Roehlers "Enfant Terrible" im Kino: Böse, besessen, begnadet
München - Oskar Roehler erzählt in "Enfant Terrible" schonungslos vom Leben, Lieben und Filmschaffen des 1982 in München gestorbenen Rainer Werner Fassbinder, der in nur 13 Jahren mehr als 40 Kino- und Fernsehfilme drehte, darunter die berühmte Serie "Berlin Alexanderplatz".
Der kongeniale Film entwirft das Porträt eines widersprüchlichen Künstlers - böse, besessen, begnadet -, eines kreativen Berserkers, der trotz Weltruhms an sich selbst verzweifelte.
AZ: Herr Roehler, Sie träumten immer schon vom Wettbewerb in Cannes. Ihr Film hätte dort laufen sollen. Dann kam Corona, das Festival wurde abgesagt. Sind Sie die Wände hoch gegangen?
OSKAR ROEHLER: Als wir hörten, dass wir in Cannes angenommen sind, habe ich erst einmal einen Riesenluftsprung gemacht und mir mit Oliver Masucci zwei Tage lang die Kante gegeben, so richtig gefeiert. Und dann Corona. Da wacht man in einer leichten Katerstimmung auf. Aber ich bin hartgesotten, was kleinere Schicksalsschläge angeht und habe es mit meinen 61 Jahren irgendwie verkraftet. Da weiß man, wie das Leben spielt.
Roehler: "Dieser Kosmos hat mich völlig umgehauen"
Sie haben als 13-Jähriger "Händler der vier Jahreszeiten" von Fassbinder gesehen und dann viele weitere Filme von ihm verschlungen. Was ist Ihr Lieblingsfilm?
"In einem Jahr mit 13 Monden". Der Film hat mich in eine unheimliche Schattenwelt geführt voller Einsamkeit und Verlorenheit und ist trotzdem voller Poesie. Dieser Kosmos hat mich völlig umgehauen, auch dass Ende der 1970er Jahre ein Transsexueller die Hauptrolle spielt. Fassbinder wollte die Kälte Frankfurts und des Kapitalismus porträtieren. Und da spielt auch noch seine ganze Trauer um den Selbstmord seines Geliebten und Darstellers Armin Maier zwei Jahre zuvor mit herein, an dem er sich mit Sicherheit große Schuld gegeben hat.
Roehler: Fassbinder "hat Gefühle auch selbst ausgebeutet"
Fassbinder war ein ambivalenter Charakter, manipulierte und erniedrigte rücksichtslos seine Leute und hungerte gleichzeitig nach Liebe. Eine Kombination, die Sie nachvollziehen können?
Das kenne ich von mir selbst. Man neigt im wirklichen Leben leicht zu so einer Gefühlskälte, zu einem Überdruss. Er war anderer Menschen schnell überdrüssig, empfand Verachtung und sah sie in ihrer ganzen Kleinheit. Aber nach Phasen schrecklicher Erlebnisse, wenn der Schmerz oder die Turbulenz sich gelegt hat, dann macht das Künstlergehirn etwas, deformiert die Ereignisse beispielsweise in ein Melodram. Je genauer er ist, desto präziser wird er diese Zustände von Verzweiflung, Angst oder Klaustrophobie in Kunst verwandeln. Und das hat Fassbinder bei "Ein Jahr mit 13 Monden" gemacht, ein schrecklich wunderbarer Film mit ikonografischen Bildern. Diese tiefe Traurigkeit, diese Ausweglosigkeit und beklemmende Atmosphäre haben mich sehr stark geprägt.
Was fasziniert Sie sonst noch an ihm?
Die Todessehnsucht und auch diese Szenarien, wo Menschen dem Staat, einer größeren Umwelt oder größeren Kräften ausgeliefert sind, die sie entweder manipulieren oder zerstören wollen wie in "Angst essen Seele auf" oder in "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel". Es geht immer um die Ausbeutung von Gefühlen. Er hat Gefühle auch selbst ausgebeutet.
"Ich habe nie verstanden, warum er keine Position ergriffen hat"
Sie feiern auch den Wahnsinn von Fassbinder. War der vielleicht seine Antwort auf das saturierte München, gegen das er wie ein Berserker anlief?Vielleicht war es diese patriarchalische Männergesellschaft im München der 1960er Jahre. Man sieht diese dicken und fleischigen Schauspieler, alles Grobiane, die dann ihren Frauen aus dem Nichts heraus ins Gesicht schlagen. Dieser bräsige Macho-Habitus und die Frauen, die fast wie Nutten so halbnackt und lasziv in der Tür lehnen. Die vegetierten in diesem völlig verkommenen Münchner Sumpf. Ich habe nie verstanden, warum er keine Position ergriffen hat, ob ihm diese Brutalität zwischen Mann und Frau egal war. Die frühen Filme wie "Katzelmacher" oder "Liebe ist kälter als der Tod" interessieren mich nicht, offenbaren wenig Talent, stehen im Gegensatz zu seinem späteren Werk.
