Interview

"The Lost King": Stephen Frears stellt in neuem Film alles auf den Kopf

"Exzentriker? Die haben recht!", sagt Stephen Frears über die fantastische Geschichte einer Britin, die über Richard III. forscht – und gegen jede Wahrscheinlichkeit alles auf den Kopf stellt.
von  Adrian Prechtel
Wahn oder Wirklichkeit? Sally Hawkins als Fan von Richard III. (Harry Lloyd) und Hobbyhistorikerin.
Wahn oder Wirklichkeit? Sally Hawkins als Fan von Richard III. (Harry Lloyd) und Hobbyhistorikerin. © Graeme Hunter / X Verleih

Bei Shakespeare ist er ein grausames, buckliges Scheusal, der sich durch den Mord an seinen Neffen auf den Thron bringt – und am Ende gestellt, besiegt und verscharrt wird. Aber 550 Jahre später passiert die fantastische Geschichte der Philippa Langley: eine geschiedene Frau, die am Erschöpfungssyndrom litt, ein Buch über Richard III. (1452-1485) las und anfing, sich in dessen Leben einzuarbeiten.

Sie gründetet den schottischen Ableger der "Ricardian Society" – einer Art Richard III.-Fanclub. Und gegen alle Wahrscheinlichkeit und unter hämischem Widerstand von Verwaltung und Wissenschaftlern findet sie die unbekannte Grabstelle des verfemten Königs – und damit viele Indizien, dass dessen Leben doch etwas anders war, als es die Geschichtsschreibung erzählt.

AZ: Mr. Frears, in ihrem umfangreichen Werk kommt auffallend viel Hocharistokratie vor: Elisabeth II. in "The Queen", dann Queen "Victoria und Abdul". Und jetzt rehabilitieren Sie das Shakepeare-Monster Richard III.
STEPHEN FREARS: Alles was ich zuvor über Richard III. wusste, war aus dem Film mit Laurence Olivier von 1955 - ein grauenhafter Film, auch wenn Shakespeare ein sehr gutes Stück über ihn geschrieben hat. Aber es ist reine Propaganda. Die Sieger schreiben die Geschichte, also muss man immer vorsichtig sein. Daher ist es ja auch lustig, dass es – wie im Film – wirklich eine Richard III. Society gibt, die sich die Rehabilitierung des Königs zur Aufgabe gemacht hat.

Stephen Frears: "In England gibt es für alles eine Society, wo Exzentriker ihre Grillen ausleben"

Die Richard III.-Society ist eine Ansammlung von skurrilen Typen.
Aber es gibt sie. In England gibt es für alles eine Society, wo verschiedenste Exzentriker ihre Grillen ausleben, aber – zum Teufel – sie haben recht!

Sind Sie Royalist?
Um Himmels Willen, ich bin für die Republik. Aber es sind Figuren, die sich in unser Bewusstsein eingebrannt haben. Warum so ein großes Getue um Royals gemacht wird, sollen Psychoanalytiker beantworten.

Stephen Frears am historischen Schlachtort Bosworth bei Leicester.
Stephen Frears am historischen Schlachtort Bosworth bei Leicester. © Graeme Hunter

Man hat – nach dem Auffinden der Grabstelle – den Leichnam exhumiert, wissenschaftlich untersucht und in der Kathedrale von Leicester feierlich in Anwesenheit der königlichen Familie neu bestattet. Was passiert als nächstes?
Dass man herausfindet, dass Richard als Onkel die beiden Prinzen, die seine Thronfolge verhindert hätten, nicht ermorden ließ. Das wäre ein weiterer Schlag für nationale britische Sensibilitäten, weil Richard dann eben eine legitimer König gewesen ist! Aber der ganze englische Thron ist ja voll von Usurpatoren.

"The Lost King": "Wir lassen den Geist von Richard III. auftreten, so als ob sie diese Fantasie hat"

Sie haben schon "Philomena" oder "The Queen" gedreht und immer wieder sind Frauen die Hauptfiguren. In "The Lost King" ist auch nicht der König, sondern wieder eine Frau im Zentrum: Philippa, die auch noch ein Chronisches Erschöpfungssyndrom hat. Ist das alles auch ein bisschen der Political Correctness geschuldet?
Nicht die Bohne. Der Grund ist simpel: Philippa Langley ist nun mal eine Frau – und die Geschichte ist grandios. Aber es stimmt: Die Universität, die Stadtverwaltung – alles doch eher Männerdomänen, so dass es einer Frau bedurfte, das über den Haufen zu werfen. Aber ich hoffe, dass ich nie politisch korrekt bin. Und dass Philippa Langley diese Erschöpfungskrankheit im Film hat, liegt einfach daran, dass sie daran wirklich litt. Das Fantastische ist in diesem Fall war: Man musste die Geschichte nicht verändern, sondern einfach spielen. Sie war so! Und unglaublich! Ich habe nur den Zeitraum, in dem sie passiert ist, zusammengeschoben.

Die wirkliche Philippa Langley am Dreh bei den " Ausgrabungen" in Leicester.
Die wirkliche Philippa Langley am Dreh bei den " Ausgrabungen" in Leicester. © Graeme Hunter

Also alles wahr?
Das Einzige große Zugeständnis, dass Philippa Langley machen musste, ist: Wir lassen den Geist von Richard III. auftreten, so als ob sie diese Fantasie hat. Es hat uns zwei Jahre gekostet, sie davon zu überzeugen, dass der Geist vorkommen kann. Ihr war es wichtig, nicht als gaga rüberzukommen. Und das wollten wir ja auch nicht.

Sie kommen aus dem Ort, wo das ganze spielt, aus Leicester.
Das hat es leichter gemacht. Ich kannte die ganze Geschichte nicht nur aus den Zeitungen, sondern auch noch den Ort.

Die wissenschaftliche Forschung kommt schlecht weg: "Es ist ein lächerlicher Skandal"

Und Sie haben gedacht: Was für eine verrückte Geschichte?
Nein: Was für eine lustige Geschichte! Man muss sich vorstellen, dass ein naiver, unbeirrbarer, sich informierender, leidenschaftlicher Laie die ganze wissenschaftliche Forschung aus den Angeln hebt – und den verschollenen Leichnam eines sagenhaften, aber historischen Königs findet: auf dem Parkplatz des Sozialamts!

Die offizielle Wissenschaft kommt schlecht weg: hierarchisch, eitel, heuchlerisch.
Allein wie man erst versucht hat, als plötzlich der Leichnam wirklich unter dem Teer gefunden wurde, alles zu einer Erfolgsgeschichte der Uni, der Archäologie und der Stadt Leicester zu machen: Es ist ein lächerlicher Skandal. Erst Jahren später, scheibchenweise, räumt man jetzt meiner Heldin Philippa ihren verdienten wichtigen Platz in der Geschichte ein.


Geboren 1941 in Leicester wurde der englische Regisseur erst 1985 mit "Mein wunderbarer Waschsalon" bekannt. Es folgten zig Erfolge wie "Sammy und Rosie tun es", "Gefährliche Liebschaften" , "High Fidelity", "The Queen" oder "Philomena".

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