Selbsttäuschung als Lebenskunst

Der Zauber der Illusion: „Madame Marguerite“ mit der wunderbaren Catherine Frot, die rührend menschlich in die Rolle einer naiven Dame rutscht. Die Tragikkomödie erzählt den Selbstverwirklichungskamp der sympathischen Madame Marguerite.
Adrian Prechtel |
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Der Zauber der Illusion: „Madame Marguerite“ mit der wunderbaren Cathèrine Frot, die rührend menschlich in die Rolle einer naiven Dame rutscht. Die Tragikkomödie erzählt den Selbstverwirklichungskamp der sympathischen Madame Marguerite.

Im Zeitalter des dauernden Imperativs „Sei du selbst!“ halten wir uns alle für unheimlich individuell. Eine Selbsttäuschung! Denn wer traut sich denn schon, exzentrisch zu sein? Und so bewundern wir Personen wie König Ludwig, der sich die Freiheit nahm, das Leben zum Kunstwerk und die Fantasie zum Leben zu machen.

Der französische Regisseur Xavier Giannoli hat die Geschichte einer Amerikanerin verfilmt: Florence Foster Jenkins (1868 - 1944), High-Society-Lady mit dem Traum, Koloratursopranistin zu sein, den sie – gegen ihr Talent und den Willen ihres Mannes – verwirklichte und mit einem Konzert in der Carnegie Hall krönte, aber eine Woche danach starb.

 

Wahre Geschichte aus dem Frankreich der 20er Jahre

 

„Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“ verlegt diese wahre Geschichte ins Frankreich der wilden 20er. Und der französische Schauspiel- und Komödien-Star Cathèrine Frot spielt diese naive Dame unfassbar rührend menschlich. Und was ist es, was uns so für Madame Marguerite und ihren Selbstverwirklichungskampf einnimmt?

Diese Tragikomödie spielt stellvertretend für uns große Fragen durch: Wie unabhängig mache ich mich vom Urteil anderer, um ich selbst zu sein? Und wenn jemand, den ich liebe, ins Verderben zu laufen droht: Wie mutig bin ich, ihm die Wahrheit zu sagen? Oder braucht er zu seinem Glück nicht viel mehr meine liebende Unterstützung in seiner Lebens-Illusion?

Marguerites Ehemann aber schwänzt mit faulen Tricks und Ausreden die gesellschaftlichen Gesangsauftritte seiner reichen Frau in ihren Privatsalons, in denen alle speichelleckerisch ihrer Katastrophenstimme Beifall klatschen, weil sie Nutznießer der opulenten Einladungen sind. Hier entdeckt sie ein eingeschmuggelter Journalist (Sylvain Dieuaide). Aber auch er will Marguerite nur als dadaistisches Kunstwerk in die wölfische Avantgardszene einschleusen und nutzt Marguerites Naivität.

 

Grenze zwischen Realität und Wahnsinn

 

Elegant sind noch Klassengegensätze in die Geschichte eingewoben wie mit Marguerites schwarzem Butler, der sie heimlich liebt: „Es geht nicht um Schönheit und Größe, sondern darum, dass es mit Schönheit und Größe getan wird“, sagt er liebevoll und schirmt sie gegen böses Erwachen ab.

Auch die Frage der Emanzipation aus dem goldenen Käfig einer Ehe ist durchgespielt. Und die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn verläuft hier spannend verwischt. Für Sekunden glaubt man in Marguerites Augen das Eindringen der Wahrheit ablesen zu können, die aber eben schnell wieder verdrängt wird.

Am Ende ist man als Zuschauer auf der Seite der glücklichen Illusion anstatt der unglücklichen Wahrheit. Und für so einen Zauber ist die Traummaschine Kino genau der richtige Ort.

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