Roehler: "Fassbinder war ein ungewöhnlich produktiver Regisseur"
Muss ein Genie nicht manchmal dekadent sein oder scheitern, vielleicht sogar eine Lust am Scheitern empfinden, die es nach oben katapultiert?Ich weiß nicht, ob Fassbinder wirklich ein Genie war, das zu behaupten wäre übertrieben. Er war ein ungewöhnlich produktiver Regisseur. Es gibt nicht so viele Genies in der Filmgeschichte. Er war kein Ingmar Bergman, kein Federico Fellini oder Luchino Visconti. Das waren die Genies des europäischen Kinos, vielleicht noch Bernardo Bertolucci oder Jean-Luc Godard. Für mich war aber packend, wie er in der schwulen Subkultur unterwegs war und sein Leben auf dem Altar einer intensiven Verausgabung geopfert hat. Sein Werk, sein Leben, der permanente Arbeitsdrang, das alles ist mitreißend. Aufstieg und Fall, Genialismus und Dilettantismus, Todessehnsucht, Selbstzerstörung, ein tragisches Schicksal: der ideale Stoff für einen Film.
Sie sagten mal, keine perfekten Filme machen zu wollen. Gibt es den "perfekten" Film?
Klar gibt es den. Denken Sie an "La dolce vita". Aber so eine Perfektion schaffe ich nicht. Auch wenn ich "Enfant Terrible" für gelungen halte und mich nicht für eine Szene schämen muss oder den Zuschauer langweile.
Hätten Sie lieber damals Filme gemacht?
Natürlich, schon weil es mehr Freiheit gab, mehr Selbstbewusstsein, weil das Kino viel wichtiger und größer war, auch weil der europäische Film in den 1970er Jahren mit Ausnahmefilmen und Ausnahmeregisseuren Filmgeschichte geschrieben hast. Das begann in den 1960er Jahren mit der italienischen Nouvelle Vague, die ich für wichtiger halte als die französische.
Roehler: "Ich fühlte mich wie bei meinen ersten beiden Filmen"
Heute gibt es mehr Geld, mehr Förderung und mehr politische Korrektheit. Kommen Sie da als Regisseur leicht in die Klemme?
Darüber möchte ich lieber schweigen. Warten wir mal ab, was das mit dem Denken der schöpferisch Tätigen macht, welche Konsequenzen das nach sich zieht.
Wieso hat es sieben Jahre gedauert bis zur Realisierung von "Enfant Terrible"?
Es war eine lange Durststrecke voll menschlichen Versagens und auch professionellen Versagens, von daher die kleine Leidensgeschichte eines Regisseurs auf dem Weg zu seinem Film. Was ich da an Schwachsinn erlebt habe, wäre schon ein eigener Film gewesen. Bis ich mir irgendwann gesagt habe, ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich drehe ihn jetzt mit weniger Geld. Wenn ihr nicht in der Lage seid, diesen Film auf die Beine zu stellen, muss ich es jetzt auf meine Art machen, in nur 25 Drehtagen, für knapp drei Millionen Euro.
Und es hat geklappt.
Weil ich aus dem Independent-Kino komme. Ich fühlte mich wie bei meinen ersten beiden Filmen. Dieses Klima einer unheimlichen Kreativität habe ich wieder erzeugen können. Unter kommerziellem und finanziellem Druck wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Es war ein Glücksfall, dass ich noch was rausholen konnte für mich. Und ich konnte auf ein tolles Ensemble zählen, fast nur Theaterschauspieler wie Fassbinder-Darsteller Oliver Masucci.
Roehler: "Ich habe von mir selbst keine so hohe Meinung"
Sind Sie heute mit sich und Ihrem Werk zufrieden?
Oh Gott, das ist eine komplizierte Frage. Wenn man über das eigene Werk redet, klingt vieles so lapidar. Ich habe von mir selbst keine so hohe Meinung und nicht das Selbstbewusstsein, mich als wichtig oder bedeutend einzuordnen. Zu meiner Selbstrechtfertigung muss ich allerdings sagen, dass ich manchmal, wenn ich alte Filme von mir ansehe, erstaunt bin, wie stark sie noch auf mich wirken.
Und funktionieren sie noch bei jungen Leuten?
Ich habe im vergangenem Jahr "Der alte Affe Angst" von 2002 einer Gruppe von Tontechnikern aus der Uni vorgeführt. Da konnte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören, alle waren bis zur letzten Minute bei der Sache.
Sie arbeiten an einem Projekt namens "8 ¼", eine Reminiszenz an Fellinis "8 ½". Wie steht es damit?
Das kommt aus dem Kopf eines alten weißen Mannes, wie er die Welt so sieht. Im Grunde die Passionsgeschichte eines Regisseurs wie auch bei Fellini. Nur ist dies eine Komödie oder Satire, in der ich mich selbst auf die Schippe nehme. Das gilt als politisch sehr anrüchig und wendet sich gegen Flachheit und Dummheit der Filmindustrie, greift auf subtile Weise Beispiele heraus, auch mit Schauspielern. Das Projekt hat es schwer und ist noch lange nicht in trockenen Tüchern.
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Ab Donnerstag im Kino!
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