"Swiss Army Man": Daniel Radcliffe als Allzweck-Furzkissen
Selbst für Freunde des bizarren Kinos könnte Daniel Radcliffes neuer Streifen "Swiss Army Man" zu surreal sein.
Wenn das Publikum während Robert Redfords renommiertem Sundance Film Festival in Scharen frühzeitig aus einem Film strömt, ist das nicht zwangsläufig ein schlechtes Zeichen. Es heißt nur, dass der betreffende Streifen stark polarisiert - und das kann im gerne sonderbaren Independent-Genre durchaus als Gütesiegel gewertet werden. Bei Dan Kwans und Daniel Scheinerts Regiedebüt "Swiss Army Man" kann man aber die rege Zuschauer-Migration aus dem Kinosaal schon nach wenigen Minuten des Films nachvollziehen. Stand- oder besser gesagt sitzhafte Cineasten erwartet ein rund 100-minütiger "What the Fuck"-Moment, der einen noch lange nach dem Abspann beschäftigen wird.
Was Daniel Radcliffe von Donald Trump hält, das erfahren Sie bei Clipfish
Gestrandet, verrückt oder einfach nur lebensmüde?
Mit einer Schlinge um den Hals steht der gestrandete Hank (Paul Dano) an einem lächerlichen Stück Felsen, an den er offenbar vor geraumer Zeit angespült wurde. Er hält die Einsamkeit nicht mehr aus, will sich das Leben nehmen. Doch kurz bevor er den finalen Schritt von seinem improvisierten Galgen ins Nichts wagt, sieht er an der Küste jemanden liegen. Hat ihm der Kosmos wenige Sekunden vor dem Selbstmord einen Freund und damit ein Zeichen geschickt?
Schnell verflüchtigt sich jedoch Hanks Hoffnung, endlich einen Gefährten gefunden zu haben. Denn der Mann (Daniel Radcliffe) ist ganz offensichtlich mausetot und eignet sich daher nicht als Gesprächspartner... oder vielleicht doch? Der ständig unflätig furzende Leichnam Manny entpuppt sich in den Augen von Hank nämlich als (für einen Toten) gar nicht so wortkarges Multifunktions-Werkzeug. Und mit der Hilfe seiner brandneuen Schweizer-Armee-Leiche will er sich zurück in die Zivilisation und zu seiner großen Liebe kämpfen.
Traue niemals dem Erzähler
Autor Edgar Allen Poe zählt zu den Pionieren des "unzuverlässigen Erzählers", "American Psycho"-Schriftsteller Bret Easton Ellis perfektionierte das Stilmittel. Auch bei "Swiss Army Man" wird der Zuschauer bis kurz vor Schluss im Dunkeln darüber gelassen, ob es sich bei der sonderbaren Freundschaft zwischen Mann und Leiche um eine Wahnvorstellung oder vielleicht doch die Realität handelt. Das heißt, sollte man es überhaupt bis zum Ende aushalten...
Stellenweise nimmt "Swiss Army Man" eine derart ordinäre Absurdität an, dass selbst hartgesottene Genre-Fans daran zweifeln, ob die Groteske 100 Minuten des Lebens wert ist. Kostprobe gefällig? Das wild zuckende Gemächt des Toten dient Hank mitunter als Kompass, seine steten Flatulenzen als Raketenantrieb.
Das Einzigartige an all dem ist, dass die Regisseure tatsächlich versuchen, Radcliffes "Wünschelrute" und seinen Blähungen einen philosophischen Touch zu verleihen. Noch verwunderlicher ist, dass sie es stellenweise sogar schaffen.
Visuell eine Wucht
Die Bildkomposition von "Swiss Army Man" ist wahrlich wunderschön. Man merkt, dass beide Filmemacher zuvor viel an Musikclips und Kurzfilmen gewerkelt und so ihre Bildsprache trainiert haben. Gerade deshalb ist es ärgerlich, dass einen die oben angesprochenen, infantilen Einschübe ein ums andere Mal herausreißen. Natürlich kann man ihnen eine tiefere Bedeutung beimessen, sollte es sogar. Nur dürfte schlichtweg die Bereitschaft dazu bei der breiten Masse an Zuschauern verschwindend gering sein - das war den Machern bei diesem Nischenfilm aber im Vornherein bewusst.
Auch schauspielerisch weiß der bis auf wenige Ausnahmen als Zwei-Mann-Theater konzipierte Film zu überzeugen. Gerade Dano als weltfremder und melancholischer Sonderling brilliert. In einer weiteren ungewöhnlichen Rolle, die ihn derzeit so zu reizen scheinen, tut es ihm Radcliffe gleich.
Wiiiilson!
Natürlich darf der Vergleich mit dem "Einsame Insel"-Klassiker schlechthin nicht fehlen: "Cast Away - Verschollen", von Spöttern gerne auch als längster "FedEx"-Werbespot der Welt verschrien. Tatsächlich erinnern darin Chuck Nolands (Tom Hanks) Konversationen mit seinem besten Freund, dem Volleyball Wilson, in "Swiss Army Man" an die Debatten mit Leichnam Manny. Nur, dass man darin den vermeintlich leblosen Gesprächspartner tatsächlich reden hört. Der Macht der Fantasie (oder des Wahnsinns) sei Dank...
Fazit:
Soll nach dieser Kritik niemand krakeelen, er sei nicht ausreichend auf "Swiss Army Man" vorbereitet worden. Der Film ist eine zwar wunderschön gedrehte, aber eben auch ungemein abgedrehte Metapher auf eine Depression. Oder doch nicht? Wer es bis zum Ende aushält, wird mit einem dicken Fragezeichen in die Nacht entlassen. Eines steht fest: Radcliffes neuer Streifen ist nur hartgesottenen Fans des absurden Kinos zu empfehlen.