Rosenkrieger und Palmensieger

Zum Finale des Festivals stellt Sean Penn sein Ärzte-ohne-Grenzen-Drama „The Last Face“ vor. Und der deutsche Beitrag begeistert. 
von  Adrian Prechtel

Zum Finale des Festivals stellt Sean Penn sein Ärzte-ohne-Grenzen-Drama „The Last Face“ vor. Und der deutsche Beitrag begeistert. 

Dieses größte und wichtigste Filmfest der Welt, versucht – bei aller Internationalität – immer auch einen Balance-Akt: zwischen den USA als dominierender Filmnation und dem Stolz der Franzosen auf ihre eigene Kinokultur mit einem Starsystem, das Hollywood etwas entgegensetzen kann.

So wurde, nach dem nächtlich gefeierten Heimspiel-Rummel um die französischen Stars Marion Cotillard, Léa Seydoux, Nathalie Baye und Vincent Cassel im überspannten Film „Just la fin du monde“, jetzt wieder dramaturgisch der US-Trumpf ausgespielt.

Aber bei diesem Filmdrama sorgte vor allem der private Kleinkrieg zwischen Regisseur und Hauptdarstellerin für Spannung. Denn Sean Penn war der Lebensgefährte von Charlize Theron – bis zu den Dreharbeiten von „The Last Face“ und einem darauf folgenden öffentlichen Schmutzwäsche-Waschen. So war die Frage, wie die beiden hier zusammen das Ärzte-ohne-Grenzen-Drama vorstellen würden – auch wenn nicht Penn, sondern Javier Bardem den Gegenpart zu Theron spielte. Bei der Pressekonferenz würdigten sich die keines Blickes und saßen deutlich voneinander getrennt – Penn nahm nicht wie andere Regisseure sonst den Platz in der Mitte des Podiums, sondern einen weiter rechts.

Ein vitales Festival

Der Film selbst findet nicht gleich seinen Rhythmus und pendelt zwischen tragischer Liebe, grausamsten Afrikaeinsätzen und unserer westlichen Wohlstandswelt hin und her. Anschließend richtet er – wenn auch bildlich konventionell – einen großen, moralischen Appell an uns reiche, in Sicherheit lebenden Menschen.

Jetzt stehen nur noch zwei von 21 Wettbewerbsfilmen an: Der persische Festival-Liebling Asghar Farhadi („Nader und Simin“) kehrte nach „The Past“ in den Iran zurück und bringt von dort das Beziehungsdrama „The Salesman“ mit. Aber der Abschlussfilm an diesem Samstag kommt vom niederländischen Hollywood-Altmeister mit Kunstkino-Faible, Paul Verhoeven („Robocop“, „Basic Instinct“). „Elle“ zeigt die französische Super-Diva Isabelle Huppert als kämpferische Frau nach einer Vergewaltigung. So geht das Festival doch versöhnt amerikanisch und zugleich europäisch-französisch in die Palmen-Gala am Sonntagabend.

"Toni Erdmann" elektrisierte

Dieses 69. Festival an der Cote d’Azur war eines der vitalsten der letzten Jahre. Nicht nur der vielen Superstars wegen, sondern weil im diesjährigen Wettbewerb ein besonderer Beweis gelungen ist: Kunstkino kann die Zuschauer nur dann erfolgreich zum Nachdenken anregen, wenn es uns dabei gut unterhält. Dann gelingt es, den Zuschauer über den Abspann hinaus zu beschäftigen, zu einer sensibleren Weltsicht zu führen, und ihn auch zu empören – wie über eine verlorene Unterschichtsjugend in den USA (Andrea Arnolds „American Honey“) oder brasilianische soziale Rücksichtslosigkeiten („Aquarius“).

Stark waren sie, weil sie nie eine politische Haltung in den Vordergrund schoben, sondern die Verhältnisse anhand von bewegenden, psychologisch tief gezeigten Geschichten erzählten. Und oft waren spannenderweise auch die Hauptfiguren nicht nur Opfer oder gehörten einfach zu den Guten. Eine Ausnahme war Ken Loachs „I, Daniel Blake“, der allerdings wunderbar parteiisch Englands Sozialsystem als unmenschlich angriff.

Bei alledem hätte man sich – zumindest gesellschaftlich betrachtet – als sozialer Marktwirtschafts-Deutscher einigermaßen bequem in die Kinosessel drücken können. Wäre da nicht der phänomenal und von allen gefeierte deutsche Beitrag von Maren Ade, „Toni Erdmann“, der einen durch und durch elektrisierte.

Wer wird abstauben?

Selten waren in einer Vater-Tochter-Beziehung so grausam und humorvoll zugleich Generationenverwerfungen und kapitalistische Lebens-Deformierungen bloßgestellt worden. Das wird am Sonntag sicher belohnt werden. Ob gleich mit der Goldenen Palme? Zumindest auf Peter Simonischek und Sandra Hüller als Schauspiel-Palmenkandidaten setzt in Cannes fast jeder.

So ist der moderne, antikapitalistische Diskurs – nach „Occupy Wallstreet“, TTIP-Protesten, Parteigründungen wie Podemos und Syriza und aktuellen Massenprotesten hier in Frankreich – auch im Kino angekommen. Aber, wie es zur modernen Unterhaltungskultur gehört: ohne Verbissenheit, sondern bei aller Härte auch amüsant.

Dazu passt, dass in diesem Jahr in Cannes viel freizügiger, bunter Sex auf der Leinwand zu sehen war: überästhetisiert wie in Park Chan-Wooks historischem Jung-Lesben-Krimi „Mademoiselle“ oder in Pedro Almodóvars Dreiecks-Melodram „Julieta“. Aber auch drastisch mit wechselnden, meist homosexuellen Partnern im französischen Schäferstündchen-Film „Rester Vertical“.

Und der in den USA aufgewachsene Däne Nicolas Windig Refn hatte seine L.A.-Model-Geschichte über Schönheitswahn, „The Neon Demon“ dabei, die aber in dem Ästhetizismus erstickte, den sie angriff. An dieser Sterilität konnte auch Jungstar Elle Fanning als berechnende Unschuld vom Lande nichts retten.

Ein Preis für einen Hund

Den Soundtrack zum Festival lieferte am Donnerstag nach Mitternacht Jim Jarmuschs Musik-Doku „Gimme Danger“ über The Stooges, die hart-psychedelische Garagenband der Spät-60er. Ihr legendärer Sänger Iggy Pop gab danach ein Livekonzert im Grande Theatre Lumière.

Aber Jarmusch wurde vor allem für seinen Wettbewerbsspielfilm „Paterson“ geliebt, der so wunderbar die Langsamkeit und die Poesie des Alltags feiert. Er zeigt eine Woche im Leben eines Kleinstadt-Busfahreres in New Jersey mit seiner verträumten Frau und ihrem Mops, der hier eine Klamauk-Trophäe gewinnen wird: das goldene Hundehalsband, die Palme-Dog.

Und Meister Jarmusch selbst? Auch er wird hier am Sonntag einen der großen Preise abstauben. Schließlich war sein Film Publikums- und Kritiker-Liebling – kurz hinter „Toni Erdmann“.

Beide Meisterwerke werden wohl auch so kunstkinofreundlichen Jury-Typen wie Mads Mikkelsen, Vanessa Paradis, Kirsten Dunst oder Donald Sutherland gefallen, auch wenn Jury-Präsident der eher „Mad-Max“-geprägte George Miller ist.

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