Kritik

Müssen die Bären im Trentino erschossen werden?

Ein Jogger wurde im Trentino von einem Bären getötet. Das Dok.Fest München zeigt nun den herausragenden Film "Gefährlich nah - wenn Bären töten".
Heidi Geyer |
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Schaut er nur, oder will er angreifen? Die Bären im Trentino faszinieren, aber machen eben auch vielen Menschen Angst.
Schaut er nur, oder will er angreifen? Die Bären im Trentino faszinieren, aber machen eben auch vielen Menschen Angst. © Do.Fest/Beetz Brothers Production

 

Ein entsetzlicher Zustand. Nicht wiederzuerkennen. Sein Gesicht, sein Kopf, sein Nacken. – überall Krallenspuren“, sagt der Vater von Andrea Papi. Der stämmige Mann wirkt eigentlich so, als könnte ihn kaum etwas erschüttern. Aber der Schmerz ist ihm ins Gesicht geschrieben. Wie oft wird er sich vorgestellt haben, was Andrea widerfahren ist. Welche Angst und welche Schmerzen er gehabt haben muss. Sein Sohn wollte an jenem Karfreitag vor einem Jahr eigentlich nur eine Runde in seinen Hausbergen laufen gehen. Er kehrte nicht zurück. Die Bärin „JJ4“ griff ihn an, er starb an den Verletzungen.


Der Vorfall im Val di Sole im Trentino sorgte europaweit für Schlagzeilen, auch die AZ hat mehrfach darüber berichtet. Der Tod des Trailrunners hat Norditalien gespalten und zu einer scharfen Debatte über die Wiederansiedlung der Bären in den italienischen Alpen geführt. Auf der einen Seite stehen viele Bewohner und Landwirte, die Angst haben, unterstützt oder aufgepeitscht von Politikern – je nachdem, wie man das sehen will. Auf der anderen Seite Tier- und Umweltschützer, die den Bären Raum geben wollen in den Alpen. Mittendrin die Ranger und Tierärzte, die das Wiederansiedlungsprojekt managen.
„Dieses Ereignis ändert natürlich alles“, sagt Claudio Groff, Koordinator des Wildtierdienstes im Trentino.

Die Ranger sitzen zwischen allen Fronten 

Die Verzweiflung der Ranger, die zwischen allen Fronten sitzen, zeigt der Film „Gefährlich nah – wenn Bären töten“ des Südtirolers Andreas Pichler sehr anschaulich. Sie, die letztlich einfach nur Gesetze umsetzen, werden von allen Seiten angefeindet. Dabei geht es ihnen doch nur darum, dass Bären wie Menschen gut zusammenleben können.
Aber alle Seiten kommen zu Wort in einer Debatte, die sich um Leben und Tod zu drehen scheint.

Es ist kein süßer Tierfilm über Teddybären: Zwar dürfen auch putzige Bärenkinder durchs Bild huschen, aber eben auch Schafskadaver, an dessen sehnigem und blutigem Fleisch ein großer Bär genüsslich nagt.
Es trieft auch Speichel aus den Mäulern zweier kämpfender Jungbären, man kriegt eine Idee von der Aggressivität der Tiere. Zwei Ranger entdecken frische Spuren eines Bären, „fresco fresco“ und sehen sich hektisch um.
Und doch wirkt der Film nie obszön, stilisiert die „Großen Beutegreifer“, wie sie in der Fachsprache heißen, nicht zu Ungeheuern.
Drei Männchen und sieben Weibchen wurden 1999 im Projekt „Life Ursus“ aus Slowenien geholt und in den Brenta-Dolomiten angesiedelt. Dass sie dort so gut leben können würden, hatte niemand erwartet, heißt es im Film.
Die Tiere pflanzten sich stark fort, so dass 25 Jahre später über hundert im Trentino leben sollen. Wie viele genau, das weiß heute keiner so richtig.

Aus 10 Bären wurden über 100

Ein Hirte auf einer Alm bedauert, dass er wie viele die Wiederansiedelung damals so unterschätzt hatte. „Jetzt zahlen wir vielleicht die Konsequenzen dafür, dass wir nicht lautstark protestiert haben.“
Andrea Papis Mutter Franca hatte es anfangs für einen Scherz gehalten, dass man Bären ansiedeln wolle. „Jetzt leben wir Tür an Tür mit ihnen.“ Die Bevölkerung ist wenig darüber informiert worden, beklagen viele im Film.
War das politisch gewollt? Diese Frage wirft der Film zumindest auf. Man weiß nicht, ob Andrea Papi überlebt hätte, wenn er gewusst hätte, wie man mit Bären umgeht oder im Fall eines Angriffs reagiert – vielleicht wusste er es auch.

Eine Nebenrolle bekommt Bruno, der bayerische „Problembär“, der 2006 durch die Voralpen zog. Er ist der Bruder von „JJ4“, die Andrea Papi getötet hat. Und musste ebenso sterben, was ebenfalls massive Proteste zur Folge hatten.
Schon dessen Mutter Jurka machte im Trentino Probleme, weil sie zu wenig Scheu vor Menschen hatte. Aber eben auch, weil sie von Hoteliers angefüttert worden war.
Jurka lebt heute in einem Gehege im Schwarzwald. Aber es geht ihr nicht gut dabei: Ihr Freiheitsdrang ist schlicht zu hoch, wie der Film zeigt.

JJ4 ist Brunos Schwester 

Ihre Tochter „JJ4“ war jahrelang unauffällig, erzählt der Ranger Matteo Zeni. Bis sie Junge bekam und diese äußerst konsequent beschützte.
Schon vor der tödlichen Attacke auf Andrea Papi hatte sie zwei Wanderer angegriffen – allerdings war ein gebrochener Knöchel die schlimmste Verletzung, die die beiden erlitten, heißt es im Film.
Franca Papi kann es schier nicht aushalten, dass die Behörden genau wußten, dass JJ4 einen Menschen töten könnte. Bei einer Versammlung muss sie den Saal verlassen, als der Bericht der Naturschutzbehörde mit genau diesem Inhalt verlesen wird.
„JJ4“ sollte deshalb erschossen, in der Fachsprache „entnommen“ werden. Tierschützer wollten das jedoch nicht zulassen und klagten.
Das versteht wiederum der Ranger Matteo Zeni nicht: „Müssen wir warten, bis jemand stirbt?“


Genau so ist es gekommen. Es sei ja bei der Klage inhaltlich nur um Formfehler gegangen. „Wir sind nicht schuldig“, sagt ein Tierschützer. Der Film bewertet so etwas nicht, lässt solche Aussagen stehen.
Trotz der verhärteten Fronten schafft die Doku die Gratwanderung, Verständnis für beide Seiten zuzulassen.
Die ethische Frage, ob der Bär hier leben darf, wird an vielen Stellen beantwortet, wenn auch ganz unterschiedlich.
„Wir sind es, die in den Bergen leben“, sagt Landeshauptmann Maurizio Fugatti bei einer Protestveranstaltung. „Der Berg gehört uns“, sagt der Hirte.
Doch ein pensionierter Tierarzt findet, dass wir uns ein falsches Verhältnis zur Natur angewohnt haben: „Wem gehört der Wald? Man betritt ihn nicht als Herrscher. Man betritt ihn vorsichtig.“
 
„Gefährlich nah – wenn Bären töten“  Mittwoch, 8. Mai, 16. Uhr im Neues Maxim.

 

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