Quentin Tarantino zeigt Herrenmenschen mit Peitsche, Zynismus und Bibel

Tarantinos cooler, brutaler, geistreicher Western um das Tabu-Thema Sklaverei
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Bevor Tarantino einen neuen Film zeigt, erstarrt die Filmwelt regelmäßig erst einmal in angespannter Erwartung: Wie kann es gelingen, einen blutigspritzig-harten, gleichzeitig baller-ironisch-komischen Stil mit den schwierigsten und vermintesten Themen zusammenzubringen? Und dann gelang Tarantino mit „Inglourious Basterds” diese Meisterleistung mit NS-Zeit und Judenverfolgung.

Und jetzt? „Django Unchained” ist ein ebenso genialer Wurf: Eine Hommage an den dreckigen Italo-Western auch in seiner B-Movie-Form, in die soviel Intelligentes, Nachdenkenswertes und geistreicher Witz gepackt sind, dass einem zusätzlich der Atem stockt – in Landschaften des Marlboro Countrys bis zu den vom Winde verwehten Südstaaten-Plantagen. Und dort setzt der Film an: am Tabu-Thema der Sklaverei im Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten. Ironischerweise ist hier ein deutscher Kopfgeldjäger (Christoph Waltz) auf humaner Mission, befreit den Sklaven Django (Jamie Foxx) und begibt sich mit ihm auf einen nibelungentreuen Rachefeldzug – deutscherseits konsequent bis in den Tod.

Django sucht seine versklavte Frau (Kerry Washington): Broomhilda von Shaft – ein Beispiel für die vielen Tarantino-Gags. Denn deutsche Sklavenbesitzer haben ihr diese Namen gegeben. Den Vornamen nutzt Tarantino, um Waltz dem ahnungslosen Foxx die Wagner-Nibelungen-Geschichte um Brunhilde erzählen zu lassen, den Nachnamen als Anspielung auf den selbstbewusst schwarzen Exploitation- „Shaft”-Detektivfilm der 70er.

Die Rettungs-Jagd für die Frau führt zu Calvin Candie, einem eiskalt rationalen, gefährlich charmant-süßlichen Mann von Welt. Leonardo DiCaprio spielt ihn als Spiegelbild zu Waltz’ SS-Offiziersrolle in „Inglourious Basterds” als kultivierten Unmenschen. So zieht Tarantino provokant-philosophisch eine „Untermenschen”-Linie zwischen der US-Sklavenhalter- und deutschen NS-Ideologie.

Auch die Plantagen-Schergen sind zwischen Mitläufer und brutalem Mitmacher gezeichnet. In einer Szene brutalster spätrömischer Dekadenz müssen zwei Schwarze vor Wohnzimmer-Clubsesseln zum Amüsement der Gäste im griechisch-römischen Brutalstil um ihr Leben ringen, während Candie seine pseudowissenschaftlich unterfütterte Rassentheorie würzt mit dem zynischen Opfer-Psychologie-Satz, „Warum bringen sie uns nicht um?”

Tarantino gelingt so mit „Django Unchained” ein vielschichtiges Meisterwerk, das allerdings extrem brutal ist und nur durch sein überflüssig zweifaches End-Szenario etwas ausfranst.
Aber es ist ein gnadenlos cooler Western geworden, mit dem nicht nur in diesem Genre bisher tabuisierten Sklaventhema – gezeigt anhand guter Bildeinfälle wie Sklavenhalter mit gleichzeitig Peitsche und Bibel in der Hand, Ku-Klux-Klan-Aktionen von Cretins oder die Angst des weißen Mannes vor der natur- und sagenhaften Potenz des schwarzen Mannes und die teilweise perverse Übernahme des Sklavengedankens durch die Opfer selbst (mit Samuel L. Jackson als schwarzem Diener mit Schwarzenhass).

Kino: Cincinnati, CinemaxX, City, Leopold, Mathäser, Rio, Münchner Freiheit, Gabriel, Rottmann, Royal, Gloria  (auch OV) sowie Cinema und Museum Lichtspiele (OV)
R: Quentin Tarantino (USA, 165 Min.)

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