Kritik

Ridley Scotts "Napoleon": Meisterlich – aber nur auf dem Schlachtfeld

Ridley Scotts "Napoleon" nimmt es mit der Geschichte nicht so genau und überzeugt bei der Inszenierung der Schlachten - und der Liebe.
von  Gerhard Midding
Der große,strategische Motivator: JoaquinPhoenix als Napoleon vor der Schlacht.
Der große,strategische Motivator: JoaquinPhoenix als Napoleon vor der Schlacht. © Kevin Baker / Sony Pictures

Er soll sich die Ohren zugehalten haben, sobald er seinen Kanonieren den Befehl zum Feuern gegeben hatte. Aber das ist nicht verbürgt. Immerhin zeugt es von Klugheit, sich das Gehör nicht vom Lärm der Artilleriesalven ruinieren zu lassen. Auf jeden Fall ist aber nachprüfbar überliefert, dass Bonaparte nicht zuletzt deshalb ein so begnadeter Stratege war, weil er über exzellente mathematische Kenntnisse verfügte. Der Feldherr wusste genau, in welchem Abstand und welcher Höhe er die Artillerie postieren musste, um seinen Gegnern empfindliche Verluste beizubringen.

Auf dem Schlachtfeld behielt Napoleon stets einen klaren Kopf - noch bis Waterloo. Glaubt man Ridley Scotts Biopic, war dies jenseits der militärischen Kampfzonen eher selten der Fall. Der Napoleon, den der Regisseur, sein Drehbuchautor David Scarpa und sein Hauptdarsteller Joaquin Phoenix imaginieren, hat erstaunlich wenig gemein mit dem tradierten Bild der Geschichtsschreibung und den mittlerweile über 1000 Film- und TV-Auftritten des Triumphators.

Vanessa Kirby als Kaiserin Joséphine, die ihrem Mann (Joaquin Phoenix) mehr als ebenbürtig ist.
Vanessa Kirby als Kaiserin Joséphine, die ihrem Mann (Joaquin Phoenix) mehr als ebenbürtig ist. © Kevin Baker / Sony Pictures

Napoleon ist hier ein reichlich ungehobelter Soziopath. Nie sieht man ihn mit der selbstzufrieden in die Weste gesteckten Hand. Augenblicke des Innehaltens gewährt der Film seinem getriebenen Titelhelden nicht. Er ist mitnichten der visionäre Staatsmann und kultivierte Gesetzgeber, der in seiner Jugend ein aufmerksamer Leser von Platon, Voltaire und Goethe war. Auf die (falsche) Legende seiner geringen Körpergröße spielen Scott und Co allerdings verschmitzt an - während des Ägyptenfeldzugs muss er auf einen Schemel steigen, um Zwiesprache mit der Mumie eines Pharaos zu halten - aber diese Anekdote entsprang womöglich ja ohnehin nur britischer Propaganda.

Für die Revolution hat Scott nicht viel übrig

Überhaupt: Wann hätte je ein britischer Filmemacher die Französische Revolution in einem positiven Licht gezeigt? Die Abschaffung des Adels muss auf der anderen Seite des Ärmelkanals schließlich als ein ruchloser Affront erschienen sein. Bei Ridley Scott ist die Große Revolution ein Jeu de massacre. Der barbarische Mob schaut Hinrichtungen als Volksbelustigung zu und in der Nationalversammlung herrschen Chaos und Handgemenge.

Im Galopp durch drei Jahrzehnte

Den anfänglichen Wunsch, Napoleons Werdegang nach Ansehen des Leinwandfreskos noch einmal in Geschichtsbüchern (oder zumindest dem einschlägigen Wikipedia-Eintrag) nachzuschlagen, gibt man rasch auf. Allzu nonchalant sind die Freiheiten, die sich das Drehbuch gegenüber der Historie erlaubt.Diese sind nicht immer von Schaden. Köstlich ist beispielsweise jener Moment, in dem Napoleon einen britischen Gesandten mit beißendem Spott abkanzelt: "Glaubt ihr Engländer, überlegen zu sein, nur weil ihr Boote habt?" Den Satz hat Phoenix seinem Regisseur zufolge beim Dreh improvisiert. Ein ausgesprochener Freund der Marine war der Korse auch wirklich nicht.

