A24 / DCM Nach einer beispiellosen Panne konnte das Team von "Moonlight" schließlich den Oscar für den "besten Film" mit nach Hause nehmen.
Es war ein bezeichnender Moment: Bei der Verleihung der Oscars sollte eigentlich "Moonlight" als bester Film des Jahres geehrt werden, wegen einer Verwechslung aber durfte sich, für einen kurzen Moment nur, das Team von "La La Land" über die Auszeichnung freuen. Es hätte wohl auch niemanden verwundert, wenn tatsächlich das kunterbunte Hollywood-Musical die Auszeichnung mit nach Hause genommen hätte, und nicht "Moonlight" - ein Drama über einen schwulen, schwarzen Mann. "Moonlight" ist ein streng komponierter Film, der in drei Teilen aus dem Leben des
Afroamerikaners
Chiron erzählt. Alex R. Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes spielen ihn in verschiedenen Abschnitten seines Lebens. Der Film steigt ein, als Chiron neun Jahre alt ist und mit seiner Crack-süchtigen Mutter (Naomie Harris) in einem heruntergekommenen Viertel Miamis lebt. Ausgerechnet Juan (Mahershala Ali, Oscar als bester Nebendarsteller), der Mann, der seiner Mutter das
Crack verkauft, wird für Chiron eine Art Ersatzvater. Von ihm lernt Chiron die entscheidenden Lektionen für sein späteres Leben, erstmals verspürt er so etwas wie Geborgenheit
. Doch wo er hingehört, weiß Chiron noch nicht. Auch im zweiten Kapitel des Films ist Chiron, mittlerweile ein Teenager, auf der Suche nach sich und seiner Identität - als Mann, als
Afroamerikaner
und als Schwuler. Jeden Tag muss er mit den Anfeindungen seiner Mitschüler leben, die in ihm nur die "Schwuchtel" sehen. Im letzten Teil des Films schließlich, Chiron ist nun ein Mann von Ende 20 und lebt im Atlanta von heute, muss er sich entscheiden, ob er die Kraft und den Mut aufbringt, zu sich zu stehen. Die Geschichte, die "Moonlight" erzählt, wirkt auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen. Schließlich war Hollywood schon einmal weiter. Roland Emmerich
etwa erzählte unlängst mit "Stonewall" die Geschichte der schwulen Emanzipationsbewegung als kunterbunten Gutelaune-Film, und schwule schwarze Männerrollen gehören dank Serien wie "Empire" beinahe zur Grundausstattung amerikanischer Fernsehunterhaltung. Angesichts dieser nicht mehr ganz neuen schwulen Offenheit wirkt ein Betroffenheitsdrama wie "Moonlight", das den schwulen Mann in einer Opferrolle zeigt, zunächst arg anachronistisch. Doch Hollywood, dem so oft vorgeworfen wird, in einer Scheinwelt zu leben, hat offenbar erkannt, dass es da noch eine andere Realität gibt, in der eben nicht alles eitel Sonnenschein ist. Regisseur Jenkins erzählt von dieser düsteren Welt in schwelgerischen Bildern. In seinen schwächsten Momenten erinnert "Moonlight" dabei an eines der letzten Werke von Terrence Malick
; immer dann, wenn die Kamera durch lichtdurchflutete Settings schwebt, Menschen bedeutungsschwanger in die Ferne blicken und schwere Klassik für die richtige Stimmung sorgen soll. Das sind auch stets die Szenen, in denen gewichtige Sätze fallen. "Irgendwann musst du selbst entscheiden, wer du sein willst" legt das oscarprämierte Drehbuch etwa Drogendealer Juan in den Mund. Ein andermal, wieder so ein Schlüsselmoment, fragt der junge Chiron, was das denn sei, eine Schwuchtel? Nur selten gelingt es Regisseur Barry Jenkins, den in solchen Momenten lauernden Kitsch zu umschiffen und seine Protagonisten ganz nüchtern zu beobachten. Das sind dann die stärksten Minuten dieses Films. Etwa jene Szene, in der der jugendliche Chiron mit seinem besten Freund Kevin (Jharrel Jerome) zum ersten Mal Intimitäten austauscht. Auch die letzte Einstellung des Films, die so etwas wie ein Happy End verspricht, zeigt, was "Moonlight" hätte sein können, wenn Jenkins das Pathos zurückgefahren und sich stattdessen auf die reine Kraft seiner Geschichte und die unglaubliche Präsenz seiner Darsteller verlassen hätte.