Interview

Til Schweiger über Trauerbewältigung: "Ich war immer ein Verdränger"

Til Schweiger im Interview über seine Romanverfilmung "Lieber Kurt", Urängste, Trauer, Spott in der Branche und seine berufliche Zukunft.
von  André Wesche
Til Schweiger beim Dreh von "Lieber Kurt" .
Til Schweiger beim Dreh von "Lieber Kurt" . © Filmwelt / Gordon Timpen

In Sarah Kuttners Bestseller "Kurt" wird eine kleine Patchwork-Familie mit dem Verlust ihres sechsjährigen Sohnes konfrontiert. Til Schweiger hat den schwierigen Stoff als Co-Autor, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller verfilmt.

AZ: Herr Schweiger, was hat Sie dazu bewogen, sich dem größten Alptraum von Eltern zu stellen?
TIL SCHWEIGER: Das Buch von Sarah Kuttner hat mich fasziniert und mitgenommen. Es beschreibt eine meiner Urängste. Ich habe jetzt vier Kinder. Mit jedem Kind kam eine neue Liebe in mein Leben – und auch eine neue Angst, dass diesem Wesen etwas passieren kann. Diese Angst werde ich haben, bis ich selber nicht mehr da bin. Wenn die Kinder noch klein sind, hat man das Gefühl, dass man sie beschützen kann. Auch wenn sie älter werden, kann immer etwas passieren. Das ist ein Thema, an das sich keiner rantraut. Wenn kein anderer so einen Film macht, dann muss ich das eben machen. Ich kenne im engsten Freundeskreis Menschen, denen das passiert ist und weiß, wie dramatisch sich ihr Leben verändert hat.

Im Film sagt Ihr Film-Vater Peter Simonischek: "Er wird das schaffen, aber er wird nie wieder so sein wie vorher."
Das ist so. Wenn du jemanden nicht magst, kannst du sagen: "Warum habe ich so eine negative Energie? Ich kicke den einfach aus meinem Leben und weg ist er!". Und wenn du Liebeskummer hast, kannst du dir vornehmen: "Jetzt lerne ich jemand neues kennen!". Das geht bei Trauer nicht. Die Trauer kannst du nicht so einfach aus deinem Leben kicken. Sie wird immer da sein. Es wird gute Tage geben. Es wird bessere Tage geben. Es wird auch furchtbare Tage geben. Das sage ich auch im Film: "Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Ich habe keine Krankheit, ich habe ein Kind verloren. Das ist jetzt immer so. Für immer."

Wie intensiv setzen Sie sich mit den Themen Tod und Sterben auf einer persönlichen Ebene auseinander?
Ich war immer ein Verdränger. Ich drücke mich um jede Beerdigung, wo ich nur kann. Ich war nur zwei Mal auf einer Beerdigung – das erste Mal mit 17. Ein Freund von mir ist ermordet worden. Mir wurde so schwindelig, dass ich ins Grab gefallen wäre, wenn meine Jungs mich nicht aufgefangen hätten. Die erste Beerdigung, auf der ich danach war, war die von meiner Mutter. Um die konnte und wollte ich mich nicht drücken. Dazwischen lagen 40 Jahre. Es gibt ja dieses Sprichwort: "Die Einschläge kommen immer näher." Und sie kommen immer näher. Kürzlich erst habe ich erfahren, dass ein sehr guter Bekannter, fast ein Freund, eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht ist.

Til Schweiger: "Ich spiele schon lieber lustige Szenen"

Sind Drehtage voller Trauerszenen zermürbend?
Sie sind schon anstrengend. Es wird viel geweint, hauptsächlich hinter der Kamera. Wir sind aber alle keine Method-Actors, die dann wochenlang in dem Charakter bleiben. Wenn die Szene gedreht ist, dann ist auch wieder gut. Trotz der sehr emotionalen Drehzeit hatten wir auch viele witzige Szenen, bei denen wir viel gelacht haben. Es ist nicht zermürbend, aber ich spiele schon lieber lustige Szenen.

Ihre Filmpartnerin Franziska Machens ist ein neues Gesicht im Kino. Wie haben Sie sie ausfindig gemacht?
Für mich war von Anfang an klar, dass Jasmin Gerat im Film meine Ex-Frau und die Mutter meines Kindes spielen soll. Franziska ist in derselben Agentur wie Jasmin. Jasmin meinte zu mir: "Mensch, Du musst sie unbedingt casten! Sie ist großartig!". Das habe ich dann auch gemacht. Und nach diesem Casting habe ich gesagt: "Ich mache den Film nur mit ihr. Mit keiner anderen! Sie muss diese Figur spielen."

