Interview

Vadim Perelman zum Film "Persischstunden": "Ich wollte mitten ins Herz treffen"

Kann uns Sprache retten? Vadim Perelman inszeniert mit "Persischstunden" eine menschlich packende bizarre Geschichte für das Kino.
Margret Köhler |
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Nahuel Perez Biscayart (links) als Gilles und Lars Eidinger als Klaus Koch in einer Szene des Films "Persischstunden".
Nahuel Perez Biscayart (links) als Gilles und Lars Eidinger als Klaus Koch in einer Szene des Films "Persischstunden". © Alamode Film/dpa

Auf der Flucht in die sichere Schweiz wird ein jüdischer Belgier 1942 im von Deutschen besetzen Frankreich von der SS verhaftet. Vor der Erschießung bewahrt ihn die Notlüge, Perser zu sein.

Als Beweis dient ein persisches Buch, welches er von einem Leidensgenossen gegen ein Stück Brot eingetauscht hat. Das ist die Rettung - vorläufig.

"Persischstunden": Intensives Kammerspiel und trauriges Schelmenstück

Er landet in einem Durchgangslager bei einem Hauptsturmführer, der nach Kriegsende in Teheran ein Lokal eröffnen will. Der Gefangene, der sich nun Reza nennt und keine Ahnung von Farsi hat, soll ihm Farsi beibringen und erfindet in einer Welt des Grauens und der Grausamkeit Fantasieworte in einer Kunstsprache. In permanenter Angst, entdeckt zu werden, beginnt ein Ritt auf Messers Schneide.

In einem fulminanten Schauspielerduell messen sich Lars Eidinger als Nazi und der gebürtige Argentinier Nahuel Pérez Biscayart als "Sprachlehrer". Der in der Sowjetunion geborene und nach Kanada ausgewanderte Regisseur Vadim Perelman hat mit "Persischstunden" eine außergewöhnliche Geschichte, ein intensives Kammerspiel und ein trauriges Schelmenstück zugleich geschaffen.

Der Film ist eine Ode an den menschlichen Überlebenswillen und den Sieg menschlichen Geistes über eine menschenverachtende Ideologie.

AZ: Herr Perelman, inwieweit entspricht diese unglaubliche Geschichte den Tatsachen?
VADIM PERELMAN: Als Grundlage diente Wolfgang Kohlhaases Kurzgeschichte "Erfindung einer Sprache" von 1952, die auf wahren Begebenheiten beruhen soll. In ihrer Tragik, Situationskomik und emotionalen Wucht hat sie mich umgehauen. Ich habe dann weitere Fragmente anderer Überlebensgeschichten hinzugefügt. In so einem Übergangslager musste man nicht nur mutig, sondern auch verrückt sein und alle Fantasie einsetzen, um den Nazi-Schergen zu entkommen. All diese Eigenschaften zeichnen meinen Protagonisten aus. Ein Kriegsfilm interessierte mich nicht, davon gibt es inzwischen genug.

Perelman: "Lars Eidinger spielt die ganze Emotionsskala rauf und runter"

Wäre das auch Stoff für eine Komödie gewesen?
In Anbetracht des alltäglichen Grauens und Mordens bot sich eine Komödie nicht an, aber einige humoristische Momente habe ich mir erlaubt.

Lars Eidinger spielt Klaus Koch, den SS-Hauptsturmführer und Koch, der Persisch lernen will. Wie würden Sie diesen Mann charakterisieren?
Lars hat dessen Psyche genau verstanden, spielt die ganze Emotionsskala rauf und runter. Dieser Mann ist menschlich und zugewandt, dann wieder furchterregend, einfach dämlich und gleichzeitig smart, in einer Minute nett und zugänglich, kann aber in der nächsten explodieren. Und wie so viele Mitläufer und Profiteure des Hitler-Systems wäscht er seine Hände in Unschuld, wenn er sagt, er sei nur der Koch und kein Mörder.

Dass er trotzdem zwischendurch sympathisch wirkt, irritiert.
Diese Klischees von herumbrüllenden Nazis, die wie Roboter oder Automaten ihr tödliches Geschäft betreiben, halte ich für völlig überholt, so etwas verpufft schnell. Eindimensionale Figuren langweilen. Gerade die Ambivalenz dieses Mannes macht ihn zur spannenden Figur. Ich wollte keinen Aufguss des typischen Holocaust-Nazi-Movies liefern. Es gibt nicht das absolut Böse und das absolut Gute, sondern wichtiger sind die Grauzonen. Mein Ziel war es, den handelnden Personen eine gewisse Menschlichkeit zuzugestehen, nicht nur den Opfern, sondern auch den Tätern. Sie sind vielleicht Monster, aber auch ganz "normale" Wesen, sie lachen, lieben und sind eifersüchtig, pflegen Beziehungen und Freundschaften innerhalb der menschenfeindlichen ideologischen Struktur. Was sie anderen in ihrem Hass antun, wird dadurch noch schockierender, noch ungeheuerlicher. Solche barbarischen Verbrechen sind keine Ausnahmeerscheinungen oder nur Produkt einer bestimmten Situation. Sie können sich wiederholen, überall passieren, in jedem Land, zu jeder Zeit. Das ist das Schlimme, das Erschreckende.

