"Triangle of Sadness" in Cannes: Luxuskreuzfahrt ins Unglück

Sunnyi Melles und Iris Berben spielen im Ensemble von Palmen-Gewinner Ruben Östlund.
von  Adrian Prechtel
Es sind nur ganz wenige Deutsche, die sich in Cannes vor die Fotografen stellen können: Sunnyi Melles (links) und Iris Berben präsentierten "Triangle of Sadness", ein Ensemblefilm, bei dem auch Woody Harrelson (rechts) mitspielt.
Es sind nur ganz wenige Deutsche, die sich in Cannes vor die Fotografen stellen können: Sunnyi Melles (links) und Iris Berben präsentierten "Triangle of Sadness", ein Ensemblefilm, bei dem auch Woody Harrelson (rechts) mitspielt. © Foto: D. Bedrosian/Future Image/Imago

Die Medienaufmerksamkeit von 5.000 akkreditierten Journalisten zieht Verschiedenstes an - wie eine Frau, die nackt mit blau-gelb angemaltem Busen und der Aufschrift "Stop raping us" auf den Roten Teppich stürmte, aber schnell wieder abgedrängt wurde. Das Bild schaffte es dann zwar nicht nur in die "Nice Matin", aber es wird die russischen Krieger sicher nicht erreichen.

Östlund-Film unterhält geistreich - doch es fehlt an komprimierter Schärfe

Die Gala-Bilder hingegen erfüllen den Wunsch des Kinos, die glamouröseste der Künste zu sein - und so lachen auch Iris Berben und Sunnyi Melles um die Wette für Ruben Östlunds Film "Triangle of Sadness". Melles spielt in der Satire eine russische Oligarchenfrau auf einem Kreuzfahrtschiff bei höchstem Seegang, die sich andauernd vor der Kloschüssel übergibt, während Iris Berben als Schlaganfall-Überlebende nur noch "In den Wolken" rufen kann.

Der Film des Schweden, der mit seinem letzten Film "The Square" 2017 die Goldene Palme gewann, ist ein bitterer, satirischer Abgesang auf unseren Lebensstandard - gezeigt anhand der geschlossenen Gesellschaft auf der Luxusyacht. Das junge Paar Carl und Yaya (Männermodel und Influencerin) hat Rollenprobleme, erstickt in Eitelkeiten und Machtspielchen, während alle nach einem Terroranschlag auf einer Insel landen, wo plötzlich die "Toilettenmanagerin" der untergegangenen Groß-Yacht das Kommando übernimmt, weil sie als einzige in der Wildnis überlebensfähig ist. Östlunds Film unterhält witzig und geistreich über zweieinhalb Stunden, aber letztlich mangelt es dem Film an komprimierter Schärfe.

Zentralwochenende in Cannes gerät zu einer Arthouse-Filmschau 

Woody Harrelson spielt dabei vielleicht am ehesten unsere Identifikationsfigur: den sozialistischen Kapitän, der die Dekadenz der Reichen und Ungleichheit in der Welt nur durch Dauervollrausch durchhält und sich mit einem russischen Oligarchen, der durch Düngemittel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Milliardär wurde, ein Zitate-Weltanschauungsduell liefert - durch die Schiffssprechanlage: Reagonomics und Thatcherismus gegen Marx und Sozialstaat.

Soviel zu lachen gab es sonst nicht im Wettbewerb am Zentralwochenende, das durch größere Absenz von weiteren US-Blockbustern zu einer Arthouse-Filmschau wurde: Mit Christian Mungiu, dem Rumänen, der ebenfalls schon die Goldene Palme mit seinem Abtreibungsfilm "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" (2007) gewonnen hat. Er ist mit "R.M.N." wieder in Rumänien geblieben, und zeigt jetzt Transsilvanien als Ort, an dem ungarische, rumänische, restdeutsche Bevölkerungsgruppen ganz gut zusammenleben, patriotisch sind, aber alle gegen Roma hetzen. Die Stimmung wird aggressiver, als Gastarbeiter aus Sri Lanka in der modernen Brotfabrik arbeiten sollen, weil es keine verbliebenen jungen Einheimische mehr gibt, oder die dagebliebenen für den Mindestlohn nicht arbeiten wollen.

Rassismus: Wenn der Ball immer wieder nach Westeuropa zurückgespielt wird

Aber auch wenn der Rassismus hier offen zu Tage tritt, ist Mungiu zu intelligent, das einfach nur zu verdammen. Im Film gibt es eine Einwohnerversammlung, wo die ironische Frage an einen Franzosen einer Öko-NGO gestellt wird, warum er eigentlich hierhergekommen ist. Um Bären zu zählen und zu schützen? "Weil man zu Hause einfach zu viele Autobahnen gebaut hat, und es dort jetzt einfach keine Wölfe und Bären mehr gibt?"

So wird der Ball immer wieder zu uns nach Westeuropa zurückgespielt und damit verhindert, dass wir uns bequem gesellschaftlich überlegen fühlen könnten.

So war das Wochenende also ein Treuebeweis für ehemalige Cannes-Gewinner. Der patriotisch pflichtbewusste Versuch, einer herausgehobenen französischen Programmierung mit Marion Cotillard in Arnaud Desplechins "Bruder und Schwester" ging gründlich schief: Der Film langweilt als ein unausgegorenes, peinlich bedeutungsheischendes Familien-Psychopuzzle, bei dem alle Darsteller die Schwächen der Story durch Überagieren überspielen versuchten.

Den besten Eindruck hinterließ "Boy from Heaven" des Arabo-Schweden Tarik Saleh, der einen Fischersohn aus der Provinz an die Kairoer Al-Azhar-Universität begleitet, wo er sich in Geheimdienstinfiltration und religiöse Machtspiele an dieser höchsten moralischen Instanz der Sunniten verstrickt.

Wenn der  junge Ehemann fast bis zum Ende nur klischeehaft verzweifeln darf

Und weil Cannes auch ein Festival der Filmnationen ist, war es witzig zu sehen, wie verschiedene Länder um die Herkunft von Emilys Atefs "Plus que jamais" buhlten. Die Regisseurin des Films in der Nebenreihe "Un certain regard" wäre zwar deutsch, und Cannes wertet die Regie meist als nationale Zuordnung in der offiziellen Auswahl. Aber der Film mit Vicky Krieps als todkranker Frau war letztlich doch eine französische Produktion und startete für Frankreich.

Dass er wiederum nicht richtig packte, lag nicht an Krieps, sondern an der etwas abgedroschenen Konstellation aus junger kranker Frau und altem weisen Mann, der sie auf den rechten Weg beim "natürlichen" Sterben bringt, so dass der junge Ehemann fast bis zum Ende nur klischeehaft verzweifeln und alle medizinischen Behandlungsmethoden fordern durfte.

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