"The Hateful 8": Der "Nigger" will keiner mehr sein!
Morricone erklingt, ein steinernes Kruzifix in einer wintergefrorenen Westernlandschaft ist das „Memento mori!“. Denn Tarantino ist ein Meister des Todes. Und am Ende sind auch viele tot, was bei den erwarteten Genre ja nicht weiter überraschend ist.
Aber „The Hateful 8“ ist letztlich kein Western, weil nach einer aberwitzigen Kutschfahrt ein drohender Schneesturm alle zusammentreibt in einer Gemischtwarenladen-Blockhütte. Von da an ist der Film spannend gefangen in einem Agatha-Christie-Kammerspielkrimi, nur dass es hier ungleich blutiger (noch auf dem Klohäusl wird einer zusammengeballert) und härter (Köpfe werden weggepustet) zugeht. Aber letztlich geht es drei, nie langweile Stunden um die Überlebens-Frage, wer auf welcher Seite ist und welches Spiel er treibt. Denn schnell spürt man, dass alle hier nur scheinbar zufällig anwesend sind.
Das Filmgenie Quentin Tarantino hat früh mit seiner Art, B-Movie und Trash-Elemente in die Kunstfilmebene zu heben, die Zuschauer gespalten: zu brutal, oft auch sinnlos, zu zynisch, zu cool fanden viele 1994 den innovativen Befreiungsschlag „Pulp Fiction“ und fühlten sich von der Martial-Arts-Erneuerung „Kill Bill 1&2“ bestätigt. Und dann kam 2009 die überwältigende Wende mit „Inglourious Basterds“.
Coolness, Gewalt und Subkultur verbindet Tarantino mit Intellekt
Denn hier war es Tarantino gelungen, ein so heikles Thema wie deutsche Besatzung und Holocaust zwar provokant, aber intelligent und intellektuell aufzuarbeiten. Gewalt war hier kein rein filmisches Spiel mehr. So wandte sich Tarantino – von allen bewundert – einem anderen schwierigen Thema zu und drehte ebenso tief und klug einen Film über die Sklaverei: „Django unchained“ (2012). Jetzt – im Westerngewand – erwartete man über den amüsant-grausamen Dialogen, dem coolen Superstar-Spiel wieder eine Meta-Ebene.
Und wirklich: Zu Beginn gibt es gleich eine Szene, die– wenn auch bizarr – ein aktuelles US-Bild heraufbeschwört: Die manchmal für Schwarze tödlichen Polizeikontrollen! Samuel Jacksons Pferd ist in der Kälte verreckt. Kurt Russell kommt in einer Kutsche vorbei und nimmt ihn erst nach Ausspielen aller rassistischen Vorurteile widerwilligst mit. Nur ist die Sheriff-Kontroll- und Autopannen-Situationsanspielung hier origineller. Jackson und Russell sind nicht Polizist und Kontrollierter, sondern beide Kopfgeldjäger.
Jackson darf schließlich doch seine steifgefrorene, tote Beute aufs Kutschendach schnallen. Bei Russell dagegen ist’s die „Berufs“-Ehre, seine Gefangene Daisy Domergue (ordinär und bereits übel zugerichtet: Jennifer Jason Leigh) bei der Steckbrief-Alternative „dead or alive“ jedenfalls lebendig zum Galgen zu bringen. „Weißt du, Mädchen, denn nicht, dass die Bimbos heute nicht mehr Nigger genannt werden wollen? Sie empfinden das als Beleidigung!“, sagt Russell, als ob er die Sache der Schwarzen verteidigen wollte, aber dabei den noch größeren Hammer bringt, zur angeketteten, noch rassistischeren Daisy und gibt ihr eine Kräftige aufs Maul.
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Geschichtlich ist „The Hateful 8“ nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg angesiedelt. Und so spielt auch noch ein persönlicher Brief des antirassistischen Präsidenten Lincoln eine Rolle, den Samuel Jackson als Ex-Major der Nordstaaten wie einen adelnden Talisman immer bei sich trägt. Nur ergibt sich aus alledem keine intellektuelle Ebene. Sie bleibt als unbefriedigende Behauptung im Raum. Und die Gewalt? Sie bleibt gewohnt hart und grotesk überspielt. So bleibt „The Hateful 8“ ein spannender Film, der am Ende aber außer hartem Amüsement beim Zuschauer nicht viel im Kopf zurücklässt. Wenigstens hat man ihn nicht – wie alle anderen – verloren.
Kino: Arri, Cadillac, Cincinnati, Gabriel, Cinemaxx, Leopold, Rio, Royal, Gloria, Solln, Mnch. Freiheit sowie Cinema, Museum, Mathäser (OV), City (OmU)
B&R: Q. Tarantino (US, 167 Min.)
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