„Toni Erdmann“: Echte Menschen, große Fragen

Zum Kinostart von „Toni Erdmann“ erklären wir, wieso der Film so großartig ist.
von  Adrian Prechtel
In Gesichtern lesen: Ines (Sandra Hüller) wäre auf diesem Empfang lieber ohne ihren Vater Winfried (Peter Simonischek).
In Gesichtern lesen: Ines (Sandra Hüller) wäre auf diesem Empfang lieber ohne ihren Vater Winfried (Peter Simonischek). © NFP

Seit Wochen hört man überall, wie außergewöhnlich gut Maren Ades „Toni Erdmann“ ist. In Cannes jubelten sich Zuschauer und Kritiker in Ekstase, auch anlässlich der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest überboten sich alle Medien mit Lob. Ab heute läuft er endlich im Kino – wir erklären, wieso der Film so gut ist.

Menschen statt Klischees

An der Hochschule für Fernsehen und Film München lernt man: Keine Angst vor Klischees! Und wirklich: Die meisten deutschen Filme haben keine Menschen als Figuren, sondern Karikaturen, alles ist unfassbar erwartbar und am Ende des Abspanns schon wieder vergessen. Maren Ade dagegen hat Figuren geschaffen, die so echt sind, dass man schnell vergisst, in einem (160-Minuten-)Film zu sein.

Haltung statt Ideologie

Es gibt kaum Lästigeres als Agit-Prop-Filme, deren Gut-Gemeintheit sich in jedem Bild spiegelt und die sich mit dem Zuschauer oberflächlich gemein machen. „Toni Erdmann“ ist da ein intelligentes Gegenbeispiel: Er zeigt, wie der Kapitalismus mit seiner Forderung nach Flexibilität und Mobilität Menschen und Gesellschaften deformiert: wenn wir Massenentlassungen als notwendiges Übel unserer liberalen Wirtschaftsordnung empfinden, wenn wir unser Privatleben aufgeben und sogar die eigene Geburtstagsfeier zum „Networking“ nutzen. Aber hier sind diese Einstellungs- und Lebensfragen elegant in eine große menschliche Geschichte verwoben.

Lebensfragen

Kümmere ich mich um meinen Vater oder überlasse ich das seinem Hund? Auch beim Thema Generationenkonflikt ist der Film zu weise, um einfache Antworten zu geben. Natürlich können Eltern nerven und jede Generation sucht anders Erfüllung. Aber es bleibt die moralische, biblische Frage: Wie ehre ich Vater und Mutter?

Hohe Kunst Tragikomödie

„Toni Erdmann“ gelingt die große Kunst der Tragikomödie: kein platter Gag, aber viel Humor. Hinter jedem Lacher steckt immer auch Verzweiflung (von einer Whitney-Houston-Zwangskaraoke bis zur Befreiungsschlag-Nacktparty). Und damit hat der Film international Erfolg: „Toni Erdmann“ wurde bereits in 60 Länder verkauft.


R: Maren Ade (D, 160 Min.), Kino: Arri, City, Eldorado, Münchner Freiheit, Rio

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