"Raum": Was bedeutet Freiheit?

Viel mehr als ein „Kampusch“-Thriller: Der Oscar-gekrönte „Raum“ behandelt die Fragen des Lebens natürlich und berührend.
von  Adrian Prechtel
Mutter und Sohn in liebender Innigkeit: Brie Larson bekam für ihre Rolle in „Raum“ den Oscar. Kinderstar Jacob Tremblay ist genauso großartig.
Mutter und Sohn in liebender Innigkeit: Brie Larson bekam für ihre Rolle in „Raum“ den Oscar. Kinderstar Jacob Tremblay ist genauso großartig. © UPI

Wie erkläre ich meinem Kind die Welt – und darin das Böse? Diese Grundsatzfrage ist für Ma extrem zugespitzt. Denn Ma wurde als 17-Jährige entführt und ist seitdem auf neun Quadratmetern in einer schallisolierten, zum Hochsicherheitstrakt umgerüsteten Gartenlaube eingesperrt. Und sie hat in der Gefangenschaft einen Sohn, Jack. Jack wird heute fünf Jahre alt – hier setzt der Film des irisch-amerikanischen Regisseurs Lenny Abrahamson an.

Denn bisher hat die Mutter versucht, Jack (Jacob Tremblay) vor der Wirklichkeit in Schutz zunehmen.

 

Eine perverse Gefängnissituation ohne Voyeurismus

 

Aber Kinder stellen immer mehr Fragen, und Ma (die für diese Rolle gerade mit dem Oscar gekrönte Brie Larson) beschließt jetzt, ihren Sohn mit der Wahrheit zu konfrontieren: Es gibt eine Welt außerhalb. Und „Old Nick“ ist nicht nur der, der Essen bringt, mit der Mutter ins Bett steigt und dort unheimliche Sachen macht, während Jack sich dann im Schrank verstecken muss.

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Ein Film, der mit einer perversen Gefängnissituation spielt, steht vor vielen Problemen. Alle meistert „Raum“ intelligent und vor allem völlig unvoyeuristisch.

Das beginnt mit der über allem schwebenden Zuschauerfrage bei einem Thriller: Wie kommen die da raus? „Raum“ stellt aber genau das nicht in den Vordergrund, obwohl man bei der Befreiungsaktion extrem mitfiebert. Denn Ma muss dafür die größte psychische Probe bestehen, indem sie ihren Sohn aufs Spiel setzt und sich auf ihn verlassen muss.

 

Das Leben nach der Gefangenschaft

 

Aber da, wo klassische Thriller schnell zu einem Ende kommen, ist erst eine spannende Stunde vergangen. Und jetzt, nach dem Ausbruch öffnet sich „Raum“ in das neue Leben, das nach sieben Jahren Isolation für die Mittzwanzigerin wieder da anknüpfen soll, wo es mit den üblichen Teenie-Problemen vor sechs Jahren brutal unterbrochen wurde.

Und auch dieser zweite Schwerpunkt des Filmes bleibt interessant: Die Eltern, deren Ehe an der Verzweiflung über das ungewisse Schicksal der verschwundenen Tochter zerbrach, müssen sich neu sortieren. Die Tochter fällt in die alten kindischen Kämpfe aus der Teeniezeit mit ihren Eltern zurück. Und: Wie kann man ein Kind, mit dem man Jahre lang 24 Stunden zusammengespannt war, los- und in die Lebensnormalität eines Vorschulkindes gehenlassen?

Alles muss – nach Jahren einer grausam klaren Überlebenskampfsituation – in Freiheit neu ausgehandelt werden: das Generationenverhältnis, das Elternsein, der Umgang mit der Robustheit und gleichzeitig Empfindsamkeit kindlicher Psychen. Diese Fragen sind allgemeingültig und hier nur vor dem extremen Hintergrund der Gefangenschaft erhellend zugespitzt.

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Ein winziger Raum als Fantasiewelt

 

Und dieser brutal einengende Raum war neben allem Grauen auch ein radikalisiertes Versuchslabor für den richtigen Umgang zwischen Mutter und Kind. Es ist einer der vielen einnehmenden Aspekte von „Raum“, wie Ma als liebende Mutter für ihren Sohn den winzigen Raum zu einer Fantasiewelt erweitert, die wenigen Gegenstände beseelt, Jack schützt und gleichzeitig versucht, im Wahnsinn eine größtmögliche Normalität zu erzeugen.

Bei alledem ist „Raum“ angenehm wenig reißerisch, völlig natürlich und dadurch berührend glaubwürdig. Dazu passt, dass sich der Film gar nicht erst für die Person des Täters oder Rachegedanken interessiert. So ist „Raum“ – trotz möglicher Hemmschwellen bei Zuschauern, sich so einem Thema auszusetzen – vor allem ein intensives, vielseitiges, packendes Drama geworden mit wunderbar menschlichem Grundton und Ende.


Kino: Eldorado, Monopol, Münchner Freiheit, Arri, Atelier, Royal, sowie Cinema und Museum (OV) / R: Lenny Abrahamson (Kanada, USA, 114 Min.)

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