Rosalie Thomass: "Japans Katastrophe ist auch unsere"

Die Katastrophe von Fukushima ist keine leichte Thematik für einen gemütlichen Kinoabend: Im Interview verrät Schauspielerin Rosalie Thomass, was "Grüße aus Fukushima" trotzdem zu einem heiteren Film macht.
von  (the/spot)

Für ihre Rolle in Doris Dörries neuem Film "Grüße aus Fukushima" wurde Rosalie Thomass (28, "Beste Chance") mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Als junge Deutsche Marie verschlägt es sie dabei in das japanische Katastrophengebiet. Maries Ziel: Durch das Leid anderer den eigenen Schmerz vergessen. Als sie merkt, dass ihr Plan nicht aufgeht, tritt sie die Flucht zurück in die Heimat an. Doch die alte Japanerin Satomi (Kaori Momoi), die letzte Geisha von Fukushima, macht Marie mit ihrem Eigensinn einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

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Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verriet Thomass, warum sie sich bei den Dreharbeiten in Japan besonders herausgefordert fühlte und warum der Film trotz der ernsten Thematik eine große Heiterkeit beinhaltet.

 

"Grüße aus Fukushima" war Ihre erste Zusammenarbeit mit Doris Dörrie. Was unterscheidet sie von anderen Regisseurinnen?

 

Rosalie Thomass: Sie hat einen sehr speziellen Stil für sich entwickelt, der ein sehr kleines Team beinhaltet. Das bedeutet, dass man als Schauspieler wesentlich mehr Verantwortung trägt, aber auch mehr Freiheit hat. Das habe ich zu hundert Prozent genossen. Ich mag Herausforderungen. Ich mag das gerne, wenn sich meine Arbeit auch anfühlt wie Arbeit. Und nicht wie ein Ponyhof.

 

Welche Eindrücke haben Sie aus Japan mitgenommen?

 

Thomass: Wir waren an einem ganz speziellen Ort, der nicht unbedingt nur etwas mit Japan zu tun hat, sondern vor allem mit einer Katastrophe und wie Menschen damit umgehen. Was ich daraus mitgenommen habe, ist, dass wir als Menschen füreinander da sein müssen, wenn alles zusammenbricht und alles verloren geht. Ob wir uns dabei helfen unser Haus aufzubauen oder ob wir uns einfach nur zuhören, ob wir zusammen kochen oder uns in den Armen liegen. Und das machen diese Frauen, die da jetzt seit fünf Jahren in diesen Notunterkünften leben, ganz toll - mit einer fast sturen Lebensfreude.

 

Finden Sie es nicht ironisch, dass diese Notunterkünfte ausgerechnet "Temporary Housing Communities" genannt werden?

 

Thomass: Das ist tatsächlich ein bisschen ironisch, weil es einfach nicht "temporary" ist. Diese Menschen werden da nicht mehr rauskommen. Es gibt Fälle von Leuten, die in dieser Zone, in der der Tsunami alles mitgerissen hat, ein Haus hatten. Und obwohl dieses Haus nicht mehr steht, müssen diese Menschen immer noch den Kredit dafür abbezahlen. Solange es Banken gibt, in denen Menschen arbeiten, die solche Entscheidungen treffen, ist die Welt ein grauer, finsterer Ort.

 

Denken Sie, dass der Film "Grüße aus Fukushima" hilft, uns das Leid dieser Menschen mehr ins Bewusstsein zu rufen?

 

Thomass: Doris sagt immer so schön, dass diese Katastrophe nicht nur Japans Katastrophe ist, sondern auch unsere. Es brauchte zynischer Weise dieses Unglück, damit wir zumindest einen Atomausstieg planen. Das Schöne an dem Film ist jedoch, dass ich nicht das Gefühl habe, dass Doris einen Zeigefinger erheben wollte. Die Katastrophe ist nur der Boden, auf dem die Geschichte spielt, und die eigentlichen Themen des Films sind allumfassend. Verlust, Heimatverlust oder auch krasse Einsamkeit. Wie wir uns trösten oder wieder auf die Beine kommen können. Dass wir im Jetzt leben. Ich sehe den Film eher wie eine philosophische kleine Liebesgeschichte.

 

Zwischen den beiden Frauen Marie und Satomi?

