Interview

"The Zone of Interest": Wie kann man Rudolf Höß spielen?

Jonathan Glazer bekam in Cannes den Großen Preis der Jury für "The Zone of Interest", der auf dem Roman des Schriftstellers Martin Amis basiert. Christan Friedel spielt im Film den KZ-Kommandanten Rudolf Höß und meint: "Der Körper kotzt den Charakter aus"
Adrian Prechtel
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Die Zigarre danach: Christian Friedel als Rudolf Höß in seiner Villa in Auschwitz, die sein Frau "ihr kleines Paradies" nennt.
Leonine 3 Die Zigarre danach: Christian Friedel als Rudolf Höß in seiner Villa in Auschwitz, die sein Frau "ihr kleines Paradies" nennt.
Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in einer Szene des Films "The Zone Of Interest".
- (Leonine) 3 Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in einer Szene des Films "The Zone Of Interest".
Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in "The Zone Of Interest".
- (Leonine) 3 Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in "The Zone Of Interest".

Am 9. März wird Christian Friedel 45 Jahre. Neben seiner Arbeit am Dresdner und Düsseldorfer Theater ist er auch Bandleader und Sänger der Formation Woods of Birnam. Hauptrollen spielte er in "Das weiße Band" und "Elser". Er hatte Auftritte in ",Babylon Berlin".Jetzt verkörpert er in "The Zone of Interest" jetzt den KZ-Kommandanten Rudolf Höß. Aber was macht diese Rolle mit einem Schauspieler?

AZ: Herr Friedel, warum hat Jonathan Glazer "The Zone of Interest" am Originalschauplatz gedreht?

Christian Friedel: Das ist für seine Idee völlig konsequent gewesen. Wir haben uns mit dem Film auf Wahrheitssuche begeben. Daher hat Jonathan auch keine Hollywoodschauspieler angefragt, sondern Deutsche - Sandra Hüller und mich. Und dass wir in Auschwitz gedreht haben, hat dabei eine gewaltige Rolle gespielt.

Aber den Garten und die Höß-Villa hätte man doch auch zum Beispiel in der Bavaria sehr authentisch nachbauen können?

Aber es wäre etwas völlig anderes gewesen. Der Originalschauplatz ist nicht ersetzbar. Wenn man aufgestanden ist am Morgen, wenn man abends am Ende war: Atmosphärisch war Auschwitz immer da, man konnte nicht aussteigen. Die Geister aus der Geschichte hat man immer um sich gespürt. Wir haben in der Nähe des Originalhauses gedreht, am Hintereingang vom KZ 1. Gleich dahinter war eine Gaskammer. Das blieb spürbar. Und es hat das Verantwortungsbewusstsein aller gesteigert: Hier geht es um den Versuch, die Wahrheit zu suchen und das, was man findet, für den Zuschauer spürbar zu machen.

Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in einer Szene des Films "The Zone Of Interest".
Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in einer Szene des Films "The Zone Of Interest". © - (Leonine)

Es wurde auf Deutsch gedreht, obwohl es eine amerikanisch-polnische Produktion ist und für den internationalen Markt.

Auch das war eine sehr kluge Entscheidung. Die Muttersprache führt zu größerer Natürlichkeit. Und was wir - Sandra Hüller als Hedwig und ich als Rudolf Höß - in unserem Alltag sagen, ist gar nicht so wichtig. Was nicht ausgesprochen wird und was man sieht, aber vor allem, was die Figur nicht sehen will, das ist viel wichtiger. Der Film observiert diese Personen. Und wir haben die Sprache - auch weil wir improvisieren durften - etwas ins Heutigere geführt, so dass wir es selbst glauben konnten.

Bruno Ganz hat einmal stellvertretend für Hitler-Darsteller gesagt, dass einen Hitler danach nicht mehr loslässt, er sich sozusagen festgesetzt hat. Rudolf Höß erscheint da - als einer, der den Holocaust direkt durchführte - fast noch drastischer.

