Venedig: "Pornoskandal" um Nicole Kidman
Im Kino wird wenig geklatscht, gebuht oder gezischelt, auch Zwischenrufe sind eher selten: Man hat ja außer der Leinwand keinen Adressaten da vorne. Filmfestivals sind da eine Ausnahme. Und weil in den Premieren die Filmemacher anwesend sind, gibt es natürlich viel - auch höflichen - Applaus. Umso interessanter war es, als während der Premiere von Andres Veiels "Riefenstahl" zunehmend gezischt wurde.
Riefenstahls Haltung ekelt die Zuschauer
Aber es war keine Ablehnung des deutschen Dokumentarfilms über die berühmt-berüchtigte Regisseurin, sondern hier machte sich Wut und Ekel Luft über Leni Riefenstahl (1902 - 2003), wie sie sich als eitel, verlogen und letztlich auch inhuman in den zwei Filmstunden über sie entlarvte, obwohl ausschließlich Material aus ihrem eigenen Nachlass verwendet worden war. Ein subtiler Triumph des Filmes von Andres Veiel, einem künstlerisch großen filmischen Dokumentaristen deutscher Geschichte.

Verglichen mit emotional befreiendem Zischeln sind Zwischenrufe natürlich härter - und das noch in einer Pressevorführung am Lido, wo ebenfalls kein Mitwirkender im Saal ist. "Porno!", "Porno!", riefen empört einige Männerstimmen im Dunklen des Saals. Was verwunderlich ist, denn erstens war man in einem klassischen Spielfilm über eine mächtige CEO einer US-Logistik-KI-Firma, deren Ehe und Familie und Karriere plötzlich extrem gefährdet werden, als sie eine Sexaffäre mit einem Praktikanten (Harris Dickinson) anfängt, die dieser - instinktsicher für ihre versteckten Defizite - forciert. So ist man nicht sicher, ob man in einer klassischen #Metoo-Situation von Frauen ist, weil ja sie die mächtige Chefin ist. Aber ist nicht umgekehrt er in dieser SM-Beziehung der Dominante, sie die Hörige, was die ganze Diskussion ad absurdum führt. Aber wo war der Porno? Und hier auch noch gedreht von einer Frau, der relativ unbekannten, 48-jährigen Niederländerin, Halina Reijn?
Kidmans' Orgasmus: Das Röhren der Elche
Nicole Kidman war vor genau 25 Jahren am Lido mit Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut", worin sie nur darüber nachsinnt, ihren Mann (Tom Cruise) zu betrügen. Jetzt spielt Antonio Banderas den Mann, den sie nicht nur gedanklich betrügt. Die Kidman wird im Film wie ein Hund auf allen Vieren gehen und dem jungen Mann aus der Hand fressen, Milch aus einer Schale am Boden schlabbern und Orgasmen haben, bei denen sie stöhnt, wie man sich ein Elchröhren vorstellt. Für einen seit einigen Jahren am Set üblichen Intimacy Coordinator, der vor Sexszenen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern bespricht, wie und was gemacht wird, gab es diesmal wahrlich viel Arbeit.
Und es ist ein gutes Zeichen, dass Nicole Kidman mit 57 Jahren noch als sexy Ikone gezeigt werden kann, auch wenn ihre pubertierende Filmtochter über die Botox-Orgien lästert, denen sich ihre perfektionistische Erfolgs-Mutter unterzieht. Im Film jedenfalls, der in Deutschland wahrscheinlich sogar ab 16 Jahren durchgelassen werden wird, weil man letztlich keine Genitalien sieht, wird Nicole Kidman unter anderem rektal per Hand befriedigt, während in ihrem Gesicht sich der Orgasmus so ankündigt, dass Meg Ryan in "Harry und Sally" als lächerlich einpacken kann.

Bei alledem könnte man glatt vergessen, dass hier sehr intelligent und gegen ein zu einfaches wokes Gut-Böse-Schema weibliche Karrierechancen oder die Frage, ob die Welt mit Frauen an der Spitze eine ehrlichere, fairere wäre, diskutiert wird. Und gleichzeitig ist "Babygirl" noch eine subtile Satire auf unseren Konsumkapitalismus und seine verlogene Selbstdarstellung. Und trotz "Porno"-Rufen gab es am Ende auch ungewöhnlich viel Applaus.
Liebe oder besser Treue?
Den erntete auch die französische Komödie "Trois Amies - Drei Freundinnen", die wiederum Frauen im Fokus hatte, aber gedreht wurde von einem Mann. Vorsichtshalber hatte schon die italienische Cineasten-Zeitschrift "CIAK" angekündigt, dass Emmanuel Mourets Film von Eric Rohmer und Woody Allen inspiriert sei. Und wenn man dann den Film über die drei Freundinnen sieht, wird wirklich alles in ernsthafter Leichtigkeit durchgespielt: vor allem der Versuch, bürgerlich pragmatisch eine Beziehung zu führen, während man doch verführerischen Versuchungen ausgesetzt ist: Liebe oder Treue ist hier das Thema und die Frage, ob Affären ruinös oder belebend sind - für sich und die eigene Beziehung.
Das alles ist wunderbar geworden, vielleicht eine Nuance zu langatmig, aber jedenfalls nachdenkenswert und amüsant - französisch halt. Und Woody Allen sollte schon mal seine Anwälte in Stellung bringen. Denn wer seinen "Husbands and Wives" von 1992 kennt, traut seinen Augen und Ohren nicht… Was aber nicht das Schlechteste ist.
- Themen:
- Nicole Kidman
- Tom Cruise