Terroristen auf Sendung
Es ist zwei Stunden nach Mitternacht, als ein amerikanischer Sportreporter erschöpft und erschüttert einem Millionenpublikum vor den TV-Geräten erklärt: "Als Kind sagte mein Vater: ,Unsere größten Hoffnungen und schlimmsten Befürchtungen werden selten Wirklichkeit.' Unsere schlimmsten Befürchtungen sind heute Wirklichkeit geworden … Alle sind tot!"
Sean Penn hat den Fim mitproduziert
Man sieht diese Szene am Ende von Tim Fehlbaums "September 5 - The Day Terror Went Live". Die 20. Olympischen Spiele waren einen guten Tag zuvor noch als die "fröhlichen Spiele" in vollem Gang gewesen. Deutschland hatte sich - nach den von der Nazi-Propaganda missbrauchten Spielen 1936 in Berlin - der Welt als offene, friedliche Nation präsentieren wollen. Jetzt, 1972, rächte sich die Idee, keine bewaffneten Polizisten im Olympiadorf in München zu postieren, was Terroristen erst einmal ein leichtes Spiel ermöglichte.
Denn im Morgengrauen des 5. September 1972 war die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" in das olympische Dorf eingedrungen und hatte neun Sportler des israelischen Teams als Geiseln genommen, zwei Israelis wurden bereits bei der Kaperung der Wohnungen erschossen. Jetzt waren weitere 15 Menschen tot: alle Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen. Die Öffentlichkeit hatte zum ersten Mal non-stop live im TV einen Terrorakt mitverfolgen können.
Ein Anschlag der live im TV verfolgt wurde
Regisseur Tim Fehlbaum hat mit Sean Penn als Koproduzent einen deutsch produzierten Film auf Englisch gedreht, also für den internationalen Markt. Der Zuschauer befindet sich für kompakte anderthalb Stunden im damaligen Studio des TV-Senders ABC, der zum ersten Mal in der olympischen Geschichte die ganz neue Satellitentechnik nutzen konnte, um live zu übertragen.
Es ist eine packende formale Stärke des Films "September 5", dass man als Kinozuschauer die brutalen Ereignisse nur aus der Spiegelung der Berichterstattung auf den Monitoren und den Berichten der Reporter im Studioraum mitbekommt. Der Film hat so nie etwas Reißerisches oder Voyeuristisches. Aber natürlich taucht da auch das sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzte Bild auf: das eines Terroristen mit Strumpfmaske auf einem Balkon in der Connollystraße 31.
Leonie Benesch erklärt das neue Deutschland
Fehlbaum hat bisher dystopische Science-Fiction gemacht mit "Hell" (2011) und "Tides" (2021). Jetzt arbeitet er zeitgeschichtlich mit dokumentarischen Elementen und macht dabei keine Schuldzuweisungen, sondern erläutert elegant beiläufig manche Hintergründe. So wenn Leonie Benesch als Übersetzerin und einzige Deutsche im US-TV-Team das neue Deutschland erklärt.
Bei aller Spannung werden viele wichtige Fragen diskutiert, die sich in unserer modernen Medienwelt noch zugespitzt haben: Darf man Gewalt live zeigen? Was rechtfertigt eine gute Einschaltquote? Was mache ich, wenn vor einer Kamera jemand ermordet werden könnte? Brisant ist auch, dass die Terroristen sich über die Vorgänge außerhalb über das Fernsehen informieren und auf diese Weise reagieren konnten. Die Medien wurden so auch zum Werkzeug des Terrors selbst.
Diese moralischen Fragestellungen, verpackt in eine wahre, erschütternde Geschichte, sind wichtig und so aktuell, dass der Film - bei aller historischen Akkuratesse der technischen Ausstattung - nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat.
Kinos: Astor Film Lounge im Arri, Cadillac, Mathäser, Monopol (OmU), Museum Lichtspiele (OV), City-Atelier, Leopold (beide auch OmU); R: Tim Fehlbaum (D/USA, 91 Minuten)
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