Ich halte Hitler für fast unspielbar. Es ist mir auch schon angeboten worden. Aber ich kann das mir allenfalls in einer Komödie vorstellen. Höß wiederum war von sich aus kein brutaler Klischee-Nazi, er hatte - abgesehen von dem hoch ausrasierten Nacken und der Uniform herum - ein menschliches Gesicht. Um so brutaler ist es daher, dass er der perfekte Befehlsempfänger war. Aber es bleibt die unlösbare Frage: Wie konnte er so leben? Aber dass er es konnte, ist ja für uns alle das Bedrohliche, Schreckliche.

Und wie hat sich diese Rolle dann auf Sie ausgewirkt?

Mein Körper hatte - es ist schwer zu beschreiben - diesen Mann in sich abgespeichert und sich gleichzeitig vor ihm geekelt. Er hat versucht diesen Menschen aus sich herauszuschütteln - wie ein Hund, der sich schüttelt, aber versucht, das Innere abzuschütteln. Und im Film gibt es ja auch die Szene, in der sich Höß übergibt. Es ist, als ob sein eigener Körper den Charakter und die Taten nicht mehr aushält, Rudolf Höß aus sich selbst auskotzen und loshaben will. Das habe ich selbst gespürt und verstanden.

Wie haben sie sich also letztlich selbst vor Höß geschützt?

Ich habe aber von vornherein versucht, ihn nicht lesbar zu halten. Wenn er zum Beispiel in Berlin in einer Expertenrunde über die Frage redet, wie viele Juden wie effizient ermordet werden können, ist mein Blick dabei leer, damit der Zuschauer meine Augen nicht lesen kann.

Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in "The Zone Of Interest".
Christian Friedel als Rudolf Höß und Sandra Hüller als Hedwig Höß in "The Zone Of Interest". © - (Leonine)

Und wie haben Sie sich vorbereitet?

Gar nicht so viel über das Lesen von Dokumenten oder über Biografien. Vor allem in Gesprächen mit Jonathan Glazer, der viele Fotos hatte. Ich habe also gesehen, was eine Uniform und eine Frisur aus einem Menschen macht. Man geht anders, redet wahrscheinlich anders. Man merkt ihm die Genugtuung über Macht und Rang an. Wie seine Frau, die Sandra Hüller als eine Person spielt, die nicht zur Ruhe kommt, weil sonst doch Fragen hochkommen, ist auch Rudolf Höß im Dauereinsatz, im Kampf um seine Karriere und Besitzstandswahrung. Das alles sind Verdrängungstechniken. Aber seine Stimme verrät, dass er hier zu etwas wurde, was er nie war.

Gibt es denn Tonaufnahmen?

Ja, aber nur aus den Nürnberger Prozessen, und da ist Höß ein Gefangener. Man kann das sogar auf Youtube nachhören. Die Stimme ist eher leise, hoch, fast schwächlich. Die Stimme aber ist eine Form der Wahrheit.

Sie haben schon Georg Elser gespielt, den Mann, der versucht hat, Hitler umzubringen. Und jetzt spielen Sie Rudolf Höß.

Natürlich ist mir Elser leichter gefallen. Und bei meiner Abscheu vor Höß habe ich auch gar nicht versucht, ihn zu verstehen. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, die unheimlich wichtig und gleichermaßen erschreckend für uns ist: Beide sind nicht für außergewöhnliche Taten geboren. Aber beide haben dann an einem Punkt ihres Lebens das Gefühl: Ich muss etwas tun! Dass Höß das als Mann, der an die NS-Ideologie und NS-Mission geglaubt hat, brutalstmöglich durchführt, ist extrem, aber eben anscheinend menschlich möglich. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden ist aber nicht nur zwischen Widerstand und Mitmachen, sondern die mögliche Kälte bei Höß. Da ist Elser in seiner menschlichen Heldenhaftigkeit doch charakterlich auf der humanen Gegenseite.

Der Film kommt am 29. Februar in die deutschen Kinos.

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