"Silence": Wie ein Ablass-Schein
Martin Scorsese geht in "Silence" großen Fragen der Religion nach und beantwortet sie schwach.
Als Martin Scorsese nach 160 unbefriedigenden Minuten seinen Film im Abspann getöteten christlichen Missionaren widmet, fällt sein Großprojekt endgültig in sich zusammen. Die Verfilmung des Romans des katholischen Japaners Shusaku Endo von 1966 stellt durchaus bewegende Fragen, doch Scorsese beantwortet sie seltsam unschlüssig.
Das beginnt mit der Fundamentalfrage nach der Natur von Religion: "Warum sollte ein Japaner an Jesus Christus glauben?", fragt der lokale buddhistische Inquisitor (Yoshi Oida) den gefangenen jesuitischen Missionar (Andrew Garfield), der das verfolgte Christentum in Japan wieder aufrichten will. Ist Religion universelle Wahrheit? Dann kann sich daraus eine aggressive Mission in ihrem Namen ergeben. Oder ist Religion nicht eher geschichtlich gewachsene, regional verwurzelte Kultur, die durch Missionierung von außen sinnlos entwurzelt würde? So sieht es der buddhistische Inquisitor.
Spannend ist, dass wir bei diesen Fragen im Japan des 17. Jahrhunderts eine Sichtweise auf unser Christentum bekommen, wie man sie sonst nur aus Filmen über das römische Kaiserreich kennt: Die christliche Religion ist nicht Leitkultur, die Christen sind eine verfolgte, elende Minderheit. Und die europäischen Missionare sind keine Konquistadoren, sondern als Helfer ihrer Untergrundgemeinden immer am Rande des Märtyrertodes.
Ein seltsam kalter Film
So bitten gefangene Christen hier masochistisch um Folter, um die Größe ihres Gottes zu beweisen. Aber was "Silcence so schwächt: Die zentralen Missionsbrüder (Andrew Garfield und Liam Neeson) wirken unglaubwürdig im Glauben wie in ihrem Zweifel. Die großen Gefühle sind nur behauptet, nicht spürbar. Bei Grausamkeiten sieht man nur äußerlich den Schmerz, nie psychische Abläufe oder Gewissensqualen. Das macht den Film so seltsam kalt wie das nasskühle Japan in graublauem Regendunst.
Dass uns die Christen fremd bleiben, steigert Scorsese noch, indem wir die Christenverfolger nicht als Schlächter erleben, sondern als kultivierte Beamte, die nachvollziehbar um die kulturelle Identität und den politischen Zusammenhalt ihres Landes fürchten. Sie verlangen auch nur ein rein äußerliches, formales Abschwören und dass man dem Kaiser gibt, was des Kaisers ist.
Und sie wundern sich verständlich, mit welchem Fanatismus die Christen sich hinrichten lassen. "Diese sinnlosen Tode können von Eurem Gott nicht gewollt sein", sagt der Inquisitor und zeigt, dass der Buddhismus den Menschen auf Erden befrieden will, statt wie das Christentum die Menschen in einer Hölle auf Erden mit einem Himmelreich zu vertrösten.
Das alles könnte spannend sein. Denn die zwei jesuitischen Hauptfiguren vollziehen sogar den Ritus des Abfalls vom Glauben, treten mit den Füßen auf ein Christusbild im Staub und zeigen Zweifel an der Richtigkeit von Missionierung und sinnlosen Opfertoden. Aber das Ende des Filmes verrät diese weise Schwebe zwischen Glauben und Zweifeln durch übertriebene Symbolik. Einmal Christ, immer Christ, so der Film platt und schwach. Man hat das Gefühl, dass Scorsese fast 30 Jahre nach seiner befreienden Blasphemie mit der "Letzten Versuchung Jesus Christus", in der Jesus wirklich (Maria Magdalena) liebender Mensch wird, sich jetzt einen katholischen Ablass-Schein ausstellen wollte.
R: Martin Scorsese (USA/Japan 2016, 161 Min.)
Kinos: Arena, Cinema, Leopold, Mathäser, Museums-Lichtspiele
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