Viele Stars sind kein Garant
Christian Mungiu begeistert in Cannes, Xavier Dolans Film ist trotz prominenter Besetzung eine herbe Enttäuschung
Wir wollen ja nur Dein Bestes“, sagen Eltern oft – und verhindern so eine freie Entscheidung von Kindern, die sie doch angeblich zu verantwortungsvollen Menschen erziehen wollten. Der sympathische und idealistische Chefarzt Romeo hat das bei seiner geliebten und von ihm überbehüteten Tochter sicher geschafft. Aber er will eine bessere Zukunft für sie und begibt sich aus Angst und Verzweiflung um sie auf korrupte Pfade.
In „Graduation – Abitur“ sind alle – wie in einer griechischen Tragödie – unschuldig schuldig. Aber auch wenn am Ende nichts mehr so ist wie zuvor, endet der tief menschliche Film des Rumänen Christian Mungiu nicht in einer Katastrophe, sondern in einem Neuanfang, in dem alle selbstbestimmter als zuvor in die Zukunft gehen.
Neben dieser Geschichte einer auseinanderbrechenden Familie mit Elementen eines Krimis, aber befreiendem Ende wird auch die verlorene Illusion eines Neuanfangs nach dem Ende des Kommunismus erzählt. Aber in diesem so treffenden Wettbewerbsfilm erkennt man vor allem viele Situationen und Fragen wieder, die einem selbst begegnen oder begegnet sind. Und so gelingt diesem Film etwas Wertvolles: mitfiebern mit psychologisch katalysatorischem Effekt.
Familie ohne Tiefe
Genau das, was dem 27-jährigen kanadischen Regiejungstar Xavier Dolan in Cannes nicht gelungen ist. In seinem Film „Just la fin du monde“ kehrt ein 34-Jähriger (Gaspard Ulliel) in sein Elternhaus zurück, wo seine jüngere Schwester (Léa Seydoux) noch festhängt, neurotisch gefesselt an den Kleinkrieg ihrer Eltern (Nathalie Baye und Vincent Cassell). Auch die andere Schwester (Marion Cotillard) ist für den ersten Besuch des Bruders nach 12 Jahren angereist.
Aber Dolan überzieht die Hysterien und gegenseitigen Verbal-Aggressionen so stark, dass alles wie eine Karikatur wirkt und damit unecht – und einen so kalt lässt. Das französische Superstaraufgebot verpufft entnervend, ohne die angedeutete familien-psychologische Tiefe entfalten zu können.
So ist nur mit „Graduation – Abitur“ ein neuer Film in den engeren Favoritenkreis gekommen, der gute Chancen hat, einen Preis zu gewinnen, auch wenn viele sagen: „Der Mungiu, der hat doch erst vor 2007 die Goldene Palme gewonnen mit ,Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage’“. Aber der neue Film hier ist noch einmal bewegender geworden.
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