„Tangerine L.A.“: Liebe kann auch mal Sünde sein

Eine rasante, freche Popart-Komödie frisch vom Straßenstrich: „Tangerine L.A.“ von Sean Baker
Adrian Prechtel |
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„Hab’ ich dich, du Schlampe!“ Sin-Dee Rella (rechts: Kitana Kiki Rodriguez) schleppt die Konkurrenz zum gemeinsamen Zuhälter.
„Hab’ ich dich, du Schlampe!“ Sin-Dee Rella (rechts: Kitana Kiki Rodriguez) schleppt die Konkurrenz zum gemeinsamen Zuhälter.

Auf ihren High-Heels, in ihren Hotpants und bauchfrei ist Sin-Dee super sexy, trägt als Bordsteinschwalbe am Santa Monica Boulevard bei der Highland Avenue mit „Sin“ die Sünde schon im Künstlernamen und „Dee“ zeichnet sie als Diva aus, die sie ist. Gerade ist sie aus dem Knast gekommen – Drogen, Prostitution, man weiß es nicht. Egal, jetzt steht sie wieder da, trifft ihre beste Freundin-Kollegin und erfährt: Ihr Verlobter, der ihr Zuhälter ist, hat sie in ihrer Abwesenheit betrogen – und zusätzlicher Schock: mit einer „echten Möse“, denn Sin-Dee (Kitana Kiki Rodriguez) ist ein Transvestit.

Wie Warhol und cooles Kunstkino als Graffiti und auf Speed

Das alles macht Regisseur Sean Baker in wenigen Minuten klar, wie auch seinen Stil: gedreht mit einem iPhone, dadurch wendig und reißerisch dokumentarisch, dabei niemals nervig wackelig, sondern nur schnell. Gleichzeitig aber ist alles gut ausgeleuchtet und von intensiven Graffiti-Farben. So wirkt „Tangerine L.A.“, als ob man den grellen Andy Warhol mit dem lässigen Außenseiter- Kunstkino-Mann Jim Jarmusch zusammengespannt und gemeinsam in eine Beschleunigungszentrifuge gesteckt hätte.

Die Musik – vom Hollywood-Golden-Ära-Filmmusikwalzer über Beethoven bis hin zu Pop – gibt die verschiedenen Geschwindigkeiten der Szenen vor. So ist ein wild-spontaner und dennoch sehr professioneller Film entstanden – eine Mischung Pop-Art-Screwball-Comedy, über der allenfalls die leichte Tragik liegt, dass ein prekäres Außenseiter-Milieu gezeigt wird, bei dem man sich keine der heute noch frucht-frischen Figuren nach weiteren zehn Jahren Drogen und Prostitution vorstellen will, auch wenn sie jetzt sehr selbstbewusst und energiegeladen daherkommen. Jetzt aber sucht Sin-Dee die Konkurrentin, zerrt sie aus einer Sexorgie, schleppt sie – teils mit Bus und in der U-Bahn – vor ihren Zuhälter in einem Donut-Café und stellt alle zur Rede.

Den Bogen in unsere bürgerlichere Welt schafft der Film über eine Parallelhandlung: Ein Taxifahrer transportiert verschiedene Fahrgäste und verlässt – es ist Weihnachten! – den russisch-armenischen Familientisch, um noch das Feiertagsgeschäft mitzunehmen, will aber als Kunde selbst zu Sin-Dee.

Was „Tangerine L.A.“ – neben seiner frechen Machart – so besonders macht, ist die Art, wie hier ganz nebenbei so viele Facetten in diese grundsätzlich fast klassische Eifersuchtsgeschichte eingeflochten sind: melancholische Diventräume (so wenn die beste Freundin – Mya Taylor – einen Club heimlich zahlt, um hier singen zu dürfen), bürgerliches Doppelleben, der Kampf um Respekt und ums Überleben und vor allem auch viel Witz, wie der einzige diskrete Ort für schnellen Sex im Auto: die Autowaschstraße. Dass der Film mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, ist – bei diesem schnellen Slang – genau richtig. Und keine Angst, er ist sogar ab 16 jugendfrei!


R: Sean Baker (USA, 88 Min.)

Kino: Atelier, Monopol, Arena (jeweils OmU)

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