Die Landung in Ägypten. Aber ist die überstürzte Abreise nicht aus Eifersucht geschehen?
Die Landung in Ägypten. Aber ist die überstürzte Abreise nicht aus Eifersucht geschehen? © Kevin Baker / Sony Pictures

Wer nun hofft, in dem stolze 158 Minuten dauernden Epos einen Eindruck von der Schlacht von Trafalgar zu erhaschen, wird wohl auf den Director's Cut warten müssen, der noch einmal zwei Stunden länger sein soll. Auf der Kinoleinwand hetzt Scotts Film jetzt noch im Galopp durch drei Jahrzehnte europäischer Geschichte. Staatsmänner, Marschälle, Gegner und Verwandte des Korsen rauschen am Publikum vorbei, ohne dass es sie augenblicklich identifizieren oder nachhaltig in Erinnerung behalten könnte.

Die politischen Verhältnisse, unter denen Napoleon an die Macht kam und sich zum Kaiser der Franzosen krönen konnte, rekapituliert das Drehbuch nur ansatzweise. Der Film bleibt ganz auf seine Interpretation der Hauptfigur und ihrer Ehe mit Joséphine de Beauharnais (Vasnessa Kirby) konzentriert. Auch diese ist eine Kampfzone - jedoch eine, auf der den Feldherrn seine geniale Intuition verlässt.

Vor dieser Frau streckt Napoleon die Waffen

Vielmehr gebärdet er sich hier anfangs als ein ausgemachter Tölpel. Er streckt die Waffen vor der eleganten, raffinierten Frau, die ihm rasch erklärt, dass er ohne sie nichts sei. Von dem glühenden Romantiker, der Liebesbriefe von erlesener literarischer Gewandtheit schrieb, ist auf der Leinwand keine Spur. Den Beischlaf bringt das Paar jeweils in bestürzend-ulkiger Eile hinter sich. Erotisch reizarm ist ihre Allianz indes nicht, denn hier treffen Zwei aufeinander, die unerschütterlicher gesellschaftlicher Ehrgeiz verbindet. So mag sich mancher wohl die Ehe zwischen Carla Bruni und Nicolas Sarkozy vorgestellt haben.

Mit der Scheidung ist die Liebesgeschichte nicht beendet

In Scotts ungalanter Komödie der Abhängigkeiten scheinen die Machtverhältnisse festzustehen. Mit der Figur des Usurpators, der sich der Liebe und eigenen Männlichkeit nicht gewiss sein kann, schreiben Phoenix und Scott gewissermaßen ihre Studie des Commodus aus "Gladiator" fort.

Die Staatsräson und Familienehre der Bonapartes teilen der unfruchtbaren Joséphine jedoch die schlechteren Karten zu. Mit der Scheidung ist ihre Liebesgeschichte indes nicht beendet. Joséphine ist das intime Herzstück des Films, das das Drehbuch geschickt mit der Militärhistorie verknüpft. Wer weiß schon, ob Napoleon nicht insgeheim tatsächlich aus Eifersucht den Ägyptenfeldzug abbrach und deshalb auch aus dem Exil auf Elba zurückkehrte.

Joaquin Phoenix al Napoleon Bonaparte
Joaquin Phoenix al Napoleon Bonaparte © Kevin Baker / Sony Pictures

Der Endreim beider Erzählstränge ist die Kränkung. Als Feldherr will Napoleon seine Gegner nicht nur besiegen, sondern demütigen. Scott amüsiert die Legende des korsischen Emporkömmlings, der es nicht abwarten kann, den gekrönten Häuptern der besiegten Länder auf Augenhöhe zu begegnen. Zugleich fasziniert ihn seine unbedingte, rücksichtslose Machtgier.

Meisterlich ist der Regisseur nur auf dem Schlachtfeld

In den Schlachtszenen ist der Regisseur in seinem Element. Die Identifikation des Filmemachers mit seinem Titelhelden wird darin endgültig besiegelt: Ist der Regisseur nicht selbst ein Eroberer, zumindest der Genres? Wie ein Feldherr gebietet er über die Heerscharen - gleichviel, ob sie aus echten Statisten bestehen oder digital zum Sterben erweckt werden.

Die Schlachtengemälde, die Scott entwirft, sind im Panoramablick majestätisch und in der Nahaufnahme erschütternd blutrünstig. So mitreißend und verstörend hat man den Krieg in vorindustriellen Zeiten auf der Leinwand noch nicht gesehen.


Kino: Astor im Arri, Astor im Bayerischen Hof, Sendlinger Tor, Rex, Leopold sowie Solln, Rio (auch OmU) City, Monopol (OmU), Gloria Cinemaxx, Mathäser (auch OV) sowie Cinema, Museum (OV)
Regie: Ridley Scott (USA, 158 Min.)

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