Wie wurde Levi Wolter, der den jungen Kurt spielt, an die Geschichte herangeführt?
Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Er wusste sicher, dass er ein Kind spielt, das stirbt. Seine Eltern, beide auch Schauspieler, sind sehr nett. Ich habe nicht gefragt, wie sie ihm das erklärt haben. Levi hat das einfach gespielt. Der Kleine ist einfach ein richtig großartiger Schauspieler. Er ist so auf die Welt gekommen, eine richtige Sensation. Bei ganz vielen Kinderdarstellern siehst du, wie der Schauspielcoach mit ihnen die Betonung und Intonation bei jedem Wort vorgekaut hat. Dann hört sich das an, als würden sie irgendeinen Text aufsagen. Übrigens machen das auch viele Erwachsene. Aber bei Kindern fällt es besonders auf. Bei Levi ist es nicht so.

Von der Komödie zum Drama: Für Schweiger ist das kein Reifeprozess

Von einer romantischen Komödie wie "Keinohrhasen", einer Tragikomödie wie "Honig im Kopf" bis zum Drama "Lieber Kurt" – markieren diese Filme einen gewissen Reifeprozess?
So sehe ich das nicht. Ich hätte "Lieber Kurt" auch vor zehn Jahren machen können. Und ich würde jederzeit wieder eine romantische Komödie drehen, wenn es mir gelingt, ein gutes Buch zu schreiben oder wenn mir jemand anderes ein gutes Buch anbietet. Ich habe keinen Masterplan nach dem Motto: "Ich bin reifer und älter. Jetzt muss ich einen seriösen Film machen." Ich habe gerade einen wahnsinnig witzigen Film abgedreht, den zweiten Teil von "Manta, Manta". Das hat einen riesigen Spaß gemacht.

Der kleine Kurt mag es besonders, wenn sein Papa sich Geschichten ausdenkt. Waren Sie für Ihre Kids eher der Vorleser oder der Story-Erfinder?
Ich war Vorleser und Story-Erfinder. Diese ganzen Rückblenden im Film gibt es im Roman nicht. Ich habe sie geschrieben und sie stammen fast alle aus meinem Leben. Wenn du total müde bist und die Kids sagen: "Jetzt musst du aber weitererzählen!", fällst du auch mal in den Schlaf und sagst: "Der Ritter hat mit dem Handy seine Freundin angerufen." Sie sagen dann: "Hey Papa, es gab doch damals keine Handys!". Und ich: "Wollt ihr die Geschichte erzählen?". Das war alles aus dem Schweiger-Leben.

Ihre Filmfigur Kurt wird von einer Passantin als "Schlechtester Schauspieler aller Zeiten" bezeichnet. Haben Sie dem irgendetwas hinzuzufügen?
Das ist halt ein Gag. Er sagt: "Der Ehering geht nicht ab, er geht wirklich nicht ab!" und sie glaubt es ihm nicht. Ob er jetzt lügt oder die Wahrheit sagt, sei mal dahingestellt. Das ist für die Geschichte nicht relevant. Es gibt viele Leute, die sagen, ich wäre ein schlechter Schauspieler. Und ich kann mich darüber lustig machen, weil ich mich für einen guten Schauspieler halte.

Schweiger mit "Tatort"-Seitenhieb

Einen verbalen Seitenhieb auf den "Tatort" konnten Sie sich wohl nicht verkneifen?
Da hat Heiner wirklich gut geliefert. Ich liebe diese Szene. Da ist auch noch ein anderer, kleiner Seitenhieb drin. Heiner Lauterbach hat früher, in den 60er Jahren, tatsächlich Motorrad-Touren unternommen, auch nach Afghanistan. Er erzählt im Film davon und sie meint, es sei doch so gefährlich. Da sagt er: "Nein, das war noch bevor die Taliban von der CIA finanziert wurden."

War es nach diesem Film genau der richtige Zeitpunkt, um "Manta, Manta 2" zu drehen?
Ich wollte "Manta, Manta 2" schon immer machen. Ich finde, dass das Timing jetzt eigentlich perfekt ist. Einige Leute haben immer gesagt: "Nach 30 Jahren will das doch keiner sehen!" Das sehe ich nicht so. Die Fans sind jetzt in meinem Alter. Sie haben Kinder und werden sie mit in den Film nehmen und ihnen zeigen: "Hey, das waren wir damals!"

Mit Ihrem nächsten Film "Das Café am Rande der Welt" gehen Sie auf die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Ja. Wir sollten eigentlich dieses Jahr drehen. Der Film ist aber nicht gefördert worden, deswegen wurde er jetzt auf nächstes Jahr verschoben. Ich habe schon die Besetzung gecastet. Tim Oliver Schultz spielt die Hauptrolle. Er ist in "Manta, Manta 2" mein Sohn und einfach großartig. Ich habe zu ihm gesagt: "Tim, dieser Film wird für dich das, was ,Manta, Manta' für mich war.". Und Paula Kalenberg spielt die Frau. Die Besetzung steht also schon. Es ist ein ganz tolles Drehbuch und ich will den Film unbedingt machen.


Ab Donnerstag im Kino

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