Kritik

"Triangle of Sadness" im Kino: Kapital am Ende

Der Cannes-Gewinner "Triangle of Sadness" ist eine amüsante Satire auf unsere Überfluss- und Dekadenzgesellschaft.
von  Adrian Prechtel
Zlatko Buric als neoliberaler Oligarch, der es sich gewissenlos gut gehen lässt, auch jovial großzügig sein kann und selbst Schiffbrüche überlebt.
Zlatko Buric als neoliberaler Oligarch, der es sich gewissenlos gut gehen lässt, auch jovial großzügig sein kann und selbst Schiffbrüche überlebt. © Alamode Film

Wenn die Lage ernst ist, kommt man ihr oft nur noch mit Humor bei - und der hat dann Ventilfunktion. Wenn aber der Witz zur beißend brutalen Satire wird, gewinnt man noch eine Ebene mehr: Analyse. Denn eine Satire ist eben kein Scherz, sondern hat tiefere Bedeutung.

Regisseur macht sich über moderne Geschlechterkommunikation lustig

"Triangle of Sadness" des Schweden Ruben Östlund hat in diesem Jahr die Goldene Palme in Cannes gewonnen - unter dem Applaus der Kinowelt. Denn diesem bitteren, brutal komischen Abgesang auf unseren Lebensstandard kann man sich nicht entziehen, weil man immer auch mitgemeint ist.

Es beginnt relativ harmlos: Eine schöne, etwas zickige Frau geht mit einem Schönling edel essen. Und allein der krampfige, eiernde, peinliche Dialog, wer wie warum zahlt, wäre schon einen Preis wert.

Östlund macht sich über die komplizierte moderne Geschlechterkommunikation lustig, ohne jemanden zu diffamieren. Aber das junge Paar (Charlbi Dean und Harris Dickinson) hat Rollenprobleme, erstickt in Eitelkeiten und Machtspielchen. Und weil sie als weibliches Model dreimal so viel verdient wie er als männliches, geht es im Film auch um die Frage, inwieweit in unserem Konsum-Kapitalismus Schönheit eine grausame Währung ist, nach der man giert, für die man sich prostituiert und auch demütigen lässt.

Sunnyi Melles wälzt sich als Oligarchenfrau minutenlang in Erbrochenem 

Dann schaltet der Film einen Gang höher und begibt sich auf eine Luxusyacht. Hier herrscht eine grausame Zwei-Klassengesellschaft, in der das farbige, internationale Putz- und Bedienungspersonal als Unterdeck-Heinzelmännchen und fleißige Lieschen möglichst anonym und unauffällig bleiben soll, um das gelangweilte Reichsein der Wellness-Touristen nicht zu stören.

Die stören sich am Klassensystem auch nicht. Man hat ja schließlich bezahlt. Oder eben auch nicht, wie das Model. Sie ist als Influencerin eingeladen, um die Reise mit Posts und Selfies zu bewerben. Das alles wird aber durch einen extremen Tropensturm während des Captain's Dinners aufgemischt, so dass sich Sunnyi Melles als Oligarchenfrau minutenlang in Erbrochenem wälzen muss.

Überhaupt treibt Östlund den Zuschauer häufiger aus der Komfortzone: Wer schon derart privilegiert lebt wie wir, soll sich wenigstens im Kino auch ein bisschen quälen lassen.

Der Kapitän (Woody Harrelson) wiederum erträgt die ganze Dekadenz und Ungerechtigkeiten nur noch im Dauervollrausch. Er ist als Sozialist am ehesten als tragikomischer Sympathieträger eingeführt und bleibt noch seetüchtig, auch wenn alles hohe Wellen schlägt und aus dem Ruder läuft. Ein Höhepunkt des Films ist sein Zitate-Weltanschauungsduell durch die Schiffssprechanlage mit dem ukrainischen Oligarchen (Zlatko Buric), der durch Düngemittel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Milliardär wurde. So geht es auf dem Meer hoch her, und aus dem Lautsprecher tönen Reaganomics- und Thatcherismus-Ideen gegen Marx und den Sozialstaat.

"Triangle of Sadness": Zweieinhalb geistreiche und ausgezeichnete Kinostunden

Am Ende sind wir - natürlich auch symbolisch mit unserem System - schiffbrüchig auf einer vermeintlich einsamen Insel. Hier übernimmt - für die privilegienverwöhnten Europäer überraschend - die philippinische "Toilettenmanagerin" der untergegangenen Yacht das Kommando, weil sie als einzige in der Wildnis überlebensfähig ist. Aber sie schafft sofort ein neues Machtsystem nach ihren eigenen Regeln.

"Triangle of Sadness" ist bei alledem ein ausufernder, nicht immer stringenter, aber provokant unterhaltsamer Film geworden. In Cannes hatte Östlund eine erweiterte Version von fünf Stunden angedroht. Aber für das, was er erzählen will, reichen seine zweieinhalb geistreichen und ausgezeichneten Kinostunden allemal. 


Kino: Solln sowie Leopold, Maxim, Rio, Isabella, City (alle auch OmU) und Monopol, Theatiner (nur OmU) sowie Cinema (OV) - R: Ruben Östlund
S, D, F, GB; 148 Min.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.