Steven Spielberg: Ich bleibe der 12-jährige Junge

Mit „BFG – Big Friendly Giant“, einer Adaption von Dahls Kinderbuch „Sophiechen und der Riese“, verfilmt Steven Spielberg erstmals ein Märchen. Der dreimalige Oscar-Gewinner gab sich nach der Premiere beim Festival in Cannes locker, kam superpünktlich und plauderte entspannt über Hunger nach neuen Themen, die Liebe zum Kino und warum ihn einer seiner Filme Vater werden ließ. Im Dezember feiert Spielberg, Regie-Ikone und Erfolgs-Produzent mit jung blitzenden grau-blauen Augen, seinen 70. Geburtstag. Die Lust aufs Filmemachen ist nicht kleiner geworden. Im Gegenteil.
AZ: Mr. Spielberg, wie viel Kind steckt in Ihnen, wenn Sie so ein Fantasy-Abenteuer wie „BFG – Big Friendly Giant“ realisieren, das stark aus Kindersicht erzählt ist?
Steven Spielberg: Natürlich werden da Erinnerungen an meine eigene Kindheit wach. Kinder sind etwas Wunderbares, sie existieren einfach, wissen noch nicht, was genau falsch oder richtig ist. Kindheit bedeutet ein schmales Zeitfenster, Jahre einer scheinbar endlosen Freiheit, bevor wir Entscheidungen fällen müssen, das Gehirn uns Verhaltenssignale gibt. Im geschützten Raum des Kinos können wir diese Gefühle noch einmal frei erleben, wenn wir uns darauf einlassen. Ich liebe die Arbeit mit Kindern, sie sind so wahrhaftig, ganz ohne Hintergedanken.
Was waren Sie selbst für ein Kind?
Ich war mein eigenes Monster, hatte Angst vor allem und flüchtete mich in grenzenlose Fantasie. Da bekam ein Stuhl auch schon mal richtige Füße, machte sich selbständig und klopfte nachts an meine Tür oder Wolken am Himmel wurden für mich gefährliche Saurier. Meine Eltern befürchteten schon mentale Probleme und wollten mich zum Arzt schleppen, weil ich ständig Dinge sah, die nicht existierten.
Warum haben Sie ausgerechnet jetzt die Verfilmung von Roald Dahls Kinderbuch gemacht?
„BFG“ ist meine erste Märchenverfilmung. Mit Mark Rylance als Gigant und Ruby Barnhill als Mädchen hatte ich es mit zwei Kindern zu tun – eines war 50 Jahre alt, das andere neun. Ich musste auf keine Fakten Rücksicht nehmen wie bei historischen Filmen wie „Lincoln“ oder „Amistad“, sondern konnte meine Imagination sprühen lassen, gemeinsam hingen wir unseren Träumen nach. Ich war richtig hungrig nach verrückten Ideen und Einfällen.
Macht dieser Hunger nach Verrücktem die Themensuche und ihre Verwirklichung nicht noch komplizierter?
Ich erzwinge nichts und nehme auch Rückschläge in Kauf. Regie führe ich nur, wenn mich ein Thema wirklich anspringt. Ansonsten kann ich mit meiner Firma interessante Drehbücher akquirieren, Filme produzieren und Regisseure engagieren. Ich muss also nicht unbedingt Regie führen. Mein Instinkt lenkt mich zum richtigen Projekt, bei der finalen Entscheidung spielen Bauch und Kopf mit. Zu Beginn eines Films komme ich mir immer wieder wie der 12-jährige Steven vor, der erstmals eine wackelige Kamera in der Hand hielt und dann loslegte.
Beim Lunch mit der Queen wird groß aufgetischt, gerade auch für den großen freundlichen Riesen, den der nach-digitalisierte Mark Rylance spielt. Foto: Constantin
Stimmt es, dass Sie noch heute ganz persönliche Homevideos drehen?
