Interview

Regiedebüt von Desirée Nosbusch "Poison" mit Tim Roth

Interview: Désirée Nosbusch über ihr Regiedebüt "Poison - Eine Liebesgeschichte" mit Trine Dyrholm
André Wesche |
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Beim Dreh: Désirée Nosbusch, Tim Roth und Trine Dyrholm.
Beim Dreh: Désirée Nosbusch, Tim Roth und Trine Dyrholm. © Markus Jans / Filmwelt

In ihrem Spielfilm-Regiedebüt "Poison - Eine Liebesgeschichte" erzählt die luxemburgische Schauspielerin die Geschichte eines mittlerweile getrennten Paares, das sich am Grab des gemeinsamen Sohnes wiedertrifft und die Vergangenheit aufarbeitet. Das Drama spielt fast ausschließlich auf einem Friedhof. Wir sprachen mit der 60-jährigen über die Arbeit am Film, ihre Faszination für Gottesäcker und die Angst, ein Kind zu verlieren.

AZ: Frau Nosbusch, wie lange tragen Sie sich schon mit dem Wunsch, Regie zu führen und warum war jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Debüt?

DÉSIRÉE NOSBUSCH: Ich habe vor ungefähr 25 Jahren angefangen, in L.A. Regie zu studieren. Ich wurde gerade Mutter, befand mich in den USA und meine Karriere in Deutschland ging mehr oder weniger den Bach runter. Die Rollen, die ich gerne gespielt hätte, bot man mir nicht an. Ich bin aber der Typ Mensch, der sich nur kurz sagt, wie furchtbar alles ist und im nächsten Moment etwas dagegen tun will. Wenn es keine Geschichten gibt, für die man mich will, muss ich sie eben selbst finden. Ich bin zur UCLA Extensions gegangen, die haben eine super Filmabteilung. Ich habe mit der Produktion angefangen und gemerkt, dass Zahlen und Geld mich noch nie interessiert haben und mich auch jetzt nicht interessieren.

Tim Roth und Trine Dyrholm in "Poison".
Tim Roth und Trine Dyrholm in "Poison". © Markus Jans / Filmwelt

Wie ging es dann weiter?

Ich habe die Entwicklung von Stoffen und Regie ausprobiert und Blut geleckt. Die Herausforderung war, dass man am Ende der Ausbildung einen Kurzfilm machen musste. Man konnte sich aussuchen, ob man ihn intern macht - sprich in die verschiedenen Abteilungen geht, sich alles holt und ein kleineres Budget hat - oder es außerhalb der Schule realisiert und dann einreicht. Dort musste man aber selbst klarkommen und man bekam nichts gestellt. Da ich bereits aus der Branche kam, hatte ich natürlich den Ehrgeiz, alles ein bisschen größer zu gestalten. Ich habe ein Drehbuch namens "Ice Cream Sundae" geschrieben, ein sehr autobiographischer Kurzfilm. Ich bin losgezogen und habe versucht, Geld dafür zu sammeln.

Ist es Ihnen gelungen?

Ich habe bei der Luxemburger Förderung angeklopft. Die waren großzügig und haben mich unterstützt. In München bin ich bei einer Party, wo wichtige, reiche Menschen zusammensaßen und - was mir sehr gegen den Strich geht - rumgegangen wie mit einem Klingelbeutel und mit drei Servietten weggegangen, auf denen stand: 10.000 Euro. Und zack, boom! Irgendwann hatte ich das Geld für diesen Kurzfilm zusammen, habe in L.A. gedreht und konnte Tippi Hedren für die Rolle begeistern. Dieser Abschlussfilm hat in Houston und Fargo Gold gewonnen, bei Festivals in Europa hat er aber gar kein Publikum gefunden. Es hieß immer, er sei zu amerikanisch. Ich dachte mir: Okay, klar, da komme ich gerade her und habe dort studiert. Dann habe ich leider 20 Jahre gebraucht, um "Poison" zu machen.

Versuchgt sich aus der Trauer zu befreien: Tim Roth als Lucas.
Versuchgt sich aus der Trauer zu befreien: Tim Roth als Lucas. © Markus Jans / Filmwelt

Der Film basiert auf einem gleichnamigen Theaterstück.

Ja. Ich habe mich unendlich darin verliebt und es nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Ich habe diese Zeit aber auch gebraucht. Jetzt habe ich das Gefühl, viel mehr zu wissen als vor zwei Jahren, als ich "Poison" gedreht habe. Ich habe großen Respekt davor, weil es eine echte Verantwortung ist, die man übernimmt. Es ist nicht selbstverständlich, dass dir Menschen vier Millionen anvertrauen und du damit deinen ersten Film machst. Ich wollte dem gerecht werden und das Ganze professionell vorbereitet umsetzen. Und jetzt habe ich natürlich Blut geleckt, aber so richtig!

Hatten Sie während der Arbeit am Film schlaflose Nächte?

Ich habe mich in der ersten Woche jeden Tag auf der Fahrt zum Set vor Angst übergeben. Ich war so unendlich nervös. Ganz besonders vor dem ersten Tag. Ich dachte: Jetzt kommen dieser wunderbare Tim Roth und diese wunderbare Trine Dyrholm am Set auf mich zu und werden fragen: "So, Désirée, what are we doing today?" Ich habe zwei Monate nicht wirklich geschlafen, ich bin rotiert.

Kannten sich Trine Dyrholm und Tim Roth?

