Was gibt es bei der Lola zu feiern?

Haben Sie schon einmal etwas von „Western“ gehört? Nicht dem Genre, sondern dem dritten Spielfilm von Valeska Griesebach? Nein? Kein Wunder. Denn in den deutschen Kinos wollten diesen Osteuropa-Western um deutsche Bauarbeiter in der bulgarischen Provinz nur 30 000 Besucher sehen.
Dennoch gilt „Western“ als einer von sechs Kandidaten für den „Bester Film“ bei der heutigen Verleihung der Lolas im Berliner Palais am Funkturm. Über die Gewinner entscheiden die rund 1900 Mitglieder der Deutschen Filmakademie. Mit drei Millionen Euro Preisgeld insgesamt ist der Deutsche Filmpreis der höchstdotierte Kulturpreis des Landes.
Mit immerhin 600 000 Besuchern dagegen ist „Aus dem Nichts“ der besucherstärkste Filmpreis-Kandidat in derselben Kategorie. Seit dem letztjährigen Cannes-Festival, bei dem Hauptdarstellerin Diane Kruger gewann, war Fatih Akins zudem mit dem Golden Globe gekröntes NSU-Drama im Gespräch und noch Monate danach in der engeren Auswahl für die Oscar-Nominierung.
Nicht weniger Besucher, sondern mehr Filme
Zwischen den Polen „Western“ und „Aus dem Nichts“ bewegen sich auch die Zuschauerzahlen der anderen Bewerber um den Deutschen Filmpreis als „Bester Film“: Für den eisenharten Weltkriegsfilm „Der Hauptmann“ konnten sich 55 000 Zuschauer erwärmen. Ein ebenfalls wahres Kapitel deutscher Geschichte, ein Stück zivilen Ungehorsams in der jungen DDR (Lars Kraumes „Das schweigende Klassenzimmer“) verfolgten über 200 000 Zuschauer in den Kinos. Und „In den Gängen“, die in einem Großmarkt spielende Liebesgeschichte zweier Angestellter (gespielt von Franz Rogowski und Sandra Hüller) startet kommende Woche.
Der Preisregen wird heute Abend aber wahrscheinlich auf den mit 10 Nominierungen höchst gehandelten Film niedergehen: Emily Atefs Schwarz-Weiß-Drama über Romy Schneiders letztes Interview. „3 Tage in Quiberon“ ist hierzulande vor zwei Wochen gestartet und dürfte den Prognosen zufolge etwa 150 000 Zuschauer in die Kinos ziehen.
Was aber hat sich in der Besucherlandschaft geändert, wenn ein Kunstfilm-Melodram wie „Jenseits der Stille“ von Caroline Link vor gut 20 Jahren noch 1,25 Millionen Zuschauer im Kino begeisterte? „Vielleicht 150 000 Zuschauer würde der Film heute noch bekommen“, schätzt Christian Pfeil, der in München das Monopol Kino und das Arena betreibt. Eine Oscarnominierung – wie damals – wäre heute immer noch ein kleiner Neugierde-Schub beim Zuschauer. Aber damit knackt ein Arthouse-Film nicht mehr die Millionen-Besucher-Schallmauer.
Auch Kunstkino findet sein Publikum
„Die Leute haben ein bequemes, riesiges Filmangebot in ihrem Wohnzimmer – billig und mit ein paar Klicks“, sagt Pfeil. Kunstkino erfolgreich zu zeigen, ist für Christian Pfeil dennoch „kein Hexenwerk“: Man müsse nur ein glaubwürdiger Ort für das richtige Programm sein.
Das bestätigt auch Fritz Preßmar vom Kino am Sendlinger Tor. Allein dort haben 30 000 Münchner „Aus dem Nichts“ gesehen, für den Betreiber einer seiner Kassenerfolge 2017. „Ich mache 60 bis 70 Prozent meines Kinoumsatzes mit deutschen Filmen“, sagt Preßmar. „Das ist eine dreimal so hohe Quote wie der Marktanteil der deutschen Filme in den deutschen Kinos eigentlich bundesweit ist.“
Den Erfolg von „Aus dem Nichts“ in seinem Kino begründet Preßmar mit der monatelangen Berichterstattung über den Film und der bleibenden Aktualität durch den NSU-Prozess. Das fördere die Neugier.
Preßmar hatte zuletzt auch riesigen Erfolg am Sendlinger Tor mit der Flüchtlingskomödie „Willkommen bei den Hartmanns“ oder „Honig im Kopf“, wo das Thema Alzheimer von Til Schweiger bei aller Traurigkeit letztlich liebevoll-heiter angepackt wurde: „Das ist der Schlüssel: gutes Unterhaltungskino, das dann sogar ein Drama sein kann“, sagt Preßmar, der sein Traditionskino mit 400 Plätzen unterhalten muss.
