurrent Cannes hingegen, das größte und wichtigste Filmfestival der Welt, fiel aus.
Im vergangenen Jahr gab es dann die Berlinale nur noch digital für das Fachpublikum, das Ersatz-Kinofest im Sommer war nicht mehr als ein nettes Berliner Heimspiel ohne Starbesuche. Cannes hingegen konnte 2021 aufgrund einer Verschiebung in den Sommer schon wieder auftrumpfen. Die Mostra in Venedig im gesegneten September musste hingegen sogar kein einziges Mal ausfallen.
Natürlich befürchtet die Berlinale einen Imageschaden, sollte ihr Corona einen endgültigen Strich durch die Rechnung machen. Eine erneute sterile, vom Ort losgelöste digitale Ausgabe wäre keine Alternative für ein Weltfestival, das Signalwirkung nach Außen braucht. Aber wäre es wirklich "existenzbedrohend", wenn die Berlinale einfach ein zweites Mal ausfallen würde? Wohl kaum.
Berlinale: Starkes Programm könnte Zweifel zerstreuen
Die öffentlichen Gelder für dieses Prestigeprojekt würden sicherlich 2023 weiterfließen. Und ein starkes Programm im nächsten Jahr könnte jegliche Zweifel an der Bedeutung der Berlinale zerstreuen.
Man möchte allerdings gerne wissen, welche Filme aus dem diesjährigen Wettbewerb durch die Zeitverknappung "rausgeflogen" sind. Gemunkelt wird, dass Hans Christian Schmids Film über die Reemtsma-Entführung als gesetzt gilt.
Gespannt sein darf man jedenfalls auf den Eröffnungsfilm "Peter von Kant" von François Ozon, eine sehr persönliche Hommage an Rainer Werner Fassbinder mit Denis Ménochet, Isabelle Adjani und Hanna Schygulla. Der alerte Franzose, der mit wunderbaren Filmen wie "8 Frauen" ("Silberner Bär", 2002), oder "Gelobt sei Gott" ("Silberner Bär", Großer Preis der Jury 2019) nun zum sechsten Mal in Berlin präsent ist, gab sich vor wenigen Tagen im Gespräch mit der AZ ganz cool: "Ich freue mich riesig wieder in Berlin zu sein, der richtige Platz für meinen Film, quasi zum 50. Jubiläum von Rainer Werner Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant', der 1972 im Berlinale Wettbewerb Weltpremiere hatte. Ich will mich auch durch Corona nicht verrückt machen lassen, bin drei Mal geimpft und gehe davon aus, dass nichts passiert. Da bin ich Optimist". Ein Hauch von Zuversicht.