Regisseurin Doris Dörrie: "Mein Beruf ist die Sinnsuche"
In ihrem neuen Film "Grüße aus Fukushima" hat sich Regisseurin Doris Dörrie (60), dem Schicksal der Menschen in dem japanischen Katastrophengebiet angenommen. Es ist ein Film entstanden, der nicht nur das Leben der Menschen dort thematisiert, sondern auch das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen. Die Nachrichtenagentur spot on news traf die Wahl-Münchnerin zum Interview und sprach mit ihr über die Entstehung des Films und die enge Verbindung zwischen dem deutschen Atomausstieg und der Katastrophen in Fukushima.
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Im März jährt sich die Katastrophe von Fukushima zum fünften Mal. Was hat für Sie den Anstoß gegeben einen Film mit dieser Thematik zu drehen?
Doris Dörrie: Weil ich im November 2011, sechs Monate nach der Katastrophe, da war. Es war nicht nur eine, es waren drei Katastrophen - der Tsunami, das Erdbeben und der AKW-Unfall innerhalb von 20 Minuten. Ich war sehr erschüttert, was das für die Leute dort bedeutet. Damals war ich auch schon in diesen Notunterkünften. Und jetzt fünf Jahre später hat sich nichts verändert, dieselben Leute leben dort immer noch. Alles, was man im Film sieht, ist echt. Für diese Menschen hat sich nichts getan. Man kann diese radioaktive Katastrophe nicht beseitigen.
Wieso haben Sie den Film "Grüße aus Fukushima" genannt?
Dörrie: Weil wir so eine enge Verbindung mit Japan haben. Durch die Katastrophe sind wir ausgestiegen oder versuchen zumindest aus der Atomenergie auszusteigen. Weil wir diese Verbindung nicht so wirklich wahrnehmen, schicke ich jetzt "Grüße aus Fukushima". Um uns vielleicht ein bisschen daran zu erinnern.
Denken Sie, dass das Thema zu wenig beachtet wird?
Dörrie: Ja, wobei wir uns wirklich um die Entwicklung von alternativen Energien bemühen. Die Politik in Japan hingegen ist meilenweit davon entfernt, Anti-AKW-Bewegungen zu unterstützen.
Wie haben die Bewohner aus der "Temporary Housing Community" auf die Dreharbeiten reagiert?
Dörrie: Die waren begeistert, dass wir da waren. Ich glaube, der Film ist ihnen am Ende gar nicht so wichtig wie die Tatsache, dass wir da waren, uns für sie interessiert und ein bisschen für Unterhaltung gesorgt haben. Diese Dankbarkeit hat uns fast schon wieder beschämt.
Zum Großteil leben dort Frauen, richtig?
Dörrie: Die Männer haben die Katastrophe nicht so gut überlebt. Die Jungen sind sowieso direkt nach der Katastrophe gegangen. Die alten Männer haben entweder angefangen, furchtbar zu trinken, sind spielsüchtig geworden oder haben sich im schlimmsten Fall umgebracht. Die Frauen hingegen haben sehr schnell begriffen, dass sie sich zusammentun und kleine Aktivitäten organisieren müssen - wie Nähzirkel, Strickzirkel, Singgruppen zu gründen, um sich beschäftigt zu halten.
Was hat Sie dazu bewogen, den Film komplett in Schwarz-Weiß zu zeigen?
Dörrie: Schwarz-Weiß hat eine größere Kraft. Außerdem ist die Farbe aus diesem Landstrich so gut wie verschwunden. Durch die Verwüstung, die der Tsunami angerichtet hat, ist das Land versalzen. Alles ist nur noch Beige-Braun und der Himmel zeigt sich nur noch in einem blassen Blau-Grau.
Wie fühlt es sich an, die ganze Zeit mit dem Geigerzähler herumlaufen zu müssen?
Dörrie: Das ist kein schönes Gefühl. Aber man merkt auch, dass wir Radioaktivität nicht wirklich begreifen können. Wenn man sich diese Gefahr ständig bewusst macht, kann man in diesem Katastrophen-Gebiet nicht existieren. Ich verstehe inzwischen, warum sich die Leute irgendwann ergeben. Es nützt nichts, jeden Tag zu wissen, wie hoch die Gefahr ist, wenn man nichts tun kann.
Rosalie Thomass wurde beim Bayerischen Filmpreis für "Grüße aus Fukushima" als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Waren Sie in diesem Moment stolz auf sie?
Dörrie: Ich bin generell sehr stolz auf sie. Und auf alle, die diesen Film mitgemacht haben, weil das ein besonders schwieriger Film war. Rosalie hat das so toll gemacht und war so tapfer.
Ihr Film thematisiert auch das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Deutschen und Japanern?
Dörrie: In Japan fällt man vor allem durch seine Größe sehr auf. Es ist alles nicht so recht gebaut für unsere westliche Physionomie. Aber auch unsere Körpersprache passt erstmal nicht so wirklich nach Japan. Im Film haben wir Marie, die am Anfang in dieser Umgebung durchaus trampelig wirkt. Jemand wie die alte Satomi hat eine Art der Eleganz und der Formvollendung, die sehr japanisch und dort kulturell begründet ist.
Doris Dörrie (links) mit ihren beiden Hauptdarstellerinnen Rosalie Thomass (Mitte) und Kaori Momoi Foto:Majestic / Mathias Bothor
Wieso haben Sie der jungen Deutschen Marie eine Geisha als Gegenpart gegeben?
Dörrie: Dass Satomi die letzte Geisha von Fukushima ist, ist direkt mit der realen Geschichte der letzten Geisha von Kamaishi verknüpft, die ich in der "New York Times" gelesen habe. Diese Geisha hatte einen Song, den sie gerne weitergeben wollte. Weil sie niemanden mehr hatte, sind drei junge Geishas aus Tokio zu ihr aufgebrochen und haben dieses Lied von ihr gelernt. Ich habe diese drei jungen Frauen gesucht und jetzt spielen sie in "Grüße aus Fukushima" die jungen Geishas. Und das Lied aus dem Film ist der Song der alten Geisha aus Kamaishi. Die Geschichte dreht sich also auch um Kultur und wie man sie weitergibt. Sie stellt die Frage, ob man überhaupt noch eine kulturelle Identität hat, wenn alles verloren geht.
Was passiert, wenn der Mensch seine kulturelle Identität nicht mehr weitergeben kann?
Dörrie: Ohne jede Art von kultureller Anbindung werden das Unglück und die Vereinsamung sehr groß. Das kann man im Moment sehr gut an den vielen Flüchtlingen beobachten, die zu uns kommen. Diese Menschen sind komplett abgeschnitten von ihrer Kultur und das ist ein sehr großer Verlust, obwohl sie hier in friedlichen Verhältnissen leben. Dieser Verlust hat mit allen Dingen zu tun, die man vermisst und die man wie Gespenster im Gepäck mitbringt. Kultur ist etwas, das uns sehr stark definiert und uns ein Gefühl von Lebendigkeit gibt.
"Grüße aus Fukushima" dreht sich auch um die Sinnsuche. Haben Sie eine solche bereits durchlaufen?
Dörrie: Die habe ich jeden Tag. Mein Beruf ist die Sinnsuche.