"Tenet" Christopher Nolan - die AZ-Kritik

"Tenet", das neue Spektakel von Christopher Nolan, soll nun den Kinosommer ein bisschen retten.
von  Florian Koch
Rasante Action: Elizabeth Debicki und John David Washington in einer Szene des Films „Tenet“.
Rasante Action: Elizabeth Debicki und John David Washington in einer Szene des Films „Tenet“. © Warner Bros./dpa

Mitte Juli, Ende Juli, Mitte August und dann doch wieder gar kein Termin. Der Kinostart von "Tenet" glich einem Geduldsspiel, einem Wettlauf gegen die Zeit – für Kinobetreiber, Verleiher und Filmfans gleichermaßen. Denn nichts weniger als das Event Kino, das gemeinsame Erleben eines weltweiten Blockbusters, stand und steht unter dem düsteren Damoklesschwert Corona auf dem Spiel.

Umso stimmiger, dass dieser ungeheure Druck und das Springen in der Zeit auch Thema von Christopher Nolans 200 Millionen Dollar teurem Actionspektakel sind, wenn es im Film heißt, dass der Menschheit bald etwas droht, dass schlimmer wäre als ein "dritter Weltkrieg", als ein "nukleares Armageddon".

Magisches Quadrat

Was es mit dieser diffusen Endzeitvision auf sich hat, deutet bereits der Titel an. Tenet, ein Palindrom, also ein Wort, das vorwärts- wie rückwärtsgelesen Sinn ergibt, ist eine Anspielung auf das magische Sator-Quadrat, dass sich von allen Seiten gleichermaßen dechiffrieren lässt. Klingt kompliziert, ist von Nolan aber so auch gewollt.

Denn ähnlich wie sein Vorbild Stanley Kubrick, der in "Eyes Wide Shut" ebenfalls ein magisches Losungswort ("Fidelio") verwendete, steht der Regisseur von "Inception" und "Interstellar" für ein kühles und kühnes Konzeptkino mit Ideen, die am besten noch niemand in dieser Form umgesetzt hat. In "Tenet" ist es, dem Wortspiel entsprechend, die Auseinandersetzung mit der Zeit. Oder konkret, dass es in der Zukunft Forschern gelungen ist, die Entropie von Objekten umzukehren, sie also rückwärts durch die Zeit reisen können. Eine geniale Erfindung oder eine zeitlose Waffe?

Diese Frage stellt sich beim Gegenspieler des "Protagonisten" (John David Washington, Sohn von Denzel Washington) nicht. Der furios aufspielende Brite Kenneth Branagh legt den russischen Waffendealer Andrei Sator mit schwerem Akzent als eiskalten Weltbeherrscher und -zerstörer an, ganz im Stile eines James-Bond-Bösewichts. Und damit passt er auch zum Charakter des rasanten, die Schauplätze ständig wechselnden Spionagethrillers, in dem der namenlose "Protagonist" mit seinem Mix aus Lässigkeit und Perfektion ermittelt als wäre er 007. Erst langsam, in vielen Gesprächen enthüllen sich dem CIA-Agenten und damit auch dem Zuschauer die Geheimnisse von "Tenet", die gefährlichen Konsequenzen der Zeitumdrehung.

Autos springen rückwärts

Am spektakulärsten sind die Auswirkungen in den langen Actionsequenzen, die Nolan weitgehend ohne Computertricks und mit dröhnender Synthesizer-Musik in Szene setzt. Bei einer Autoverfolgung in Tallinn rasen manche Vehikel vorwärts, andere rückwärts, springen Kugeln wie magisch zurück in die Magazine der Waffen.

So verwirrend diese Aufnahmen und die stark in die Physik abdriftenden Erklärungen auch anmuten, so überwältigend fällt die Gleichzeitigkeit der gegensätzlich in der Zeit laufenden Personen und Vehikel dann auf der Leinwand aus. Was bei der ganzen Hatz zu Beginn etwas auf der Strecke bleibt, sind, wie häufig bei Nolan, die Gefühle, die Greifbarkeit der sich wie Dominosteine anfühlenden Figuren. Dabei verfügt "Tenet" über glänzende Schauspieler, mit einem stoisch konzentrierten Washington in der Titelrolle oder einem exzentrischen wie undurchschaubaren Robert Pattinson als britischer Agent Neil, sein Partner in crime. Eine Entdeckung bleibt vor allem Elizabeth Debicki, die bald als Lady Di in der Serie "The Crown" zu sehen ist.

Unnahbar, aber doch verletzlich gibt die gebürtige Französin Kat, die Noch-Ehefrau von Sator. Eine seelisch wie körperlich misshandelte Kunstexpertin, die nur bei Sator bleibt, um nicht den Einfluss auf das gemeinsame Kind zu verlieren. Am Ende ist ihre Entfesselung, ihre zurückgewonnene Stärke der emotionale Kern von "Tenet". Eine zeitgemäße Aufarbeitung des Themas aggressive männliche Machtdemonstration, die "Tenet" bei aller filmtechnischen Innovation zeitlos macht.

Kinos: Astor Film Lounge im Arri (auch OMU), Cadillac, Cincinnati, Cinema (OV), Sendlinger Tor, Gloria,, Kino Solln, Leopold, Mathäser (auch OV), Monopol (OmU), Museum Lichtspiele, Royal (auch OV).
R: Christopher Nolan (USA, 150 Min.)

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