Trine kannte natürlich Tim. Ich hatte erst ihn besetzt und er fragte natürlich sofort: "Who's gonna play the woman?" Ich sagte ihm, dass ich mir Trine Dyrholm wünschen würde, wenn das für ihn okay sei. Er kannte sie nicht. Dann hat er sich mit ihren Filmen auseinandergesetzt und sagte: "Of course that's okay!" Er war ganz fasziniert von ihr. Und sie hat Gott sei Dank zugesagt. Wenn du ein No-Name bist wie ich, kannst du solche Leute nicht zum Casting treffen. Ich musste mir dieses Paar im Kopf vorstellen. Und dann ist es immer nochmal etwas anderes, wenn du zwei Menschen zusammen siehst. Ich konnte nur nach meinem Bauchgefühl gehen. Dann haben wir geprobt und sind durchs Drehbuch gegangen, aber durch Covid per Zoom und nicht persönlich.

Ist in ihrer Trauer gefangen: Trine Dyrholm als Edith.
Ist in ihrer Trauer gefangen: Trine Dyrholm als Edith. © Markus Jans / Filmwelt

Dann kam der große Moment des Zusammentreffens.

Ja, dann schon in Luxemburg. Judith Kaufmann und ich saßen wie zwei Schülerinnen an einem Tisch. Per Walkie hieß es, die Schauspieler kommen. Sie hatten getrennte Autos und fuhren vor. Sie kamen wie inszeniert in diesen Konferenzraum hinein, Trine durch die eine Tür und Tim durch die andere. Judith und ich hielten uns bei der Hand, wie schauten uns an und wussten, wir haben einen Film! Es gab vollen Respekt, völlig auf Augenhöhe. Trine ist jemand, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Genau das war, was ich für die Figuren brauchte.

Glauben Sie, dass sich männliche Zuschauer eher mit Lucas und weibliche mit Edith identifizieren können?

Das hängt ein davon ab, ob die männlichen Zuschauer Zugang zu ihrer weiblichen Seite haben oder nicht. Wenn man in Klischees denkt, würde man vielleicht sagen: Die arme Frau. Er verlässt sie und ist der Böse. Aber wenn man sich auf die Geschichte einlässt, springt man die ganze Zeit. Das war mir wichtig. Meine Priorität in der Arbeit an diesen Film war, die Balance zu halten. Immer, wenn man denkt, er sei stärker und sie sei schwächer, sollte sich das sofort revidieren. Hier gibt es nicht Gewinner oder Verlierer. Er ist nicht derjenige, der weniger leidet als sie. Er leidet anders. Nichtsdestotrotz hat man empathische Figuren. Ich wollte, dass beide am Ende die Möglichkeit auf ein glückliches Leben haben. Dass sie sich gegenseitig die Erlaubnis geben, in ihrem jeweiligen Leben glücklich zu werden.

Die Begegnung der beiden ereignet sich auf einem Friedhof. Mögen Sie diese Orte?

Ja, ich habe eine völlige Faszination. Es gibt einen Grund, weshalb "Poison" mein erster Film geworden ist. Wenn es in meiner Kindheit hieß, ich würde mit meiner luxemburgischen Oma einen Ausflug machen, sind wir auf Friedhöfe gegangen. Wir haben Butterbrote geschmiert und etwas zu trinken mitgenommen. Ich bin als Kind fasziniert über die Friedhöfe spaziert, habe umgekippte Blumentöpfe aufgestellt, Kerzen geradegerückt und verwelkte Blätter weggefegt. Bis heute habe ich eine Faszination für Friedhöfe. Ich war noch keine drei Tage in Vilnius für den Dreh von "Sisi" und habe mir schon den größten Friedhof angeschaut. Friedhöfe sagen so viel über die Kultur eines Volkes aus.

Inwiefern?

Ich bin halb Italienerin. In Italien ist es so, dass die Gräber Fotos der Menschen haben, die dort liegen. Das hatten wir in Luxemburg nicht. Ich habe mir die Bilder angeschaut, ausgerechnet, wie alt wer war und mir Geschichten zu ihren Leben ausgedacht. Der Tod war immer etwas, was mir Angst gemacht hat. Da ich aber ein Mensch bin, der in seine Ängste reingeht und sie nicht wegdrückt, ergibt es völlig Sinn, dass "Poison" mein erster Film ist. Das war mir nicht klar, als ich ihn mir ausgesucht habe.

Haben Sie Angst um Ihre Kinder?

Ja. Tagtäglich, bis heute, obwohl sie erwachsen sind. Ich glaube auch nicht, dass das jemals aufhört. Ich habe oft den Satz gesagt: Wenn ich gewusst hätte, wie viel Angst man um seine Kinder hat, hätte ich mich wahrscheinlich nie getraut, Mutter zu werden. Zum Glück weiß man das vorher nicht. Man muss einfach dem Leben vertrauen. Man weiß, dass Dinge passieren, die nicht fair, nicht vorhersehbar und furchtbar sind. Ich bemühe mich, immer an das Gute zu glauben.

Bekommt man eine Gänsehaut, wenn man den fertigen Film zum ersten Mal anschaut und im Abspann "Directed by Désirée Nosbusch" zu lesen ist?

Meinetwegen hätte man meinen Namen da nicht hinschreiben müssen. Wir haben bis dato zwei Preise für diesen Film bekommen. Ich möchte, dass meine beiden Schauspieler, die sich emotional nackt ausgezogen haben, belohnt werden für das, was sie mir und uns allen geschenkt haben. Aber ich habe mich gezwickt, ja. Wenn ich ein Filmangebot bekomme und das Buch lese, denke ich immer: Wenn ich morgen nicht mehr da bin und jemand das im Regal findet oder meine Kinder fragen, was denn das Letzte war, was ich gemacht habe, ist es das, womit ich in Erinnerung bleiben möchte? Das ist immer das Kriterium für mich. "Poison" ist so ein Ding. Wenn es morgen für mich vorbei ist, dächte ich mir: Ist okay, ich nehme stolz meinen Hut!

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