 

Thomass: Zwischen Menschen. Ich meine nicht Liebe im erotischen Sinn, sondern einfach menschliche Liebe.

Die beiden Frauen Marie (Rosalie Thomass) und Satomi (Kaori Momoi) nähern sich in "Grüße aus Fukushima" trotz kultureller Unterschiede an Foto:Mathias Bothor / Majestic

 

 

Ist es der Schmerz, der die beiden letztendlich zusammenbringt?

 

Thomass: Wir dürfen uns nicht gegeneinander richten. Das ist für mich die Message aus dem Film, die gerade so erschreckend aktuell ist. Wir müssen uns den Anderen gegenüber öffnen, egal wie groß unser eigenes Leid ist. Vor allem die japanische Dame macht es den beiden nicht leicht, sich einander nahe zu kommen. Aber Marie läuft mit einer sturen Offenheit immer wieder gegen diese Wand, bis sie endlich durchbricht. Das ist etwas, das unter Menschlichkeit fällt. Dass man dem anderen gegenüber offen bleibt und nachfragt, warum er beispielsweise wütend ist. Und nicht sagt: "Ich weiß eh wie du bist" - ob das jetzt ein Deutscher, ein Japaner oder ein Syrer ist.

 

Hat Sie vor allem diese Hartnäckigkeit Ihrer Rolle Marie gegenüber der Japanerin Satomi fasziniert?

 

Thomass: Marie geht davon aus, dass ihr Schmerz der größte ist, den die Welt je gesehen hat. Es ist mit Sicherheit der Größte, den sie bis dahin erfahren hat. Ich hatte immer das Bild im Kopf, dass sie in Einzelteilen in alle Winde zerstreut ist und sich im Laufe des Films wieder zusammensetzt. Mich hat daran fasziniert, dass ich noch nie eine Rolle spielen durfte, die so töricht ist, die sich so blöd verhält, die so oft auf die Schnauze fallen muss, die wirklich so hart lernen muss - und immer wieder mit einem Lächeln aufsteht. Solche Figuren gibt es viel zu selten. Ich hoffe, dass man ihr dabei gerne zusieht.

 

Angesichts von Elend das eigene Leben wieder auf die Reihe bekommen - ist das eine typisch westliche Herangehensweise, eigene Probleme zu lösen?

 

Thomass: Ich kann mir vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die erstmal aus diesem zutiefst egozentrischen Motiv heraus helfen wollen. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob das überhaupt schlecht ist. Immerhin fährt Marie wohin und will etwas machen. Sie scheitert halt. Ich habe eher das Gefühl, sie geht dieser Hilfsorganisation total auf die Nerven und im Weg um. Ich möchte das ungern so generalisieren, weil ich es so toll finde, wenn Menschen in die wildesten Gebiete aufbrechen, um anderen zu helfen und zu unterstützen. Und ich möchte niemandem unterstellen, dass er das nur macht, um sich besser zu fühlen.

 

Also ist die Tat an sich wichtiger als die Motivation, die dahinter steckt?

 

Thomass: Das ist eben die Frage. Marie hilft ja letzten Endes auch. Sie lernt nur, dass der Weg, den sie sich gedacht hat, nicht der Richtige ist. Sie geht dann auf eigene Faust zu Satomi und hilft ihr bei diesem recht unvernünftigen Projekt wieder in ihrem zerstörten Zuhause anzukommen. Marie ist nicht gut darin, einen Clown zu spielen, weil sie selbst gerade überhaupt keinen Funken Heiterkeit in sich trägt. Deswegen ist es wichtig, dass man sich fragt, wie man helfen kann. Der eine hat finanzielle Mittel, der andere hat vielleicht tröstende Arme, ein offenes Ohr oder einfach Zeit.

 

Wie hat sich das angefühlt, als Sie den fertigen Film zum ersten Mal gesehen haben?

 

Thomass: Schön. Ich habe nicht diese Panik, dass ich mich nicht angucken kann. Ich habe mich darüber Freude, dass der Film eine große Portion Heiterkeit und Leichtigkeit mitbringt. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob das nur meine Wahrnehmung ist, weil ich den Film so gut kenne. Bei der Berlinale-Premiere habe ich dann an der Reaktion des Publikums gemerkt, dass noch viel mehr Heiterkeit drinsteckt, als ich gesehen habe.

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