Interview

Regisseurin Ben Hania im Interview: "Wir sollten nie dem ersten Eindruck folgen"

Am Donnerstag (24. Februar) startet ein besonderer Film: "Der Mann, der seine Haut verkaufte" - ein realsatirisches Drama um Migration und den perversen Kunstmarkt. Ein Interview mit der Regisseurin.
von  Margret Köhler
Ein Mann ohne Geld und Macht, viril, aber durch Diktatur und Kapitalismus kastriert: Yahya Mahayni als Sam Ali.
Ein Mann ohne Geld und Macht, viril, aber durch Diktatur und Kapitalismus kastriert: Yahya Mahayni als Sam Ali. © Eksystent Film

AZ-Interview mit Kaouther Ben Hania: Die tunesische Regisseurin wurde 1977 in Sidi Bouzid geboren. Sie studierte Film an der Ecole des Arts et du Cinéma in Tunis und hiernach an der Fémis und an der Sorbonne in Paris.

Mit bissiger Ironie entwirft die Tunesierin eine grausame Fabel über die Suche nach Liebe, Freiheit und Identität und rechnet mit einer saturierten und elitären Kunstszene ab, in der nicht der Mensch zählt, sondern nur sein schnöder Wert als Kunstobjekt, Extravaganz mehr gilt als Ethik. 

"Sam Ali verkauft ja nicht nur seine Haut, sondern im symbolischen Sinne auch seine inneren Überzeugungen", sagt die Regisseurin Kaouther Ben Hania über ihren Protagonisten.
"Sam Ali verkauft ja nicht nur seine Haut, sondern im symbolischen Sinne auch seine inneren Überzeugungen", sagt die Regisseurin Kaouther Ben Hania über ihren Protagonisten. © imago images/Cinema Publishers Collection

"Der Mann, der seine Haut verkaufte" ist der junge Syrer Sam Ali, der nach seiner politisch motivierten Flucht in den Libanon auf ein lukratives Angebot eingeht: Wenn er sich auf dem Rücken ein riesiges Schengen-Visum tätowieren lässt und als lebendes Ausstellungsstück dient, erhält er viel Geld - und: das begehrte Visum. Der Deal entpuppt sich als Albtraum.

"Es ist doch provozierend, einen Menschen als Kunstwerk zu präsentieren"

AZ: Frau Ben Hania, ein tragisches Flüchtlingsschicksal mit dem zeitgenössischen Kunstgeschäft zu verbinden, das ist schon eine ziemlich krude Kombination.
KAOUTHER BEN HANIA: Beim Besuch der Retrospektive des belgischen Künstlers Wim Delvoye im Louvre, der über Jahre hinweg den Rücken des Schweizers Tim Steiner tätowierte: Da ist mir die Idee zu meinem Film gekommen. Als ich ihn im Museum als Teil der Ausstellung sitzen sah, wie er den neugierigen Blicken völlig ruhig seinen Rücken präsentierte, war ich geschockt und durch die Kraft des Bildes, gleichzeitig fasziniert. Die Problematik eines Menschen als Objekt des Kunstmarkts ging mir nicht aus dem Kopf. Irgendwann machte es Klick, und ich setzte mich an das Drehbuch. Vorher habe ich mich in die Kunstgeschichte und die Darstellung des menschlichen Körpers hineingekniet.

Was interessierte Sie daran?
Die Motivation eines Künstlers, die moralischen Grenzen des Marktes auszureizen. Es ist doch provozierend, einen Menschen als Kunstwerk zu präsentieren. Delvoye hat sich mit diesem Werk auch über die eitle Kunstszene und ihre Rituale lustig gemacht. Gleichzeitig mischt er aber voll mit und achtet als Unternehmer und Künstler auf Profit. Die Mär vom armen Künstler funktioniert nicht mehr. Kunst ist heute etwas für Investoren und Eliten.

"Es geht um die Mechanismen des Kapitalismus"

Ihm gegenüber steht der syrische Geflüchtete. Es ist schon ein Zynismus, dass jemand seine Haut zu Markte tragen muss, um sie zu retten...
Ich gebe Ihnen Recht, das ist pervers. Ein faustischer Pakt. Sam Ali verkauft ja nicht nur seine Haut, sondern im symbolischen Sinne auch seine inneren Überzeugungen. Er wird in seiner Naivität Teil dieser Kunstwelt, lässt sich erst blenden, bevor er sich wehrt und seine Würde zurückverlangt, damit auch seine persönliche Freiheit. Ich fand es spannend, diese beiden entgegengesetzten Welten aufeinandertreffen zu lassen.

Ist Ihr Film auch eine Kritik an unserer westlichen Gesellschaft, in der alles am materiellen Wert gemessen wird?
Kritik ist nicht das richtige Wort, ich würde Zustandsbeschreibung vorziehen. Es geht um die Mechanismen des Kapitalismus, diese Ideologie dominiert nicht nur im Westen, sondern auch im Orient. Und nicht zu vergessen, auch in China expandiert der Kunstmarkt. Es geht um Privilegien und um diejenigen, die auf der "richtigen" und die auf der "falschen" Seite geboren sind. Die einen genießen alle Freiheiten und können um die Welt reisen, die anderen müssen ums Überleben kämpfen. Der Kunstmarkt mit seinen Gewinnmargen existiert und die Geflüchteten in ihrer Not existieren. Alles nur zu kritisieren, wäre zu einfach, das entspricht nicht meiner Vorstellung von Kino. Ich möchte einen neuen Blickwinkel eröffnen, nicht auf ausgetretenen Pfaden trampeln.

