Starke Filme beim Festival von Cannes: Ehebruch und Pornografie

Das Festival von Cannes zeigte den neuen Film von Berlinale-Siegerin Ildikó Enyedi und eine sensationelle Arbeit des US-Amerikaners Sean Baker
von  Matthias Greuling
Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber, Mitte) heiratet die schöne Lizzy (Léa Seydoux), ist aber Monate auf Reisen. Kann er ihr vertrauen (rechts: Louis Garrel)?
Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber, Mitte) heiratet die schöne Lizzy (Léa Seydoux), ist aber Monate auf Reisen. Kann er ihr vertrauen (rechts: Louis Garrel)? © Hanna Csata

Am 14. Juli ist die Welt wieder in Ordnung, dann nämlich, wenn Cannes den französischen Nationalfeiertag lautstark und mit viel Bombast feiert. Am Mittwoch knallten die Champagner-Korken und auch die Feuerwerkskörper an der Croisette, das Verkehrschaos artete in einen Dauerstau aus und die Kellner in den Lokalen kamen gar nicht mehr nach mit dem Aufdecken. Von einer Pandemie spricht hier niemand mehr, alles geht seinen gewohnten Gang und das Geschäft brummt.

Und auch in den Kinos hat das Festival von Cannes ordentlich Fahrt aufgenommen, es sind hier innerhalb weniger Tage etliche preisverdächtige Filme gezeigt worden - als hätte sich Festivalchef Thierry Frémaux das Beste für diesen Feiertag aufgespart. Mit "Die Geschichte meiner Frau" der Ungarin Ildikó Enyedi - sie gewann 2017 für ihr romantisches Melodram "Körper und Seele" den Goldenen Bären der Berlinale - trat eine Literaturverfilmung nach dem Roman von Milán Füst im Rennen um die Goldene Palme an. Es ist Enyedis erster Film, der nicht aus der eigenen Feder stammt, und doch wohnt ihm das Gespür für die Schilderung von Zwischenmenschlichkeiten inne, das Enyedi auszeichnet.

Es geht um den Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber), der in den 1920ern unbedingt heiraten will, weil das "Ruhe in sein Leben" bringen werde, wie ihm ein Freund rät. Er will die erste Frau heiraten, die durch die Türe tritt, und siehe da, es ist die schöne Lizzy (Léa Seydoux), eine auch geheimnisvolle Frau, aber Jakob hat sich entschieden. Lizzy oder keine.

"Die Geschichte meiner Frau": Erst Strip-Poker, dann die Ehe

Das führt nach einem zärtlich-witzigen Strip-Poker-Spiel rasch in eine Ehe, bei der Jakob oft monatelang zur See geht und Lizzy ihm versichert: "Ich werde auf dich warten." Doch bald schon beschleichen den Kapitän Zweifel an der Treue der Ehefrau.

Der Film, eingeteilt in sieben Kapitel, ist ganz wunderbar gespielt, und die Zeit vor 100 Jahren hat Enyedi sehr stimmig umgesetzt. Man spürt auch die Leidenschaft der 66-jährigen Regisseurin, die angibt, dass die Buchvorlage sie schon im Teenager-Alter nachhaltig beeindruckt hatte. "Es berührt ganz direkt - ohne philosophische Anmaßung - den Sinn des Lebens", meint Enyedi.

"Red Rocket" erzählt die Geschichte eines Pornodarstellers

Im Prinzip hat "Red Rocket" des Amerikaners Sean Baker die gleiche Ausrichtung, denn auch dieser Film spricht letztlich vom Sinn des Lebens. Das Setting ist freilich ein ganz anderes: Es geht um einen einstigen Pornodarsteller, der aus Los Angeles wieder zurück in sein provinzielles Texas kommt, dorthin, wo sich um große Ölraffinerien endlose Hochspannungsleitungen und Wohnhäuser aus Holz gruppieren.

Hier wohnt seine Ex-Frau, ehemals Junkie und auch Pornostar. Aber sie will nichts mehr wissen von diesem Mikey Saber und seinem viagragestützten Können im Bett.

Das ändert sich bald, als Mikey, angetörnt von der 17-jährigen Donut-Verkäuferin Strawberry, zu wahrer Manneskraft aufläuft und die Ex im wahrsten Sinn des Wortes flachlegt. Er muss nur aufpassen, dass die im gleichen Haus lebende Schwiegermutter nichts davon mitkriegt. Auch Strawberry wird sich Mikey bald ergeben, und der naive, überschäumende Mann, ganz herausragend gespielt von Simon Rex, selbst einstiger Star aus Schwulen-Pornos, will aus Strawberry, wen überrascht's, einen Pornostar machen.

Eine messerscharfe Analyse der US-amerikanischen Nation

Den Namen dazu hätte sie ja bereits, und Mikey hofft darauf, durch sie wieder den Einstieg ins Business zu schaffen. Was nach einer Klamotte ersten Ranges klingt, entpuppt sich nach dem marktschreierischen Vorspann mit dem N'Sync-Hit "Bye, bye, bye" als messerscharfe Analyse der US-amerikanischen Nation: Sean Baker rotzt in frecher Manier einen Film auf die Leinwand, der in punkto Direktheit, Hysterie und Spielfreude seinesgleichen sucht. Auch, wenn es stilistisch kaum Überschneidungen gibt, so erinnert "Red Rocket" an die ungestüme Machart der frühen Tarantino-Filme: Da traut sich einer, auf unkonventionell zu machen und schafft dabei gleich auch ein Psychogramm des von Donald Trump überzeugten Teils der US-Gesellschaft: Menschen an sozialen Rändern, die glauben, der Sinn des Lebens sei eine Packung Zigaretten, gepaart mit ihrer Lieblingstalkshow im Fernsehen. Sie sind perspektivenlos, aber sie bemerken ihren miserablen Zustand scheinbar gar nicht.

Unter dem Brimborium einer Porno-Dramödie versteckt, ist "Red Rocket" so etwas wie ein lupenreiner Diamant, der wie ein Brennglas auf ein gefallenes Amerika blickt und darob auch weh tut.

Im ganzen Festivalgetümmel rund um den Wettbewerb geht so mancher anderer Film unter; nicht aber die deutsch-österreichische Koproduktion "Die große Freiheit" von Sebastian Meise, die in der Reihe "un certain regard" läuft. Meise inszeniert Franz Rogowski als jungen Mann, der sich in den 50er und 60er Jahren beim Sex mit anderen Männern erwischen lässt. Was ihn wegen des Paragrafen 175 (erst 1994 abgeschafft!) mehrmals hinter Gitter brachte. Dort lernt er einen von Georg Friedrich gespielten Mann kennen, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verbindet. Was hier zwischen den Zeilen passiert, ist ganz große Schauspielkunst.

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