"Lieber Kurt" in der AZ-Kinokritik: Weiterleben und Trauerarbeit
Die lichtdurchfluteten, an Werbung erinnernden Hochglanz-Bilder, die bedeutungsschwangeren Popsongs ("Little things can change the world" …) oder die aufdringliche Sexualisierung: Hier in Form vom "Einweihungsbumsen" im neu bezogenen Landhaus in Brandenburg. Die Handschrift von Til Schweiger erkennt man sofort.
Mal etwas anderes?
Und dennoch spürt man bereits in der ersten halben Stunde von "Lieber Kurt", in der das Patchworkglück um den Marketing-Experten Kurt (Til Schweiger), seinem pfiffigen sechsjährigen Sohn Kurt (Levi Wolter) und seiner, wie erwartet, deutlich jüngeren Freundin Lena (Franziska Machens) ausgebreitet wird: Dieser Film hebt sich von den nach "Honig im Kopf" auch kommerziell missglückten letzten Arbeiten positiv ab.
Wahrhaftigkeit im Zusammenspiel – es passt einfach
Die Chemie der Darsteller stimmt einfach, das Zusammenspiel wirkt bei allen Sex-Dialog-Peinlichkeiten ("Wir sind im Verkehr steckengeblieben") natürlich, nahbar. Einen hohen Anteil daran hat neben der klug-gewitzten Buchvorlage von Sarah Kuttner auch das Schaupielerteam.
Der junge Levi Wolter erinnert in seiner frechen Direktheit und seinem ungekünstelten Spiel an Julius Weckauf ("Der Junge muss an die frische Luft"). Eine regelrechte Offenbarung ist Franziska Machens. Das Ensemblemitglied vom Deutschen Theater Berlin gibt mit feingeistigem Charme und zurückhaltender Lässigkeit einen wunderbaren Konterpart zum anzüglich polternden Sprücheklopfer Schweiger ab. Und am Ende ist es auch diese Wahrhaftigkeit im Zusammenspiel, die den Film, bei aller Schwere des Themas, der bitteren Trauerarbeit oder gerade das Fehlen von ihr, sehenswert macht.
Das Leben danach...
Nach der beschriebenen, in Harmonie badenden ersten halben Stunde, legt Schweiger ganz plötzlich, der Vorlage entsprechend, den Gefühls-Schalter um, zeigt, wie der kleine Kurt vom Klettergerüst abstürzt. Schweiger beweist in diesen dunkelsten Momenten einer jeden Familie, dem Kindstod, viel Feingefühl, erspart drastische Bilder von Not-OPs und Ähnlichem. Ihm geht es um das Leben danach, den Schockzustand, der Unmöglichkeit zu trauern.
Am eindrucksvollsten sind dabei die Auftritte von Peter Simonischek ("Toni Erdmann") als einfühlsamer Vater von Schweigers Figur. In kurzen Sätzen demontiert er den hohlen Spruch von "Das Leben heilt alle Wunden", erklärt die Schwere der Tragödie auch für eine Paarbeziehung ("Du schaffst das nur, wenn du auf deine Gefühle hörst … Überleben ist etwas Egoistisches").
Schweiger entlastet die Zuschauer – manipuliert aber auch die Gefühle
Seine klugen Worte stellt Schweiger im Fortlauf der Handlung auf die Probe, beschreibt ein Auseinanderdriften von Kurt, der in seinem Schmerz auch egoistisch badet und Lena, die nur von draußen das Elend betrachten kann und darf und sich bald als so leise wahrnimmt, dass sie sich kaum mehr spürt. Würde der Film nur aus diesen intimen, anrührenden Momenten bestehen, wäre Schweiger Großes gelungen.
Doch auch vielleicht aus Angst vor einer weiteren Niederlage an der Kinokasse misstraut er der Kraft seiner Geschichte, setzt zu oft auf abrupte Rückblenden aus einer heilen Papa-Sohn-Welt, ohne Schmerz und noch mehr Leichtigkeit. Damit entlastet Schweiger vielleicht seine Zuschauer, manipuliert aber unnötig auch ihre Gefühle. Denn einen so coolen Buben wie Kurt würde sich wohl jeder an seiner Seite wünschen - und ein Leben ohne dieses fast unheimliche Ideal-Kind erscheint geradezu unvorstellbar.
Kino: CinemaxX, Mathäser
Regie: Til Schweiger (D, 136 Min.)
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- Til Schweiger