Perelman: "Gerade junge Leute verlangen nach Gefühlen"

Ist Ihr Film deshalb auch eine Mahnung an die junge Generation, die kaum weiß, was passiert ist?
Auf jeden Fall, aber nicht nur. Ich wollte mitten ins Herz treffen, aber nicht moralisieren oder belehren, das kommt nicht an, wäre kontraproduktiv und einfallslos. Mit der Vermenschlichung klopfe ich den Nazis nicht auf die Schulter und entschuldige nie ihr Verhalten. Aber wenn ich sie in ihrer Gegensätzlichkeit zeige, kann der Zuschauer eine Verbindung zu ihnen aufbauen und sich fragen, wäre ich auch so feige gewesen, hätte ich vielleicht auch so gehandelt? Gerade junge Leute verlangen nach Gefühlen, da dürfen schon mal Trauer und Humor eine Allianz eingehen. Die meisten Überlebenden des Holocausts sind inzwischen gestorben, der Film ist für mich ein Mittel, Erinnerungen weiter zu geben, die bedrohte Erinnerungskultur wach zu halten.

Sie sind in der damaligen Sowjetunion und heutigen Ukraine geboren, stammen aus einer jüdischen Familie. War der Holocaust ein Thema im Elternhaus?
Die Angst steckte meinen Eltern in den Knochen. Obgleich Geschichte bei uns einen großen Stellenwert hatte und wir über vieles gesprochen haben, war der Holocaust privat ein Tabuthema, wurde der Begriff Jude nie in diesem Zusammenhang genannt. Wir lebten in Kiew nicht weit von der berüchtigten Schlucht von Babi Jar, wo Zigtausende Juden ermordet worden sind. Das wurde verschwiegen und vertuscht, offiziell nannte man die Zahl von 5.000 erschossenen Partisanen.

Perelman: "Wir kamen erst als Flüchtlinge nach Wien"

Fünf Jahre nach dem Tod ihres Vaters durften Sie als 14-Jähriger mit Ihrer Mutter die Sowjetunion verlassen.
Damals wurde die Auswanderung nach Israel erlaubt, aber mit harten Folgen. Wer ein Visa anfragte, verlor den Job, ich durfte anderthalb Jahre nicht mehr zur Schule gehen. Wir kamen erst als Flüchtlinge nach Wien und lebten in Armut, anschließend landeten wir in Rom. Erst später erhielten wir ein Visum für Kanada, ein Land mit ungeahnten Chancen.

Es geht in Ihrem Film auch um die Macht der Sprache. Was bedeutet diese für Sie?
Als wir Kanada erreichten, kannte ich vielleicht zehn Worte Englisch. Die Sprache zu lernen, war für mich die Rettung, man entdeckt sich neu mit einer neuen Sprache. Sprache heißt für mich auch Freiheit.

Wie haben Sie mit der Sprache im Film gearbeitet?
Das war eine ziemliche Herausforderung. Nahuel Pérez Biscayart, der den Gilles bzw. Reza spielt, ist Spanier und arbeitete mit einem Sprachcoach für die deutsche Sprache. Das Erfinden einer Sprache, die es gar nicht gibt, stellte eine kniffelige Aufgabe dar. Interessant fand ich, dass Koch in dieser fremden und eigentlich falschen Sprache ein Gedicht schreibt, darin kann er Gefühle ausdrücken, die er sich in seiner eigenen Sprache nicht traut.

Perelman: "Propaganda wirkt auch bei intelligenten Leuten"

In vielen Ländern gewinnen rechte Bewegungen an Bedeutung. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?
Natürlich bin ich schockiert. Deshalb müssen wir die Jungen auch zur Demokratie erziehen, sie aufklären. An ihnen hängt meine Hoffnung. In Deutschland wurde die Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet, das hilft vielleicht, die Gefahr des Rechtsradikalismus und neuen Nationalismus zu bannen. Viel mehr Sorge bereitet mir allerdings die Entwicklung in USA. Wehe die ökonomische Krise spitzt sich noch mehr zu, dann rufen die Menschen nach einem, der ihnen die Richtung weist, ihnen den Stolz zurückgibt. Wir dürfen uns keine Illusionen mehr machen, Propaganda wirkt auch bei intelligenten Leuten. Eine "Führerfigur", die einfache Lösungen verspricht, könnte da schnell ein leichtes Spiel haben.


"Persischstunden" startet am Donnerstag in den deutschen Kinos.

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