Mit Witz und Herz erzählt "Victoria - Männer und andere Missgeschicke" vom Absturz einer Frau und ihrer Wiederauferstehung.Andreas Fischer
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2016 Alamode Sie will doch nur lieb sein: Victoria (Virginie Efira) hat ihr Leben nicht mehr unter Kontrolle.
Der ziemlich bescheuerte Titel "Victoria - Männer und andere Missgeschicke" lässt Schlimmes befürchten, eine dämliche Geschlechterkomödie zum Beispiel. Oder eine dämliche Liebeskomödie
über eine Single-Frau in der Selbstfindungsphase Mitte 30. Vom Titel sollte man sich auf keinen Fall abschrecken lassen. Auch wenn die
Liebe eine Rolle spielt und der Sex, den die Titelheldin nicht hat. Auch wenn ein Kampf der Geschlechter ausgefochten - und vom wedelnden Schwanz eines Dalamatiners entschieden - wird. Justine Triets Film mit der grandiosen Virginie Efira in der Hauptrolle ist eine meisterliche Kinoperle, die Elemente der Komödie mit einer großen Portion Tragik vermischt, sensibel inszeniert ist und es schafft, dass in den aberwitzigsten Poltereien auch viele leise und weise Töne zu hören sind. Victoria sieht sehr gut aus, arbeitet als Strafverteidigerin und stampft mit wortgewaltigem Enthusiasmus durchs Leben. Das allerdings bereitet gerade einige unliebsame Überraschungen für die
alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern vor. Wobei Victoria nicht unschuldig an der existenziellen Krise
ist, die sich anbahnt. Sie kann nicht nein sagen kann und schafft es nicht, Privates und Berufliches zu trennen. So übernimmt sie wider besseres Wissen den Fall von Vincent (Melvil Poupaud): Dessen Ex bezichtigt ihn, sie mit einem Messer angegriffen zu haben. Das Problem dabei: Vincent ist ein guter Freund. Das macht Victoria angreifbar. Auch ihr Ex-Mann, der sie in seinem Blog mit zweitklassigen literarischen Versuchen diskreditiert, zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Und dann weigert sich Victoria auch noch sehr lange, Hilfe von dem einzigen
Mann anzunehmen, der es gut mit ihr meint. Sam (Vincent Lacoste), ihrem ehemaligen Mandanten, vertraut sie zwar die Aufsicht ihrer Kinder an. Dass der junge Mann
aber als einziger Mensch in Victorias Umfeld ihren Emotionsakku nicht aussaugt, sondern ihn aufladen kann, bekommt sie nicht mit, weil Victoria nur damit beschäftigt ist, Probleme zu lösen, indem sie sie einfach in den nächsten Tag schiebt. So etwas kann das Leben unnötig kompliziert machen, so kompliziert, dass weder der Psychologe noch Wahrsagerin helfen können. Die große Krise ist unausweichlich, Victorias Absturz eine logische Folge ihrer selbstverschuldeten Überforderung. Filmemacherin Justine Triet beobachtet Victoria dabei in einer zärtlichen Inszenierung mit viel Empathie. Die kluge Montage vermittelt das Gefühl der Überlastung, dem sich Victoria immer mehr ausgesetzt sieht. Alles passiert scheinbar gleichzeitig, und das ist etwas, das man sehr gut nachvollziehen kann. In ihrer erzählerischen Eleganz lässt Triet dabei genug Raum für Alltagskomik und Albernheiten, die ihrem Film etwas Unmittelbares geben, etwas Echtes. Etwa wenn das Gericht allen Ernstes einen Dalmatiner in den Zeugenstand ruft, um anhand des Schwanzwedelverhaltens festzustellen, ob Vincent schuldig ist. "Ich habe so selten einen Moment der Ruhe", gibt Victoria am Ende von 90 bemerkenswerten Filmminuten zu. Die zwischenzeitliche Verwahrlosung ist ihre Chance, ihr Leben neu zu kalibrieren.