Den Publikumsschwund beim Kunstfilm bestätigt aber auch Preßmar. „200 000 ist heute eine Zuschauerzahl für einen deutschen Film, bei dem man von einem guten Erfolg reden muss. Und ab 100 000 Zuschauer kann ein durchschnittlich teurer Film mit der langjährigen Verwertungskette aus Kino, DVD und Straeming, PayTV, Fernsehen für eine Produzenten vielleicht rentabel werden.“
Die Masse der Filme kannibalisiert sich gegenseitig
Aber warum gilt ein Film heute schon als Erfolg, wenn er mit dieser Zahl vor Jahren noch ein Flopp gewesen wäre? „Heute werden doppelt so viele Filme ins Kino gedrückt!“, sagt Christian Pfeil. Knapp 600 Premieren waren es 2017.
Der Fehler liege also im System: „Solange Produzenten durch TV-Gelder und Förderungen nur am reinen Filmeproduzieren verdienen und nicht am Filmeverkaufen an der Kinokasse, wird sich da nichts ändern. So kannibalisiert sich die Filmmasse gegenseitig!“, sagt Pfeil. „Denn die Publikums- und Umsatzzahlen sind ja stabil!“. Stimmt: Jeder Deutsche geht seit Jahren ungefähr 1,5 mal im Jahr ins Kino, das – ebenfalls seit Jahren – etwas über eine Milliarde Umsatz macht. Die Zahl der Kinoleinwände ist bei gut 1600 in Deutschland stabil und nimmt sogar, wie die Zahl der Kinositzplätze (790 000), sanft zu.
Pfeil rät zum Umdenken. „Wir müssen weg von dem Zwang, dass jeder durchfinanzierte Film auch eine Kinoauswertung bekommt. Wir sollten weniger Debütfilme ins Kino drücken, die besser wären für eine reine Festivalauswertung. Für die anderen gilt: Kämpfen! Rumreisen, Kinotouren machen und sein Publikum gezielt suchen und aus Einzelterminen ein Event machen!“
Die Rolle der Filmförderung
Vielleicht muss man auch die Filmförderung überdenken: Die bundesdeutsche Filmförderung beträgt – alle nationalen und Länder-Förderungen zusammengezählt – über 350 Millionen Euro jährlich.
Allein der Film- und FernsehFonds Bayern kann fast 40 Millionen Euro zur Förderung des Filmstandortes ausgeben. „Aber von den geförderten Filmen sind nur 20 Prozent kommerziell in ihrem Rahmen erfolgreich“, schätzt Preßmar. Und von den wirklichen Publikumsmagneten würden zwei Drittel auch ohne Förderung entstehen. So waren die deutschen Besuchermillionäre des Jahres 2017 Dagtekins „Fack ju, Göhte 3“, die „Bullyparade“, „Bibi und Tina“, „Ostwind“ und Petersens „Vier gegen die Bank“.
Aber ein Problem für den Deutschen Filmpreis bleibt: Die Vorauswahlkommission der Lola bevorzugt anspruchsvolle Filme, die laut Regisseur Marc Rothemund, überwiegend unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen. „Vielleicht, weil die Damen und Herren denken: ein erfolgreicher Film braucht die Preisgelder nicht“, meint Rothemund gegenüber dem Branchenblatt „Blickpunkt Film“.
Das Publikum außen vor
Ein kommerziell erfolgreicher Film wie Rothemunds „Dieses bescheuerte Herz“ brachte es seit dem Start Ende Dezember auf über zwei Millionen Zuschauer. Aber er blieb bei den Nominierungen unberücksichtigt, wie schon im Jahr zuvor Rothemunds „Mein Blind Date mit dem Leben“, das rund 800 000 Zuschauer sehen wollten.
Erneut übergangen worden zu sein, hat für Rothemund das Fass zum Überlaufen gebracht. Er trat aus der Filmakademie aus – mit einem offenen Hintertürchen: „Ich werde mich jetzt aber nicht unter die entschiedenen Gegner der Filmakademie einreihen und wäre wieder dabei, wenn das Auswahlverfahren das Publikum nicht mehr außen vor lässt.“
Die undotierte Lola für den „besucherstärksten deutschen Film des Jahres“ geht in diesem Jahr übrigens an Bora Dagtekin für die Komödie „Fack ju Göhte 3“ mit mehr als 6 Millionen Besuchern.
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