Kritik

Schillerndes Meisterwerk: "DogMan" von Luc Besson

Der französische Meister vieler Genres fesselt den Zuschauer - und 70 Hunde spielten auch noch mit
von  Adrian Prechtel
Endstation? Erst mal ein Zigarette: Bei einer Verkehrskontrolle wird Doug (Caleb Landry Jones) in blutverschmierten Frauenkleidern festgenommen. 30 Hunde waren auf der Ladefläche des LKWs und die Polizei steht vor einem Rätsel.
Endstation? Erst mal ein Zigarette: Bei einer Verkehrskontrolle wird Doug (Caleb Landry Jones) in blutverschmierten Frauenkleidern festgenommen. 30 Hunde waren auf der Ladefläche des LKWs und die Polizei steht vor einem Rätsel. © Capelight Pictures

Bei der Pressekonferenz zur Premiere am Lido von Venedig waren einige Journalisten so aufgewühlt, dass ihnen die Stimme versagte. Und wer die Geschichte von "DogMan" hört, kann es sich vorstellen. Luc Bessons "Dogman" ist eine klassische Psychothriller-Geschichte und doch noch viel mehr.

Nachts wurde ein Mensch eingeliefert. Die Streifenpolizisten hatten ihn in New Jersey mit seinem Kleinlaster angehalten - blutverschmiert und im Laderaum vielleicht zwei Dutzend Hunde, die nach dem Öffnen in der Nacht verschwanden. Eine Psychologin wird beigezogen, um dem rätselhaften Menschen zu enträtseln - und sie entblättert bei diesem Douglas eine Lebensgeschichte, bei der einem der Atem stockt.

Als Junge wurde er von seinem religiös fanatischen und sadistischen Vater und dem älteren Bruder in den Hundezwinger gesperrt, wo der Vater Tiere für illegale Hundekämpfe hält. Die Mutter verlässt panisch die Familie. Nach einem Jahr völliger Verwahrlosung flieht der Junge mit den Hunden, kommt in ein Waisenhaus, erlebt zum ersten Mal Aufmerksamkeit durch Menschen und Bildung, verliebt sich, ist aber seit einer Gewalttat seines Vaters gehbehindert.

 

Doug ist für uns Zuschauer eine faszinierende Figur: ein ehemaliger, tief verletzter Kaspar Hauser, ein Robin Hood, wenn er seine Hunde auf Diebestouren in die Villen der Reichen schickt, er ist ein Mann der Selbstjustiz, selbst ein kleiner Mafia-Pate eines Stadtviertels, Überlebenskünstler. Wir sind auf seiner Seite, gerade auch, weil sich seine Lebensgeschichte immer mehr aufgefächert wird und sie in ihrer Ungeheuerlichkeit uns fasziniert und doch unfassbar und fremd ist: versehrt, verletzt, bedroht und doch - vielleicht gerade auch dadurch - gezwungenermaßen stark. Das ist große, schillernde, psychologische Kinokunst. Und Caleb Landry Jones, der US-Musiker und Schauspieler, ist hier als Doug so stark zu erleben, wie es Joaquin Phoenix als Joker war.

Dough ist dabei auch einer, der Männlichkeit bei seinem Vater und größerem Bruder nur als gewalttätig erlebt hat und so - selbst Mann - gelegentlich ins Fantastische ausweicht: als Transvestit, der auch in Clubs mit Marilyn-Monroe-, Marlene-Dietrich- und Edith-Piaf-Songs auftritt. Es ist die Freiheit eines Einsamen im Verkleiden, es ist das Spiel mit Glamour und Tragik, in dem er sich spiegelt und kurz geborgen fühlt. Und dann ist dieser Doug psychologisch noch so stark und intelligent, dass er das Polizeiverhör über weite Strecken umdrehen kann, das Gegenüber zwingt, über das eigene Leben nachzudenken. Er ist eben nicht nur Opfer, sondern auch ein autonomes Geschöpf, das sich selbst aus dem Chaos und Lieblosigkeit des Lebens erschaffen hat. Und hierbei hat er Hunde als seine einzige nähere Umgebung gewählt, nachdem die Menschen ihn verraten haben. Er wird sich dafür auch rächen.

Und man vollzieht nach, was dieser Doug als Lebenserfahrung gewonnen hat: "Hunde sind die besseren Menschen" - treuer, sozialer, instinktiv gerecht und intelligent.

Der Film ist in seiner schnüffelnden und beißenden Nähe zu den fantastisch abgerichteten Hunden - 70 wurden für den Film trainiert - sehr physisch. Die Kamera ist nie aufdringlich, aber immer so nah am Leben von Doug, das man den Zwinger, den Staub und das Verfallene der Industrieruine, wo er sich eine geheime Festung gebaut hat, nicht nur sieht, sondern auch zu riechen meint.

Es gibt bei Kinogängern manchmal Hemmschwellen, einen Film anzuschauen: Zu brutal? Zu bizarr? Oder hier noch die Triggerwarnung "Hundephobiker müssen leider draußen bleiben"?

Bei allen drei Alarmglocken kann man Entwarnung geben, auch weil der Film so packend intensiv ist, dass man ihn fasziniert nicht mehr vergessen wird.


Kinos: Royal (dt.) sowie Leopold, Arena, City, Monopol (alle OmU) und Gloria, Mathäser (dt. und engl. OV)
R: Luc Besson (USA/F, 113 Min.)

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