"Whitney Houston: I Wanna Dance with Somebody": Engel im Irdischen gefangen

Als am 11. Februar 2012 die Nachricht vom Tod der erst 48-jährigen Whitney Houston über Ticker und Twitter raunte, verstummten die Glamour-Partys am Vorabend der Grammy-Verleihung.
Drehbuch nimmt Rücksicht auf Houstons Familie
Der Film "Whitney Houston: I Wanna Dance with Somebody" erspart dem Zuschauer das Ertrinken mit einem Drogencocktail in einer Badewanne des Beverly Hills Hotel. Überhaupt wurde - wohl mit Rücksicht auf Familie und Rechteinhaber - durchaus geglättet, so dass Sex praktisch nicht vorkommt, auch wenn die lesbische Beziehung zu einer College-Studentin nicht geleugnet wird.
Auf und ab: Überforderung durch Ehe, Familie und Starrummel
Und diese Robyn Crawford (Nafessa Williams) wird der liebende Anker der Vernunft im Leben des abdriftenden Superstars bleiben, bis der Prügel-Rapper Bobby Brown (Ashton Sanders) den Lebensmenschen seiner Frau wegbeißen wird. Houston aber wird hier nicht masochistisch dargestellt, sondern trotz ihrer grundsätzlichen Stärke als überfordert - durch Ehe, Familie, Muttersein, Starrummel, Auftritte.
Totalabstürze zeigt der Film nicht
Was sie durch Aufputschmittel, Alkohol und Drogen überspielt. Aber explizit zeigt der Film auch diese Totalabstürze nicht. Überhaupt könnte sich ein Drehbuchautor einen Lebensweg nicht besser ausdenken: kometenhaftem Aufstieg zur Queen of Pop, nach Taumel, Abstürzen ein versuchter Neuanfang - und Tod.
Emotional, aber nicht kitschig
Hinzu kommt ein kaputtes Elternhaus: die Mutter (Tamara Tunie) streng und selbst Soulstar, also in Whitneys Kindheitstagen oft abwesend, und der Übervater, der, als seine Tochter am Zenit steht, sich als ihr zweifelhafter Manager vor allem selbst bereichert.
Bei allem emotionalen Überwältigungskino, das die Regisseurin Kasi Lemmons hier klassisch beherrscht, geht der Film nie in die Kitschfalle - so dass sich Houston am Ende mit ihrem Vater eben nicht versöhnt, sondern endgültig emanzipatorisch entzweit. Kurze Zeit später ist er tot.
Faszination: die Diva mit der in allen Lagen kraftvollen Stimme
"Whitney Houston: I Wanna Dance with Somebody" kann sich besonders auf zwei Dinge verlassen: erstens auf die Faszination, die Faszination der Diva mit der drei Oktaven umfassenden, in allen Lagen kraftvollen Stimme, die oben engelsgleich unschuldig wirken und in tieferen Lagen durchaus pantherhaft gefährlich klingen konnte.
Originalaufnahmen statt Cover
Der Film covert die vorkommenden 22 Songs auch nicht, sondern verwendet Originalaufnahmen. Denn es war eben die einzigartige Kunst Whitney Houstons, Gefühle stimmlich in die Unendlichkeit ausweiten zu können. Und es sind genau diese universellen, Bigger-than-Life-Gefühle wie Liebe, Sehnsucht und ein bisschen Lust, die auch diesen Film tragen, zu dem der Schriftsteller Anthony McCarten ("Die dunkelste Stunde" und "Bohemian Rhapsody") das Drehbuch schrieb.
Zweitens kann das Drama sich auf seine grandiose Darstellerin verlassen: die Britin Naomi Ackie, die Whitney Houston von Anfang an charmanten Stolz mitgibt und sie darstellerisch in alle Höhen und Tiefen souverän begleitet.
Ein Film mit feministischen Zügen
Sogenannter Sidekick ist Stanley Tucci als musikalischer Entdecker und Plattenlabel-Manager Clive Davis. Dass er homosexuell ist, spielt hier nur insofern eine Rolle, als dass der Film - angenehmerweise nur sanft - feministische Züge trägt: nicht nur, weil Houston als willensstarke Frau gezeichnet ist, sondern weil nur machistische Heteromänner (Mann und Vater) Whitney gefährden und sie zur "ihrer Prinzessin" machen wollen.
Frauen hingegen werden als letztlich verlässliche Gefährtinnen gezeichnet - wie die weicher werdende Mutter und eben die anfängliche Lebensgefährtin Rob. Auch gesellschaftliche Zusammenhänge des Aufstiegs Houstons zur Ikone in der Reagan-Bush-Ära, die die schwarze Musik, den Gospel, den Rhythm and Blues, den Soul von Protest, Schmutz und Schweiß befreite, werden thematisiert.
"So groß, dass man sie umarmen will, aber es nicht schafft!"
Houstons Pop war rassen- und klassenloser, globaler Pop und tief in die weißen Schichten gesellschaftsfähig, was Houston Ärger mit der schwarzen Community einbrachte.
In einer Szene fragt der sympathische Plattenboss Davis die junge Whitney, was sie für Musik machen wolle? "So groß, dass man sie umarmen will, aber es nicht schafft!", antwortet sie.
Kino: Rio (auch OmU), Mathäser (auch OV) sowie Museum (OV)
Regie: Kasi Lemmons (USA, 144 Min.)