Ja, und dazu stehe ich. Meine Videokamera habe ich ständig dabei. Und Weihnachten drehen wir immer einen Film über die Familie, den peppen wir mit Spezialeffekten und Musik auf. Da Freude wir uns alle drauf. Meine Aufnahmen und die der Kinder schneiden wir zusammen. Zur Erinnerung kriegt jeder eine DVD. Das ist schon eine richtige Tradition.
Gibt es eine Lieblingsszene in Ihren Filmen, die sie sich immer wieder gerne ansehen?
Nein, ich habe keine Lieblingsszene, nicht einmal einen Lieblingsfilm. Aber weltweit am besten funktionierte mein Film „Schindlers Liste“. Seine nachhaltige Wirkung führte später zur Gründung meiner „Shoa Foundation“. Sie sammelte Berichte von über 2000 Holocaust-Überlebenden, die alle archiviert wurden. Der Film war ein Fanal für Toleranz und sensibilisiert gegen jegliche Form von Hass und Menschenverachtung. Nach diesem Werk brauchte ich erst einmal eine Pause von drei Jahren und musste mich neu sortieren. Ich musste das Trauma überwinden, das mir dieser Film gebracht hat.
Welche Filme haben Sie besonders geprägt?
Ich bin mit Grimms Märchen und Walt Disney-Filmen aufgewachsen. Wirklich Klick machten die ersten Filme erst auf dem College. Da habe ich mit François Truffaut eine ganz neue Welt entdeckt. Oft klopfen wir uns in Amerika auf die Schulter und bilden uns ein, das Kino erfunden haben. Aber die Filmgeschichte begann in Frankreich, diesem Land verdanke ich viel.
Schauen Sie sich Ihre Filme noch einmal an?
Mit jedem meiner sieben Kinder musste ich mir wieder „E.T. – Der Außerirdische“ angucken, auch mit meinen zwei Enkeln, also insgesamt neun Mal in den vergangenen 25 Jahren. Bei „E.T.“ packte mich plötzlich die Lust, Vater zu werden. Das Resultat: Drei Jahre später kam mein erster Sohn zur Welt. Durch meine Kinder bin ich inzwischen immer auf dem Laufenden über aktuelle Musik, Soziale Medien oder Kino. Und wenn sie mir einen Film ans Herz legen, sehe ich ihn mir auch wirklich im Kino an. Ich glaube, selbst Kids, die ständig aufs Smartphone starren, gehen ins Kino und lassen sich verzaubern.
Sie sind der erfolgreichste Hollywood-Regisseur. Aber konnten Sie Ihre Träume erfüllen?
Mein Appetit ist im Laufe der Jahre nicht kleiner, sondern größer geworden. Allerdings ist das Filmemachen körperlich eine sehr anstrengende Angelegenheit. Ich sage: der härteste Job der Welt. Trotzdem: Je mehr ich arbeite, um so mehr will ich arbeiten. Und das Wichtigste, was ich erreicht habe, ist das Recht, über meine Projekte frei entscheiden zu können, das Recht meine Geschichten zu erzählen, ohne Einengung von außen. Künstlerische Freiheit ist das A und O allen kreativen Schaffens. Deshalb habe ich auch mein eigenes Studio gegründet.
Und genießen damit eine Ausnahmeposition…
Dem Himmel sei Dank.
Ist das nicht ein rauschendes Gefühl?
Ja! Wenn ich an einen Stoff glaube und der Geschichte vertraue, ziehe ich den Film durch, niemand kann mich hindern. Viele angeheuerte Regisseure sind nicht so privilegiert, ständig klopft ihnen einer auf die Finger.
Hat sich das im Laufe der Zeit in Hollywood verändert?
Ja, heute ist es zwar leichter, einen Job zu bekommen, aber unabhängig zu arbeiten ist dagegen schwierig. Dabei träumt doch jeder Filmemacher davon, seine persönlichen Ideen umzusetzen. Natürlich freut sich ein Student, mal einen Werbeclip oder Videos für YouTube zu drehen. Aber nach dem ersten Film und leuchtenden Zuschaueraugen, will man nicht mehr zurück, brennt für eigene Projekte.
Spielbergs „BFG – Big Friendly Giant“ startet ab dem 21.07.2016