"Tschick"-Regisseur Fatih Akin: "Ich wäre gerne vernünftig"

"Tschick" ist die meist erwartete Literaturverfilmung der letzten Jahre. Wie Regisseur Fatih Akin mit diesem Druck umgeht, verrät er im Interview.
von  (the/spot)

"Tschick" ist die meist erwartete Literaturverfilmung der letzten Jahre. Wie Regisseur Fatih Akin mit diesem Druck umgeht, verrät er im Interview.

Ein lauer Sommerabend in München - perfektes Wetter um mit Regisseur Fatih Akin (43, "Soul Kitchen") über seinen neuen Film "Tschick" zu sprechen. Die Geschichte handelt von zwei Jungs, die sich in einem blauen, klapperigen Lada aufmachen, die Welt für sich zu entdecken. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählte Akin, wie er an die Dreharbeiten herangegangen ist und welche Herausforderungen das Erwachsenwerden für zwei 14-jährige Jungs wie Tschick (Anand Batbileg) und Maik (Tristan Göbel) bereithalten kann.

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Wie geht man an die Verfilmung eines solchen Bestsellers heran - gerade wenn man wie Sie ins kalte Wasser geschmissen wird?

Fatih Akin: Man folgt seinem Instinkt. Zeit, um Strategien zu entwickeln hatte ich bei "Tschick" nicht. Ich habe viel mehr, als ich das bei anderen Filmen bisher gemacht habe, auf mein Bauchgefühl gehört. Das war auf jeden Fall eine sehr lehrreiche Erfahrung. Jede Erfahrung ist eine gute Erfahrung

Wo setzt man als Regisseur an, wenn man an eine Buchvorlage gebunden ist? Ist man geneigt, dem Ganzen seinen eigenen Stempel aufdrücken zu wollen?

Akin: Es ging darum, einen Roman, den ich liebe und der mir gefällt, in eine Film-Form zu übersetzen. So, dass das Ergebnis so vielen Leuten wie möglich gefällt. Aber Hauptsache war für mich, dass es Herrndorf gefallen hätte. Ich muss ja mit diesem Film leben. Ich wollte einen Film machen, für den ich mich nicht schämen muss. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, wie ich meine Handschrift mit rein bringe. Es mag Regisseure geben, die so etwas tun. Aber ich tick nicht so. Ich bin kein Hund, der sein Revier markieren muss, indem er an den Blumentopf oder an eine Hauswand pinkelt.

Aber ist der Druck bei einem Roman, den so viele Menschen gelesen haben, nicht unglaublich groß?

Akin: Dieser Druck besteht immer - egal auf welchem Material der Film basiert. Jeder Film muss seinen Zuschauer finden. Das Klügste, was man machen kann, ist, die Vorlage nicht auf einen Sockel zu stellen. Als Regisseur darf man den Roman nicht anbeten, wie das goldene Kalb, sondern muss so pragmatisch wie möglich an die Sache herangehen.

Haben die Dreharbeiten Erinnerungen an Ihre eigene Jugend hervorgerufen?

Akin: In einer Hinsicht, ja. Wenn Maik auf dem Bett sitzt und weint, weil er nicht zur Party von Tatjana eingeladen wird... Ich bin mal von so einem Mädchen nicht eingeladen worden und ich konnte mich noch an den Schmerz erinnern. Damals war ich auch 14 Jahre alt. Und "Tschick" gab mir die Möglichkeit, das nochmal auszudrücken.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung am Erwachsenwerden?

Akin: Ich weiß nicht einmal, ob ich je so richtig erwachsen geworden bin. Erwachsensein ist ja keine Tugend im Sinne von: Man ist 18, laut Gesetz erwachsen und haftbar für seine Sünden. Erwachsensein bedeutet für mich, eine gewisse Lebensweisheit zu haben. Gelassen zu sein. Geduldig zu sein. Mit meinen 43 Jahren habe ich diese Eigenschaften leider noch nicht. Das hat mir bei "Tschick" zwar geholfen, mich schneller in Situationen hineinversetzen zu können - aber ich wäre es gerne los. Ich wäre gerne vernünftig.

Haben Maik und Tschick das am Ende des Films? Ein bisschen mehr Gelassenheit?

Akin: Am Ende akzeptieren sich die beiden so wie sie sind. Und das erfordert eine gewisse Gelassenheit. Tschick ist schwul und outet sich. Und Maik erkennt, dass jemand wie Tatjana total oberflächlich ist. Die guten Mädchen, das sind die Isas dieser Welt.

Fatih Akin (Mitte) zusammen mit seinen beiden Hauptdarstellern Anand Batbileg (l.) und Tristan Göbel (r.). (Foto:Studiocanal)

Wie waren die Dreharbeiten mit den Hauptdarstellern Tristan Göbel und Anand Batbileg?

Akin: Die beiden haben mir eigentlich gezeigt, wo es lang geht. Ich hab sie zwar als Regisseur geführt, aber die Jungs haben mit einer großen Normalität gespielt. Das war mir sehr wichtig. Kinderstars in amerikanischen Filme machen das so gut und ein ähnliches Niveau wollte ich bei "Tschick" erreichen.

Haben Sie eine Lieblingsszene aus dem Film?

Akin: Ich mag alles, was um den See herum passiert. Besonders den Moment mit Maik und Isa, als sie ihn fragt, ob er schon mal gefickt hat. Ich mag, wie das Licht dabei in ihre Augen fällt. Und die Szene, in der Maik und Tschick die Party stürmen. In dem Moment bin ich so stolz auf die beiden Jungs. Dass sie einfach trotzdem hingehen, obwohl sie nicht eingeladen sind und das Geschenk überreichen. Und dann merken alle, wie cool die beiden Außenseiter doch sind.

Haben Sie durch die Dreharbeiten auch neue Ecken in Deutschland für sich entdeckt?

Akin: Ostdeutschland. Das kannte ich vorher gar nicht. Aber jetzt war ich wirklich wochenlang im Osten von Deutschland unterwegs und weiß mehr über diese Gegend als vorher. Ich könnte mir auch vorstellen, dort selbst einen Roadtrip nach Lausitz oder Usedom zu unternehmen.

Sie sind im Urlaub also mehr der Roadtrip-Typ?

Akin: Ja eigentlich schon. Ich hab zwar nicht mehr so viel Lust darauf, in Zelten, Autos oder schäbigen Hotels zu wohnen, aber manchmal mache ich das noch und sehe es als ein Abenteuer. Am liebsten mag ich es, wenn ich zum Beispiel mit meiner Familie nach Kreta fliege, wir nichts buchen, sondern mit dem Auto rumfahren, bis wir eine Ecke finden, die uns gefällt. Dann wohnen wir da zwei, drei Nächte und fahren weiter. So mache ich eigentlich am liebsten Urlaub.

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