Kritik

"The Lost Daughter - Frau im Dunkeln": Die Opfer der Selbstverwirklichung

Das Regiedebüt von Maggie Gyllenhaal: "The Lost Daughter - Frau im Dunkeln" nach Elena Ferrante.
von  Adrian Prechtel
In Olivia Colman als Leda kommen auf einer griechischen Insel ihr bisher unbekannte Gefühlen hoch.
In Olivia Colman als Leda kommen auf einer griechischen Insel ihr bisher unbekannte Gefühlen hoch. © Netflix

Dieser Film hat mehrere Verwandlungen durchgemacht. Die italienische Bestsellerautorin Elena Ferrante beschrieb in "Frau im Dunkeln" eine italienische Professorin, die - längst geschieden - an einem süditalienischen Urlaubsstrand mit einer anderen, jüngeren Großfamilie konfrontiert wird.

Das bringt die Frau zum Reflektieren über ihre Rolle als Mutter und ihre Entscheidung vor zwanzig Jahren, ihrer Berufung als Literaturwissenschaftlerin zu folgen, den Karrieresprung zu wagen - auch hin zu einem anderen Mann, einem Dozenten, mit dem sie sich intellektuell verstand. Es ist eine Auseinandersetzung über das Schuldgefühl, die Töchter als Kinder alleingelassen zu haben und die Frage, ob das je wieder gut zu machen war - auch sich selbst gegenüber.

Schauplatz-Suche: Von der US-Ostküste über England nach Griechenland

Elena Ferrante hat - auf deren Anfrage - der Schauspielerin Maggie Gyllenhaal den Stoff anvertraut, als deren Regiedebüt. Und weil Gyllenhaal Amerikanerin ist, sollte alles an der US-Ostküste spielen. Als aber Olivia Colman als Literaturprofessorin ins Spiel kam, war klar, dass die Hauptperson eine Engländerin würde. Und als Corona alle Planungen zunichtezumachen drohte, beschloss Gyllenhaal wegen geringer Inzidenzen dort, die Geschichte auf einer griechischen Insel spielen zu lassen, auf der die Crew geschlossen in Quarantäne ging.

Im Film wirkt es, als ob man tatsächlich auf einer Insel gelandet ist, die nicht ganz von dieser Welt ist. Während sich im Buch eine Freundschaft zwischen ihr und einer jungen Mutter mit dem Nymphen-Namen Callisto (Dakota Johnson) entwickelt, ist in der Verfilmung die Begegnung eher unheimlich und die beobachtete Großfamilie eher beklemmend sektenartig.

Man fühlt sich fast in einem Mystery-Thriller mit surrealen Elementen, in dem auch Schlangen auftauchen, unheimliche Unfälle passieren und die griechische Mythologie bemüht wird, angefangen beim Namen der Hauptfigur: Leda, wie sie auch bei Ferrante heißt, einer mythischen Frau, die von Zeus geschwängert wurde.

"The Lost Daughter - Frau im Dunkeln": Gespenstisch gut gespielt

Das alles - wie die Konfrontation mit ihren inneren Schuldgefühlen, die fast paranoide Zustände auslösen - spielt Colman gespenstisch gut. Leda ist - auf sich im Urlaub zurückgeworfen - plötzlich verletzlich, irrational, bis hin zu einem absurden, ihre Bürgerlichkeit überschreitenden Akt: der Diebstahl einer Puppe.

Als eine Art katalysatorischer nachgeholter Kind-Ersatz löst diese Puppe in ihr - fast dämonisch - Reflexionen aus. Ledas Wahrnehmung wird plötzlich übersensibel, fast wahnhaft, wobei sie auch aus sich herausgeht. Aber der Film, der einen mit seiner Krimi-Atmosphäre dauernd auf eine falsche Spur führt, löst die Hälfte seiner aufgeworfenen Fragen nicht auf - nämlich die nach den Hintergründen der dubiosen Gegenfamilie: Ist sie kriminell, pervers, ein tyrannisches System?

Und dann schimmert bei allem auch dezent eine Diskussion um den "neuen Mann" durch, weil der mit den Töchtern zurückgelassene Mann als ein weicher, wunderbarer Vater in Rückblenden gezeigt wird, aber eben keine männliche und intellektuelle Anziehung besitzt.

So öffnet sich ein spannendes weibliches Lebensfragen-Dreieck aus irgendwie biologisch-gesellschaftlich geforderter Mutterschaft, beruflicher und intellektueller Selbstverwirklichung sowie sexueller Erfüllung und Partnerschaft.


Kino: ABC, City, Monopol; R: Maggie Gyllenhaal; (USA/GB, 121 Min.)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.