"Toni Erdmann": Vom Schneideraum ins Blitzlicht
Schon fast eine halbe Million Zuschauer in Deutschland, in über 100 Länder verkauft: Jetzt soll „Toni Erdmann“ den Oscar holen.
Drei Stunden diskutierten acht Experten aus der deutschen Filmbranche (siehe Kasten). Dann stand ihre Entscheidung fest: Das deutsche Filmwunder „Toni Erdmann“ von Maren Ade bewirbt sich deutscherseits um den Oscar. Jetzt müssen die Produzenten noch einmal aufdrehen: in den USA, wo am 24. Januar verkündet wird, ob „Toni Erdmann“ mit Sandra Hüller und Peter Simonischek nominiert wird.
AZ: Frau Jackowski, jetzt wird es ernst: Wie tickt Amerika?
JANINE JACKOWSKI: Ich habe mit der Regisseurin Maren Ade an der Münchner HFF studiert. Wir waren mit ihrem Abschlussfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“ beim Filmfestival in Toronto – und da fällt immer wieder auf: Die Leute lachen an den gleichen Stellen wie in den deutschen Kinos.
Nun sind die Kanadier ja europa-orientierter und „Toni Erdmann“ ist ein deutscher Arthausfilm. Ob das auch in den USA funktioniert?
Ja. Der Film funktioniert auf drei Ebenen: dem Tochter-Vater-Konflikt, dem heutigen Selbstoptimierungswahn und der Unterordnung des Lebens unter die Arbeitswelt. Und drittens: Der Film ist auch eine Kritik am Raubtierkapitalismus! Das alles ist universell.
Lesen Sie hier die AZ-Filmkritik zu „Toni Erdmann“: Echte Menschen, große Fragen
Aber waren Sie nicht enttäuscht, als alle in Cannes an eine Goldene Palme für „Toni Erdmann“ geglaubt haben und dann die Jury ihm keinen Preis gegeben hat?
Es klingt so abgedroschen: Aber ich bin schon im Bett in die Luft gesprungen, als nachts der Anruf kam: „Ihr seid im Wettbewerb!“ Es war der erste deutsche Beitrag seit acht Jahren, Cannes ist die größte Filmbühne der Welt, wir waren aufgekratzt, haben kaum geschlafenund nervös und es galt: Dabeisein ist alles!
JONAS DORNBACH: Wir kamen ja direkt aus dem dunklen Schneideraum ins Blitzlicht und waren wie geblendet.
JACKOWSKI: ...und als dann immer mehr hyperventiliert haben, „Euer Film ist der beste!“, war das zwar wunderbar, aber nicht das Wichtigste. Aber wir haben gemerkt, wie der Film zieht: Er hat sich gleich wunderbar in alle Welt verkauft.
Jetzt ist er „ausverkauft!“
DORNBACH: Ja, in über 100 Länder, was uns wirklich überrascht hat. Aber das zeigt ja: Diesem Film wird international viel zugetraut. Und um mal das Beispiel Frankreich zu nehmen: jetzt gerade 105 000 Besucher in der ersten Woche! Das war mehr als in der ersten deutschen Woche! So etwas euphorisiert einen. Und die Chinesen haben gefragt, ob sie ein Remake machen können. Japan hat „Toni Erdmann“ auch gekauft – also auch Länder, die mit der europäischen Kultur weniger zu tun haben, wollen den Film haben.
Lesen Sie hier den AZ-Kommentar: "Toni Erdmann" for Oscar - Im Heute angekommen
Und wie erreichen Sie einen großen Schub in den USA, damit die Academy of Motion Picture Arts den Film genügend wahrnimmt?
Wir haben mit Sony Pictures Classics einen besonderen US-Filmverleih, der bereits 13 Auslands-Oscars im Repertoire hat. Die wissen also, wie man damit umgeht. Die haben gerade den Anruf von uns bekommen, dass wir für Deutschland um den Oscar kämpfen und die legen jetzt gleich los und überlegen, wie man den Film gut platziern kann. Und German Films und die deutsche Filmförderung wird uns auch auf unerer Werbetour unterstützen. Wir sind schon jetzt nach Totonto eingeladen und auf das Telluride Film Festival in Colorado.
Das gilt ja als eines der am besten programmierten Festivals.
Und viele, die in der US-Filmbranche was zu sagen haben, sind auch da. Und im November sind wir in Los Angeles.
JACKOWSKI: Die USA bekommen auch einen eigenen KinoTrailer und ein anderes Poster als wir hier.
In folgenden Münchner Kinos ist „Toni Erdmann“ zur Zeit zu sehen: Arri, City, Solln, Monopol, Münchenr Freiheit, Rex, Rio
Was bisher geschah, was kommen wird! Bis zur Gala am 26. Februar
Insgesamt hatten deutsche Filmproduzenten acht Filme bei der Auslandsförderung des deutschen Films („German Films“) für die Auswahl eingereicht. Darunter: „Er ist wieder da“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Das Tagebuch der Anne Frank“, „Vor der Morgenröte“.
Über den deutschen Beitrag für den Oscar als „Bester nicht englischsprachiger Film“ entschied gestern ein unabhängiger Auswahlausschuss aus Vertretern verschiedener Film-Verbände und Film-Institutionen: Es ist „Toni Erdmann“.
Die Academy in Los Angeles veranstaltet für jeden eingereichten Titel eine offizielle Kinovorführung für alle in L.A. ansässigen „Foreign Language Film Award Committee“-Mitglieder. In mehrern Abstimmungsrunden werden sechs Filme ausgewählt. Ein zusätzliches „Foreign Language Executive Committee“ bestimmt drei weitere. Daraus ergeben sich die neun Titel umfassende „Short List“. Sie wird am 17. Januar bekannt gegeben.
Danach werden noch einmal drei Jury-Gruppen gebildet (New York, Los Angeles, London), die die Liste auf fünf offizielle Nominierungen reduziert. Diese werden am 24. Januar bekannt gegeben.
Nach der Bekanntgabe der Nominierten sind alle rund 7 000 Academy-Mitglieder (darunter seit wenigen Wochen auch Regisseurin Maren Ade selbst) aus allen Branchen abstimmungsberechtigt und dürfen über den besten ausländischen Film abstimmen. Voraussetzung ist, dass sie die fünf nominierten Filme gesehen haben. Die Academy verteilt DVDs der fünf nominierten Filme an alle Mitglieder. Die Oscar-Verleihung findet am 26. Februar 2017 im Dolby Theatre in Hollywood statt.
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