"Das Wichtigste war die Frage, wie diesen Körper filmen"

Manchmal erinnert das Verhalten der Privilegierten an die koloniale Vergangenheit.
Es ist schon seltsam, wir geben uns erschüttert über die Ausbeutung in den damaligen Kolonien. Dagegen haben wir uns an die Toten im Mittelmeer gewöhnt, ohne dass es einen Aufschrei in Europa gibt. Auch über die Restriktionen des Schengen-Systems und die Visavergabe empören wir uns nicht, betrachten unsere Privilegien als normal. Wir reden zwar von Verantwortung und Gleichheit, Solidarität und Menschenfreundlichkeit, aber nehmen Ungleichheit in Kauf, ohne darüber nachzudenken oder etwas zu verändern.

In Ihrem vorherigen Film "Beauty and the Dogs" standen eine Frau und ihr Kampf um Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Hier arbeiten Sie mit einem Mann und seinem Körper.
Das Wichtigste war die Frage, wie diesen Körper filmen, wie ihn in Szene setzen, diese Maskulinität zu erforschen, hier eine marginalisierte Maskulinität. Ein Mann ohne die Insignien Geld und Macht, viril, aber durch den Kapitalismus kastriert und die Diktatur, in der er lebte. Diesen Menschen visuell und emotional zu ergründen, empfand ich als große Herausforderung. Yahya Mahayni, der Sam Ali spielt, hat den Zwiespalt in dieser Figur sofort verstanden und die Distanz zu einer absurden Welt kongenial umgesetzt.

"Wir haben nichts dem Zufall überlassen"

Wie haben Sie ihn gefunden?
Durch einen sehr langen Castingprozess. Wir suchten einen Syrer und schauten uns viele selbst gedrehte Videos an. Als ich sein Video sah, wusste ich, das ist der Richtige. Um sicher zu sein, habe ich noch andere Aspiranten vorsprechen lassen. Aber niemand kam an ihn heran. Er konnte souverän auf der Emotionsskala spielen und - nicht zu vergessen - er hatte den idealen Rücken.

Sie haben mit "Challat of Tunis" Erfahrungen im Dokumentarfilm. Spielten Sie mal mit dem Gedanken, keinen Spielfilm, sondern einen Dokumentarfilm zu drehen?
Ich wollte keinen Dokumentarfilm machen und auf keinen Fall - wie so oft bei Filmen über Geflüchtete - mit naturalistischen Bildern arbeiten. Mein Kameramann Christopher Aoun, ein in Deutschland lebender Libanese, und ich haben ein Konzept entwickelt, das einerseits die Kunstwelt und ihre Posen entlarvt und andererseits auch Mythos und Märchenhaftigkeit versprüht. Wir haben nichts dem Zufall überlassen, jede Szene, Farbschattierung und jeden Ton durchdiskutiert.

"Wir sollten nie dem ersten Eindruck folgen"

Wie haben Sie das Projekt trotz des diffizilen Themas gestemmt?
Wir verfügten nur über ein Minimalbudget. Ich habe meine ganze Energie reingesteckt, um dem Film trotzdem einen teuren Look zu verpassen. Allein mit tunesischem Geld kann man keinen Film realisieren, wir brauchten also eine internationale Koproduktion, Deutschland war einer der Partner. Die Finanzen zu regeln und trotzdem einen ambitionierten Plan durch zu ziehen, erwies sich als Horror. Zudem der Film nicht dem entsprach, was von einer Tunesierin erwartet wird, nämlich ein Frauenthema. Aber zum Drehstart war alles bis ins kleinste Detail vorbereitet. Wir durften keinen Tag verlieren. Ich bin deshalb stolz, dass wir es trotzdem geschafft haben - bis zur Oscarnominierung.

Hat die Erwartungshaltung Sie unter Druck gesetzt?
Die Vorurteile haben mich geärgert. Als Drehbuchautorin und Regisseurin bin ich nicht auf ein Geschlecht festgelegt, sondern ich muss mich in die Figur hineindenken können, egal ob Mann oder Frau. Viele Klischees vermitteln eine falsche Sicherheit, die müssen wir aufbrechen. Im Kino sollten wir Klischees zeigen und damit spielen, um sie danach ad absurdum zu führen. Im Film drehe ich den Spieß um. Nehmen Sie den charismatischen Künstler Jeffrey Godefroi, wunderbar verkörpert durch Koen de Bouw. Zu Beginn kann man ihn nicht ausstehen. Ein eingebildetes Arschloch denkt man. Und dann entwickelt er ganz unerwartete Facetten. Wir sollten nie dem ersten Eindruck folgen. Wir geben uns leider oft zu schnell mit eindimensionalen Lösungen zufrieden. Dabei sind die Zusammenhänge immer sehr komplex und die menschliche Natur sehr vielfältig.

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